Was macht das Gehirn im Schlaf?

Eine kleine Reise in die wunderbare Welt unserer Schaltzentrale

Gehirn im Schlaf: Frau schläft auf der Seite im Halbdunkel und grauer Bettwäsche

Spoiler

  • Guter Schlaf hat eine Reihe positiver Wirkungen auf unsere Gehirngesundheit und auf unsere Emotionen. Was genau, erfährst du im Beitrag.
  • Befindet sich das Gehirn im Schlaf, besonders im Tiefschlaf, legt es sich eine Art seelischen Schutzpelz zu – fachlich wird von emotionaler Resilienz gesprochen.
  • Der Traumschlaf unterstützt uns bei der Verarbeitung unangenehmer Erfahrungen.
  • Chronisch schlechter Schlaf erhöht das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz, Parkinson oder MS.

Denn im Gehirn finden im Schlaf Prozesse statt, die laut Forschung für emotionale Stabilität sorgen und degenerativen Hirnerkrankungen vorbeugen. Während wir tief und fest schlummern, startet in unserem Hirn ein emsiges Löschen, Speichern, Abgleichen, Verarbeiten und Reinigen. «Der Schlaf ist in all seinen Facetten relevant für das Gehirn. Wir brauchen ihn gänzlich – für unsere Gefühle, unser Gedächtnis und unsere emotionale Resilienz», so der Neurowissenschaftler und Schlafforscher Dr. Christian Benedict.

Was zuvor geschah: Den ganzen Tag lang haben wir – und unser Gehirn – eine Menge erlebt. Der Regenguss, die Busfahrt, das Gespräch mit Kollegen, der weggeschnappte Parkplatz – was auch immer es ist, wir nehmen unzählige Informationen und Reize auf. Während wir wach sind, verarbeitet unser Gehirn emsig alle Informationen, die es über die Sinne erreichen. Der Schlafforscher Dr. Benedict beschreibt dies wie in einem Büro, in dem alle Eindrücke nach ihrer Relevanz in verschiedene Stapel sortiert werden. Das Gehirn sortiert und bewertet nonstop, was sich zu erinnern lohnt – etwa Freude, Bestätigung oder gute Nachrichten – und was nicht. Kein Wunder, dass dabei auch Müll und Abfallprodukte entstehen, aber dazu später. 

Gehirn im Schlaf: individuelles Wissen entsteht in der Nacht

Nach im Schnitt 1020 wachen Minuten legt sich der durchschnittliche Erwachsene schlafen. «Der anfänglichen Leichtschlafphase folgt eine längere Tiefschlafphase. Jetzt werden die Inhalte des Tages, die in den Stapel mit wichtigen Informationen sortiert wurden, in der Bibliothek des Gehirns, dem sogenannten Kortex, als Langzeitgedächtnis archiviert. Infos, die auf dem Stapel unwichtiger Tageserlebnisse gelandet sind, wie etwa das, was mein Sitznachbar in der Kantine heute gegessen hat, werden hingegen vom Gehirn geschreddert», erklärt Dr. Benedict. 

Es folgt der Traumschlaf, auch REM-Phase genannt. In dieser Schlafphase, so kann man grob sagen, bildet sich unser ganz individueller Wissensschatz. «Im REM-Schlaf versucht das Gehirn zu überlegen, wie wir das, was wir kürzlich gelernt haben, im Alltag nutzen können. Das nennt man Kontextualisieren. Es bedeutet, dass wir neue Informationen mit bereits vorhandenem Wissen verknüpfen, um diese besser im täglichen Leben nutzen zu können.» So entsteht im Gehirn im Schlaf ein ganz individuell relevantes Wissen –  auf der Basis dessen, was der Mensch zuvor im Leben erlebt und abgespeichert hat.

«Ich schlaf mal drüber» – Floskel mit Bedeutung

Vor diesem Hintergrund macht der Ausdruck «ich schlaf mal drüber» wirklich Sinn. Denn um zu einer Entscheidung zu kommen, ist es eine gute Idee, eine aktuelle Fragestellung mit all den wichtigen Informationen und Erkenntnissen abzugleichen, die das Leben bereits in unserem Hirn festgeschrieben hat. Und das passiert eben im Schlaf. 

Das Einschlafen, Leichtschlafen, der Tiefschlaf und dann der REM-Schlaf bilden einen Schlafzyklus, von denen ein gesund schlafender Erwachsener zirka vier bis sechs Runden pro Nacht durchläuft.

Guter Schlaf – weniger Ängste

Fast jeder Vierte erlebt diese ruhigen, ungestörten Nächte leider nicht. «Dauerhafte Schlafprobleme belasten die Gefühlslage von Menschen, wie eine Studie des Niederländischen Instituts für Neurowissenschaften in Amsterdam zeigt», berichtet der Schlafforscher. Denn noch etwas Erstaunliches erledigt unser Gehirn im Schlaf: das Neutralisieren negativer Erfahrungen. In der Studie liess man eine Gruppe von Menschen Karaoke singen. Als diese Teilnehmer später ihre eigenen, oft etwas schiefen Gesangsaufnahmen hörten, zeigten Messungen, dass die Amygdala, ein Teil des Gehirns, der bei der Verarbeitung von Ängsten und sozialem Stress aktiviert wird, sehr aktiv war. Nach einer Nacht im Schlaflabor wiederholten die Forscher die Messungen. Dabei stellten sie fest, dass die Amygdala bei denjenigen, die besonders viel Traumschlaf in der Nacht hatten, am Morgen weniger auf die Karaoke-Aufnahmen reagierte. Wer schlecht geschlafen hatte, reagierte erneut mit Stress und Angstgefühlen. «Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der REM-Schlaf uns dabei unterstützt, unangenehme Erlebnisse zu verarbeiten», erklärt Dr. Benedict. 

Mehr Tiefschlaf – höhere emotionale Resilienz 

Zurück zum Tiefschlaf – der Schlafphase, in der nicht nur Regeneration und Erholung stattfinden, sondern noch etwas. «Im Tiefschlaf legen wir uns einen seelischen Schutzpelz zu» beschreibt Dr. Benedict. «Diese emotionale Resilienz bestimmt, wie leicht oder hart wir emotionale Herausforderungen nehmen.» Ein wütender Chef zum Beispiel wird vom einen als furchtbar schlimm und unglaublich belastend empfunden, während der andere völlig ruhig bleibt und kaum mit der Wimper zuckt. Diese seelische Robustheit, wie auch die Entstehung von Kreativität, hängen von der Qualität des Schlafs ab.

«Schlaf wirkt der Neurodegeneration entgegen.»

Gehirn im Schlaf: die Müllabfuhr kommt nachts

Nicht nur für unsere psychische Gesundheit ist unser Schlaf von Bedeutung, auch für die Gesundheit des Gehirns selbst. Denn im Gehirn finden im Schlaf Reinigungsprozesse statt, die nachweislich zur Vorbeugung von Hirnerkrankungen beitragen. «Im Wachzustand verarbeitet das Gehirn eine Vielzahl von Sinneseindrücken und benötigt dafür eine grosse Menge an Nährstoffen. Dieser hohe Nährstoffverbrauch hinterlässt Proteinabfälle in unseren Gehirnzellen. Diese Abfälle müssen aus dem Gehirn entfernt werden, da sie sonst im Zwischenraum der Hirnzellen verbleiben», erklärt Dr. Benedict.

Im Tiefschlaf rückt glücklicherweise das Reinigungspersonal des Hirns an: Sogenannte Astrogliazellen transportieren Wasser in und aus den Zwischenräumen im Gehirn, wodurch Schadstoffe ausgeschwemmt werden. Dr. Benedict beschreibt dies als Reinigung des Gehirns. Bleibt der Proteinmüll im Gehirn, steigt das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz, Parkinson oder Multiple Sklerose (MS). Es ist bekannt, dass Menschen mit Schlafstörungen ein um 50 Prozent höheres Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken. Das Hauptrisiko für die Erkrankung ist jedoch schlicht ein hohes Alter. 

Mutmacher für Schlechtschläfer

Die Hirngesundheit hängt natürlich nicht nur vom Schlaf ab, sondern neben den Genen auch von deinem Lebensstil, auf den du Einfluss hast. «Bewegung, ein gutes Sozialleben, eine gesunde Ernährung, regelmässige Gesundheitschecks und Kontrollen von Blutdruck und Blutwerten – auch wer schlecht schläft, hat all das in der Hand. Der Schlaf ist nur eine Variable in der Gleichung», betont Dr. Benedict. Er ermutigt dazu, Schlafstörungen auf den Grund zu gehen. Denn oft liegt eine Ursache vor, die behandelbar ist.  «Wer über drei zusammenhängende Monate dreimal pro Woche schlecht einschläft oder schlecht durchschläft, sollte mal einen Arzt aufsuchen», so der Experte. Manchmal sind Schilddrüsenprobleme, die Wechseljahre, ein Reflux, eine Anämie oder eine Schlaf-Apnoe Grund fürs Wachliegen in der Nacht. Wird die Ursache therapiert, verbessert sich auch der Schlaf wieder.

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