«Fenris hat mein Leben komplett verändert – zum Positiven.»

Wie ein Assistenzhund für Angststörungen einer jungen Frau Sicherheit und Kraft gibt

Assistenzhund für Angststörung: Eine Hundepfote liegt in der Hand einer Frau.
Marie-Lynn, wie lange ist Fenris schon an deiner Seite und wie kam er zu dir?

Mit 16 kam ich selbst auf die Idee, es mit einem Assistenzhund für Angststörungen zu versuchen. Nur kannte man das in der Schweiz so noch gar nicht, wir konnten ihn also nicht einfach kaufen. Nach viel Recherche wurden wir dann in Deutschland fündig und jetzt ist es bald drei Jahre her, dass Fenris seinen Weg von Hamburg nach Basel zu mir gefunden hat.

Erzählst du uns ein bisschen von ihm und eurer Beziehung?

Wegen Corona konnte ich ihn vor dem Abholen nicht sehen, daher war das ein mega spezieller Moment – fast ein bisschen wie bei einem ersten Date, wenn beide nicht so recht wissen, was sie machen. Im Auto hat er dann seinen Kopf auf meinen Schoss gelegt und ist mir seitdem nicht mehr von der Seite gewichen. Auf eine Art ist er sehr zurückhaltend, ruhig und liebevoll. Er ist auch ein lustiger Hund mit viel Charakter und seinem eigenen Willen. Und er ist stur: Wenn er nicht will, wird es schwierig, weil er so stark ist. Wir arbeiten aber gut zusammen und lernen gemeinsam, daher geht das.

Wobei unterstützt er dich?

Ich leide seit vielen Jahren unter Angststörungen und Depressionen. Das ging so weit, dass ich das Haus nicht mehr verlassen konnte. Fenris Hauptaufgabe besteht darin, mir draussen Sicherheit zu geben und dadurch meine Selbstständigkeit zu verbessern. Er ist immer dabei, im ÖV, bei Terminen oder bei Treffen mit Freunden. Seitdem bin ich nicht mehr darauf angewiesen, dass ich immer von einer Bezugsperson begleitet werde. Er bringt durch seine Grösse und seine Ausbildung Abstand zwischen andere Menschen und mich. Das gibt mir so viel Sicherheit, dass ich jetzt sogar einkaufen gehen kann mit ihm oder auch allein zu Hause bleiben, das war vorher nicht möglich.

Ihr habt also eine sehr enge Bindung …

Ja, er ist einfach da, wenn es mir schlecht geht, und das weiss er häufig schon, bevor ich es überhaupt bemerke. Er ist wie ein Spiegelbild meiner Emotionen. Wenn ich sehe, dass er nervös ist, wird mir meistens klar, dass es von mir ausgeht. Das nehme ich nicht immer direkt wahr, ich bin zu sehr daran gewöhnt. Dadurch, dass er mich darauf aufmerksam macht, kann ich intervenieren.

Wie sehr hat Fenris dein Leben verändert?

Eigentlich hat sich alles verändert. Natürlich war es schwierig am Anfang, mittlerweile geh ich aus dem Haus, ich verabrede mich mit Leuten und kann Termine wahrnehmen. Ohne ihn wäre da kein Sozialleben. Mit ihm entstand ein viel normaleres, sozialeres Leben und es gibt Tage, da schaffe ich es jetzt allein aus dem Haus, weil er mir so viel Kraft gibt. Alle Situationen sind machbarer. Ich wollte zum Beispiel schon immer nach Dänemark, dort liegen meine Wurzeln. So eine Reise war jedoch früher undenkbar. Vor einem Jahr sind Fenris und ich ganz allein mit dem Zug nach Dänemark gefahren – ich wusste einfach, dass ich das mit ihm schaffen kann. Ich bin ehrlich, die Zugfahrt war der reinste Horror, aber er ist ruhig geblieben und hat mir Zuversicht gegeben.

Marie-Lynns Mutter, ebenfalls beim Interview anwesend, wirft ein:

Dieser Hund war ein Wendepunkt. Marie-Lynn hat auch so noch genug Schwierigkeiten, aber mit ihm hat sie einen gewissen Radius bekommen und wir müssen sie nicht immer begleiten. Das hat uns beiden Unabhängigkeit zurückgegeben. Sie hat so viele Gefühle entdeckt, macht plötzlich Pläne für die Zukunft und traut sich selbst deutlich mehr zu.

Fenris lernt noch, ein Assistenzhund für Angststörungen zu sein. Wie wird er ausgebildet?

Wir lernen zusammen: Trainer üben regelmässig mit uns beiden und bilden uns gemeinsam aus. Genau genommen lerne ich dort, wie ich ihn ausbilde. 

Künftig wollen wir den Fokus auf noch mehr körperliche Arbeit legen. Ein Ziel wäre es, dass er in Notsituationen seinen Kopf auf mir ablegt, um mich mit seinem Gewicht zu beruhigen. Das bietet er teilweise bereits von selbst an, nur weiss ich nicht, ob er charakterlich dafür gemacht ist, das immer zu tun. Das werden wir herausfinden. Er wird ausserdem noch lernen, mir Medikamente zu bringen, das Licht anzumachen und Hilfe zu holen.

Apropos lernen: Was hast du von Fenris gelernt?

Ich bin ein sehr ausgeprägter People-Pleaser, immer schon gewesen. Fenris ist das Gegenteil. Er zieht einfach den Kopf weg, wenn ihn jemand anfassen will. Anfangs wollte ich noch, dass er das nicht tut und sich streicheln lässt. Mittlerweile habe ich gelernt, dass man nicht alle Menschen gernhaben muss, dass man nicht jeden an sich heranlassen muss und dass beides vollkommen okay ist. Das schau ich mir von ihm ab. Auf eine Art hat er mir etwas von seiner Gelassenheit gegeben. Und ebenfalls wichtig: Wenn wir unterwegs sind, erregen wir recht viel Aufmerksamkeit und immer wieder versuchen Leute, in anzufassen oder werden irgendwie aufdringlich. Dadurch hab ich gelernt, für den Hund und mich selbst einzustehen. 

Die Verantwortung für den Hund hat bestimmt auch etwas mit dir gemacht?

Am Anfang war ich einfach nur begeistert, schliesslich hatte ich schon immer einen Hund gewollt. Als das ein bisschen nachgelassen hat, war es teilweise anstrengend – und seine Pubertät ging SO lang, ich wäre fast verzweifelt. Er hat mich herausgefordert, manchmal vielleicht sogar ein bisschen überfordert. Aber er hat Bedürfnisse und er muss nach draussen, also gehe ich mit ihm raus. Meine Mutter hat sich da bewusst eher zurückgehalten, es wird bei solchen Hunden vorab geklärt, ob man das leisten kann. Ich fand die Verantwortung immer schön und bin daran gewachsen. Wenn er beispielsweise mal krank ist, weiss ich, dass ich reagieren und mich um ihn kümmern muss, dass es meine Aufgabe ist. 

Hat Fenris so etwas wie Feierabend oder Ferien? Er ist ja die meiste Zeit bei dir und hat dann eine Mission …

Natürlich ist er den Grossteil der Zeit bei mir, aber es gab von Anfang an geregelte Auszeiten. Denn selbst wenn er seine Assistenzhund-Kenndecke nicht trägt und wir nur spazieren gehen, nimmt er dennoch meine Gefühle wahr. Daher geht er ohne mich mal ganze Tage zu meiner Mutter oder bleibt bei meinem Freund, damit er abschalten kann. Gerade nach intensiven Tagen mit Terminen oder ÖV-Fahrten räume ich ihm bewusste Pausen und Tage zum Ausruhen ein. Ich hatte mich so schnell an seine Präsenz gewöhnt, daher waren seine Auszeiten erstmal komisch. Je häufiger wir das gemacht und gesehen haben, wie gut es funktioniert, desto besser wurde es für uns beide. Jetzt geniesse ich ebenfalls zwischendurch die Auszeit und kann an guten Tagen sogar ohne ihn etwas unternehmen.

Welche Träume hast du für die Zukunft, die du mit Fenris an deiner Seite erreichen möchtest?

Ich möchte ganz viel reisen, etwas von der Welt sehen, jetzt da es möglich ist. Mein grösster Traum ist es, später nach Dänemark auszuwandern. Und wer weiss, vielleicht gehe ich das Thema Ausbildung nochmals an, das kann ich mir mit ihm viel eher vorstellen.

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Marie-Lynn. Wir wünschen dir und Fenris alles Gute für die Zukunft.

Der richtige Umgang mit Assistenzhunden in der Öffentlichkeit

Auch wenn es vielen selbstverständlich erscheinen mag, möchten wir in Rücksprache mit Marie-Lynn nochmals auf das richtige Verhalten hinweisen, wenn man auf einen Assistenzhund in der Öffentlichkeit trifft.

«Auf den Geschirren steht meistens: nicht anfassen, nicht füttern, nicht ansprechen, nicht starren. Dennoch tun die Leute das alles.»

  1. Nicht anfassen – auch nicht im Vorbeigehen.
  2. Nicht ansprechen – Ist der Assistenzhund noch so süss, er erfüllt gerade eine enorm wichtige Aufgabe. Wird er abgelenkt, kann er seinen Einsatz verpassen, schlimmstenfalls mit Folgen für die begleitete Person. Indirekte Ansprachen, Schnalzen, übermässiger Blickkontakt, in die Hocke gehen und alle Handlungen, die den Hund einladen, gehören ebenfalls dazu. 
  3. Nicht fotografieren oder filmen – man sieht vielleicht nicht jeden Tag einen Assistenzhund in Action, dennoch ist es ein No-Go, das Smartphone zu zücken.
  4. Platz freigeben – im ÖV. Es gibt die gekennzeichneten Sitze für Beeinträchtigte nicht umsonst. Selbst wenn keine körperlichen Einschränkungen zu sehen sind, bieten die Sitze eine Möglichkeit der Abschirmung, die beispielsweise Panikattacken verhindern kann.
  5. Bitte sei respektvoll – Sprecht nicht hinter Betroffenen über den Hund und fragt nicht, wofür die Person einen Assistenzhund mitführt, wenn es nicht offensichtlich ist. Die Antwort geht Fremde nichts an. Kinder sollten dabei ebenfalls ausgebremst werden. Entsteht doch ein Gespräch, sollte es nicht zu persönlich werden und nicht lang. Schliesslich geht die betroffene Person gerade ebenfalls ihrem Alltag nach.

Zur Information: Das Interview fand im Rahmen der der Ethik-Tagung der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung (EPI) zum Thema «Weggefährten – Wenn Tiere in Assistenz und Therapie gefragt sind» statt. 

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