Diagnose Borderline – Betroffene im Wechselbad der Gefühle

Die Persönlichkeitsstörung und ihre Auswirkungen

Diagnose Borderline: Ein Person geht alleine eine gewundene Strasse entlang, während die Sonnenstrahlen durch die Wolken auf sie scheinen.
Was für eine Erkrankung ist Borderline?

Bei einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zeigen sich hauptsächlich Symptome in drei Bereichen: Betroffene haben zum einen Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu regulieren. Sie erleben Emotionen stärker und brauchen länger, bis diese wieder abflauen. Zum anderen zeigen sich häufig auch Probleme im Zwischenmenschlichen: Unter Mentalisierung versteht man die Fähigkeit, die sogenannten Emotionen, Wünsche, Gedanken und Absichten anderer einzuschätzen. Viele Borderliner haben eine Hypermentalisierung und interpretieren in das Verhalten anderer zu viel hinein. Sie sind sehr mitfühlend und nehmen sich selbst nicht mehr gut wahr. Der dritte Symptombereich bezieht sich auf das Selbstkonzept. Betroffene sind sehr sprunghaft bei ihrem Selbstbild, sie können ihre Wertvorstellungen und Lebenskonzepte einfach ändern.

Wann bricht die Erkrankung aus? Kann das jederzeit passieren?

Die Symptome müssen nicht zu einer bestimmten Lebenszeit auftreten, wie man früher annahm. Meistens zeigen sie sich bereits im Jugendalter, selten vor dem zwölften Lebensjahr. Bei Jugendlichen sind Phasen der Identitätsfindung und ein schwankendes Selbstbild normal, aufgrund der Persönlichkeitsstörung sind diese dann deutlich intensiver. Bei Kindern stellt man noch nicht die Diagnose Borderline, da sich zuerst nur Risikofaktoren zeigen, die auf eine solche Entwicklung hindeuten können, aber nicht zwangsläufig darin münden. Meistens nehmen die Symptome im mittleren bis höheren Erwachsenenalter ab. Mit einer Prävalenz von ein bis zwei Prozent ist die Persönlichkeitsstörung eine der häufigeren Erkrankungen in der Schweiz.

Wie äussert sich Borderline?

Es gibt neun Anzeichen:

  1. Stimmungsschwankungen
  2. Angst vor dem Verlassenwerden und Strategien, um das zu verhindern
  3. Suizidalität und Selbstverletzung beziehungsweise deren Androhung
  4. Identitätsstörungen mit flüchtigen, schnellen Wechseln des Selbstbildes und der eigenen Ziele
  5. Intensive und kurzlebige Beziehungen
  6. Impulsives Verhalten
  7. Ein chronisches Gefühl der inneren Leere
  8. Unangemessene Wut
  9. Vorübergehende, dissoziative Symptome, also eine veränderte Wahrnehmung des eigenen Körpers und der Umwelt wie Taubheit, Schmerzfreiheit, Handlungsunfähigkeit

Werden fünf dieser Kriterien erfüllt, lässt sich die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung stellen. Gerade wenn man eine Person gut kennt, sind die Anzeichen im Alltag einfach zu bemerken.

Woher kommt eigentlich der Name?

Borderline, auf Deutsch «Grenzlinie», kommt daher, dass man früher nicht einordnen konnte, ob die Krankheit den psychotischen oder neurotischen Störungen zugeordnet wird. Sie bewegt sich in einem Übergangsbereich und weist Symptome aus beiden Bereichen auf.

Gibt es bestimmte Auslöser, beispielsweise traumatische Erfahrungen?

Je nach Studie finden sich bei 30 bis 90 Prozent der Patienten traumatische Kindheitserfahrungen. Das sind Ereignisse, welche das eigene Überleben oder die sexuelle Integrität gefährden oder das Überleben oder die sexuelle Integrität einer nahestehenden Person. Traumata sind häufige Auslöser, aber nicht zwingend notwendig, um eine Persönlichkeitsstörung zu entwickeln. Wenn die primäre Bindungsperson beispielsweise nicht in der Lage ist, sich in das Kind hineinzufühlen und auf dessen Bedürfnisse einzugehen, kann das bereits ein Mitauslöser sein.

Gibt es familiäre Vorbelastungen oder eine genetische Prädisposition?

Es gibt eine genetische Veranlagung, welche mit einer erhöhten Verletzlichkeit und damit einem höheren Risiko für die Entwicklung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung einhergeht, auch wenn die genauen Mechanismen noch nicht identifiziert werden konnten. Genetik ist aber nur ein Faktor. Umweltbedingungen sind bei der Entstehung der Erkrankung aber immer essenziell.

Darüber hinaus spielt die Geschichte der Bindungspersonen eine Rolle: Haben Frauen selbst traumatische Erfahrungen gemacht, leiden beispielsweise an einer unbehandelten Posttraumatischen Belastungsstörung, haben sie ein grosses Risiko, ihre eigenen Kinder nicht adäquat begleiten zu können. Da sie ihre eigenen Emotionen nicht wahrnehmen und vermeiden, spüren sie auch die Emotionen und Bedürfnisse des Kindes nicht. Dadurch haben die Kinder ein höheres Risiko für die Entwicklung einer Borderline-Störung.

Also haben bereits die ersten Lebensjahre einen grossen Einfluss auf die spätere Entwicklung der Erkrankung?

In den ersten Lebensmonaten finden im Gehirn wichtige Entwicklungsschritte statt und das nicht unabhängig, sondern in Verbindung mit der Bezugsperson. Das Frontalhirn entwickelt sich sehr stark und übernimmt die Kontrolle über tieferliegende Gehirnstrukturen. Für die Pfade, die in dieser Zeit gebildet werden, spielt die Aussenwelt eine grosse Rolle. Vereinfacht gesagt, lernen Kinder so zum Beispiel, dass sie sich auf andere Menschen verlassen können – oder eben nicht.

Kommt die Diagnose Borderline noch mit weiteren Begleiterkrankungen?

Depressionen sind verbreitet. Ausserdem ist da die komplexe Posttraumatische Belastungsstörung, denn viele Borderliner haben Traumata erlebt. Hinzu kommen Suchterkrankungen. Was mit dem Versuch, den ständigen Schmerz zu betäuben, beginnt, kann sich dann verselbstständigen und sich zu einer eigenständigen Suchterkrankung entwickeln. Immer wieder zeigt sich ADHS, denn die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bildet einen biologischen Verletzlichkeitsfaktor, eine Borderline-Störung zu entwickeln.

Wie werden BPS behandelt?

Meistens kommen evidenzbasierte Therapieverfahren über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren zum Einsatz. Bei der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT), einer Verhaltenstherapie, lernen Patienten unter anderem die Krisenbewältigung, um in akuten Situationen Alternativen zu Selbstverletzung und Wutausbrüchen zur Hand zu haben, sodass sie nichts tun, was langfristigen Schaden anrichtet. Der Umgang mit Gefühlen wird verändert, die eigenen Emotionen werden besser wahrgenommen, erkannt und eingeordnet. Borderliner werden offener, ihr Selbstbild zu verändern und verstehen eher, wie sie sich selbst sehen. Zudem werden zwischenmenschliche Fähigkeiten gefördert, um Bindungen auszubauen, die eine Stütze sind. Die mentalisierungsbasierte Therapie kommt aus dem tiefenpsychologischen Denken und der analytischen Psychotherapie. Sie zielt darauf ab, dass durch die wiederholte Klärung und mitfühlende Beschreibung emotionaler Zustände und Interaktionen Borderliner sich selbst und andere besser verstehen können. Durch das Aufarbeiten werden Bindungen gefördert und das Leid reduziert. Natürlich gibt es noch einige weitere bewährte Ansätze der Psychoanalytik und Verhaltenstherapie für die Diagnose Borderline, doch das würde zu weit führen.

Kann man neben der Therapie noch etwas tun?

Achtsamkeit ist bereits ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Im Rahmen des Skillstrainings wird Achtsamkeit erklärt, ausgeübt und trainiert – das ist wichtig für die Emotionsregulation. Ansonsten ist gut belegt, dass Sport bei Emotionsregulationsstörungen sehr gut funktioniert. Meiner Meinung nach ist die soziale Integration, selbst wenn es mit dem Zwischenmenschlichen nicht immer einfach ist, ein wichtiger Aspekt.

Ist Borderline heilbar? Können Betroffene nach der Therapie ein relativ normales Leben führen?

Auch wenn die Symptome im höheren Erwachsenenalter abnehmen oder wie beim Grossteil unserer Patienten nach der Therapie die Kriterien für die Diagnose Borderline nicht mehr erfüllt werden, bleiben meistens eine Verletzlichkeit gegenüber anderen Störungen und ein niedriges Belastungsniveau zurück. Es hängt natürlich von der Schwere der Erkrankung und den Begleiterkrankungen ab. Es bleiben zwar Verletzlichkeiten und Einschränkungen, dennoch besteht die Aussicht auf ein recht symptomarmes Leben und ein gutes soziales Funktionsniveau.

Kann man als Angehöriger Personen mit der Diagnose Borderline unterstützen?

Es ist wichtig, sich zu informieren. So kann man erkennen, wann man in emotional aufgeladenen Situationen gelassener sein muss als in anderen Beziehungen mit Menschen ohne solch einen Hintergrund. Es ist nicht immer einfach, aber Gelassenheit und Beständigkeit spielen eine grosse Rolle. In Situationen mit hoher Emotionalität kann man erstmal abwarten. Manchmal ist die Emotion berechtigt, daher sollte sie ernstgenommen werden und nicht einfach mit der Diagnose kleingeredet werden. Für Borderline-Angehörige gibt es auch einige Angebote und Selbsthilfegruppen. Falls man Unterstützung braucht, kann man dort ein offenes Ohr finden oder Hilfe in Anspruch nehmen.

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