Spoiler
- Berührungen sind ausschlaggebend für eine gesunde Entwicklung: Sie stärken das Selbstwert- und Zugehörigkeitsgefühl.
- Berührungen sind ein Grundbedürfnis: Sie können beruhigend, tröstend, anregend oder entspannend wirken.
- Wenn Berührungen ausbleiben, leidet die Seele.
Kuschelparties oder Kuschelabende werden besonders in grösseren Städten immer häufiger angeboten – und angenommen. Dr. Kurt Seikowski sieht darin einen Ausdruck von Einsamkeit in der Gesellschaft. Als Psychodermatologe weiss er, wie wichtig Berührungen für Haut und Seele sind.
Herr Dr. Seikowski, warum brauchen wir Berührungen?
Berührungen stillen elementare Grundbedürfnisse des Menschen: Sie vermitteln Sicherheit, Geborgenheit und Ruhe.
Wie hängen Haut und Seele miteinander zusammen?
Haut und Seele stehen in enger Verbindung. Aussagen wie «Die Haut ist Spiegel der Seele», «aus der Haut fahren» oder «dünnhäutig sein» sind bereits fest im Volksmund verankert.
Gefühlszustände drücken sich aber auch ganz direkt auf der Haut aus: Beispielsweise, wenn jemand vor Aufregung feuchte Hände hat oder im Gesicht fleckig wird vor Angst. Die Seele kann sich dazu auch über den Geruch auf der Haut bemerkbar machen: Gefühlszustände wie Stress oder Angst können sich in Form von säuerlichem Schweiss und Körpergeruch zeigen.
Welche Rolle spielt die Beziehung von Haut und Seele in der Medizin?
Viele Hauterkrankungen sind psychosomatisch. Selbst bei vererbten Hauterkrankungen wie Neurodermitis oder Psoriasis wissen wir, dass die Psyche eine Rolle spielen und einen Schub auslösen oder die Symptome verschlimmern kann. Wer an einer Hauterkrankung leidet, kennt das Phänomen: Psychischer Stress führt zu einer Verschlechterung des Hautbildes. Die Haut spiegelt aber nicht alles wider: Seelische Einsamkeit ist auf der Haut zum Beispiel nicht sichtbar.
Über den Tastsinn empfinden wir Wärme, Kälte oder Schmerz. Was passiert, wenn wir berührt werden?
Berührungen wirken entspannend und beruhigend auf die Haut und Seele. Viele Menschen fühlen sich durch den Körperkontakt im eigenen Selbstwertgefühl bestärkt. Das Berührtwerden vermittelt ihnen Sicherheit und Zugehörigkeit. Dabei wirkt es auf alle Beteiligten: Wenn ich jemanden berühre, dann fühle ich mich selber auch gut und es stärkt mich in meinem Selbstvertrauen.
Berührungen können aber auch bedrohlich auf die Psyche wirken: Das ist dann der Fall, wenn sie gegen den eigenen Willen geschehen.
Was passiert, wenn Berührungen ausbleiben?
Die Wichtigkeit von Berührungen für Haut und Seele wurde unter anderem in einem Experiment mit Affenbabys belegt: Die Affenbabys aus der ersten Gruppe wurden nur ernährt – ohne weitere soziale Kontakte. Die anderen wuchsen in einer normalen Mutter-Kind-Beziehung auf, erhielten also neben der Nahrung auch Körperkontakt und Streicheleinheiten. Die Affenbabys aus der ersten Gruppe entwickelten sich psychisch gestört. Diese Erkenntnis ist auf den Menschen übertragbar: Berührungen und soziale Kontakte gehören zu den Grundvoraussetzungen für emotionale Gesundheit.
Wie viel Streicheleinheiten braucht der Mensch?
Es gibt Menschen, die brauchen weniger Berührungen als andere. Das hängt von der Veranlagung und vom Charakter ab. Menschen mit einer angeborenen Melancholie brauchen vergleichsweise viel Kontakt und entwickeln, wenn dieser fehlt, schneller eine psychische Störung. Die Phlegmatiker auf der anderen Seite brauchen weniger Berührungen. Generell haben Frauen meist ein grösseres Bedürfnis nach Berührung als Männer. Junge Eltern sollten deshalb ihre Paarbeziehung im Auge behalten und aufpassen, dass die Frauen ihr Berührungsbedürfnis nicht über die Kinder realisieren.
Wie viel man sich berührt, hängt auch von zahlreichen kulturellen Faktoren ab. Je nach Herkunft, Erziehung oder Wohnort fällt der Kontakt anders aus. Das Wie ist dabei variabel – das Ob nicht.