Nicht am Arsch vorbei

Der «Po-Doc» im Gespräch über Sauberkeit, Sex und Scham

Pfirsich
Sie haben ein ganzes Buch über den Po geschrieben. Was ist an ihm so besonders?

Er ist ein Multifunktionsorgan. Das können nicht viele andere Organe von sich sagen. Neben seiner Funktion als Sitzkissen – und natürlich dem Arschbomben-Machen – ist der Po für das aufrechte Stehen und für viele Bewegungsabläufe unverzichtbar. Er ist weiterhin auch ein Ausscheidungsorgan und, ob man das nun wahrhaben möchte oder nicht, Sexualorgan.

Wieso ist gerade dieses Körperteil so sehr mit Scham besetzt?

Das ist die Kernfrage. Ich denke, dass wir trotz der Bilderflut im Internet und in den Medien noch immer wenig aufgeklärt sind. Homophobie, also die Angst als schwul zu gelten, Exkremente und peinliche Geräusche und Gerüche sind wahrscheinlich die Hauptursachen für dieses Tabu. Biologisch gibt es keinen Grund, diesen Bereich zu tabuisieren. Viele Tiere lieben den Anus. Wir sollten dies auch tun!

Tiere lieben den Anus?

Genau. Im Tierreich stellen Po und Anus wichtige Zonen der Kommunikation und Funktionalität dar. Für Hunde etwa ist der Anus ein Universum an Gerüchen, Fische können mit dem Anus kommunizieren oder Fohlen essen nach der Geburt ihren Stuhl, um ihre Darmbakterien aufzubauen. Das Verfahren der Stuhlimplantation wird sogar therapeutisch angewendet, um bestimmte Infektionen zu bekämpfen. Kein Grund für Abscheu oder Ekel also. Der Po ist ein wunderbares Organ.

Sie schreiben, es sei wichtig, sich hin und wieder einen Finger in den Po einführen zu lassen, am besten durch einen Arzt. Wieso?

Durch die ärztliche Untersuchung kann Enddarmkrebs früh diagnostiziert und die Prostata beurteilt werden. Das Abtasten des Anus gehört zu jeder gründlichen ärztlichen Untersuchung. Aber auch die Selbstuntersuchung ist sinnvoll: Einerseits erkennt man schneller, wenn sich etwas verändert, was ebenfalls bei der Früherkennung von Krebs hilft. Andererseits gibt es Studien, die zeigen, dass zum Beispiel bei Fissuren, also Rissen im Analbereich, das tägliche Dehnen mit dem eigenen Finger die vielleicht beste Massnahme zur Abheilung ist. Als Letztes denke ich, dass der Po und der Anus auch sehr erogene Zonen sind, welche erkundet werden können – wenn man dies mag.

Früher hockte man beim Toilettengang, heute sitzen wir auf bequemen Klos. Haben wir es uns zu gemütlich gemacht?

Definitiv. Viele Tausende von Jahren haben wir irgendwo hinter einem Gebüsch gehockt und unser Geschäft verrichtet. Der Enddarm ist in der Hocke gerade und wir brauchen weniger Kraft, um den Stuhl heraus zu befördern. Durch das Sitzen entsteht im Darm ein Knick und wir müssen stärker pressen, was zu Hämorrhoiden führen kann. Das hat kürzlich auch eine japanische Studie bewiesen. Meine Empfehlung: Zurück zur Natur und beim Stuhlgang in die Hocke gehen. Oder wenigstens einen Fusshocker unter die Füsse stellen.

Eins Ihrer Kapitel heisst «Sitzen ist das neue Rauchen». Kann langes Sitzen zu schweren Krankheiten führen?

Ja. Immer mehr Untersuchungen zeigen, dass durch langes Sitzen Krankheiten des Bewegungsapparates und des Herz-Kreislauf-Systems entstehen. Wie es dazu kommt, ist nicht ganz klar, wahrscheinlich aber ist der niedrige Kalorienverbrauch und der unterforderte Stoffwechsel beim Sitzen das Problem. Es können Herz- und Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes entstehen. Derzeit wird empfohlen, alle 30 Minuten aufzustehen und sich zu bewegen. Auch ein Stehpult kann eine gute Option sein.

Sie beschreiben das «Dead-Butt-Syndrom». Kann ein platt gesessener Po auch Rückenschmerzen verursachen?

Ja. Der Po kann durch langes Sitzen wirklich platt werden. Die Fettzellen verformen sich, das haben Wissenschaftler bewiesen. Die Rückenschmerzen entstehen jedoch eher durch die Schwächung der Po-Muskulatur nach langem Sitzen. Mediziner sprechen von glutealer Amnesie. Das heisst, der Po hat seine Aufgabe vergessen. Die Rückenmuskulatur muss dann die Funktionen des Pos übernehmen und das kann Rückenschmerzen auslösen.

Viele nehmen ihr Smartphone mit aufs Klo. Eine gute Idee?

Ich tue das auch hin und wieder, obwohl es keine gute Idee ist. Schon deswegen nicht, weil dabei viele Smartphones in die Toilette fallen. Das Hauptproblem ist aber, dass das längere Sitzen während der Smartphone-Session das Risiko für Hämorrhoiden erhöht. Wir empfehlen, nicht länger als fünf Minuten zu sitzen, nicht zu pressen und auf weichen Stuhlgang zu achten.

Wie sorgt man denn für weichen Stuhl?

Durch viel Bewegung, genügend Flüssigkeit und einen hohen Obst- und Gemüseanteil in der Ernährung. Flohsamenschalen oder Leinsamen täglich mit viel Flüssigkeit eingenommen formen den Stuhl perfekt.

Der Anus ist ein Schliessmuskel, der bitte bis ins hohe Alter superdicht halten soll. Was kann man tun, damit er das tut?

Auch hier wirkt weicher Stuhlgang vorbeugend. Dann ist es ratsam, sich keine hydrantengrossen Gegenstände in den Po einzuführen. Extreme Dehnungstechniken zeigen in Untersuchungen höhere Raten von Stuhlinkontinenz. Wenn also etwas eingeführt wird, dann bitte die richtigen Gegenstände, nicht zu häufig und nicht zu gross.

Eine tolle Wirkung hat auch Beckenbodengymnastik, übrigens auch für Männer: Ein starker Beckenboden unterstützt den Anus in seiner Verschluss-Funktion. Hilft alles nicht mehr, kann der Chirurg zum Beispiel einen Anus-Schrittmacher einbauen. Stuhlinkontinenz ist heute immer behandelbar. Vorbeugen ist aber besser.

Wie wird Analsex sicher praktiziert?

Die Zauberworte sind hier Respekt und Geduld. Es gibt sicher nicht die einzig richtige Empfehlung. Natürlich sollte Analsex nur bei gegenseitigem Wunsch stattfinden und bei neuen Bekanntschaften immer mit Kondom. Und es gibt kein Zuviel an Gleitgel. Starke Schmerzen oder Erkrankungen des Anus sind Gründe, Analsex lieber zu lassen.

Wie sollte der Po sauber gehalten werden?

Der Po mag am liebsten reines Wasser oder trockenes, weiches WC Papier. Zu viel Hygiene ist hier ebenso schlecht wie zu wenig.

Mag er feuchtes Toilettenpapier?

Nein. Feuchtpapier ist ganz schlecht. Es enthält fast immer Substanzen, die reizend sind und zu Ausschlägen und anderen Problemen führen können. Vielen Patienten mit Beschwerden im Analbereich ist bereits geholfen, wenn sie das Feuchtpapier weglassen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Buch-Tipp: Der Po-Doc

Der Po-Doc. Eine spannende Expedition zum Ende des Darms

Buch Wilhelmi

ISBN: 978-3432110264

TRIAS Verlag, 2019

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