Selbstbefriedigung bei Kindern? Völlig okay!

Den eigenen Körper kennenlernen

Mädchen spielt
Frau Bischof-Campbell, wie erklären Eltern ihren Kindern, dass Selbstbefriedigung nichts Schlimmes ist?

Ich störe mich am Begriff «schlimm». Es ist weder etwas Schlimmes noch per se etwas Gutes, sondern ermöglicht, eine Beziehung zum Körper aufzubauen und sich mit dem eigenen Geschlecht auseinanderzusetzen. Auch der Ausdruck «Selbstbefriedigung» ist unpassend. Er suggeriert, dass ich das als befriedigend empfinde. Das trifft jedoch nicht immer zu, sondern ist eine Frage der Übung. Es ist gut, wenn Eltern ihren Kindern den Raum dazu lassen. Von frühster Kindheit an: Bereits Babys können durch Druck und Muskelspannung sexuelle Erregung auslösen. Ich empfehle Eltern, ihren Kindern beizubringen, dass die Selbststimulation etwas Intimes ist, das sie in ihrem Zimmer ausleben können.

In welchem Alter beginnen denn Kinder durchschnittlich mit der Selbstbefriedigung?

Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Manche beginnen mit eins, andere mit siebzig. Es gibt auch solche, die sich nie angefasst haben und glücklich sind.

Gehen Jungen und Mädchen unterschiedlich mit ihrer Sexualität um?

Oft entdecken Jungen ihr Geschlecht schneller. Der Penis ist sichtbar und wird viel angefasst. Eltern geben ihm eher einen Namen. Zudem sehen Jungen ihre sexuelle Erregung an einem aufgerichteten Penis. Bei Mädchen hingegen ist sie kaum sichtbar. Bis ein Mädchen die Stimulation ihres Geschlechts entdeckt, braucht es also viel mehr aufmerksames Erforschen. Daher erleben wir es öfter, dass Mädchen sich in der Kindheit nicht bewusst selbst befriedigen. Interessanterweise machen sie aber gern Dinge wie Seilspringen oder sonstige Hüpfspiele – das aktiviert die Beckenbodenmuskulatur rund um die Vagina und kann sexuelle Erregung auslösen.

Wieso gilt Ihrer Meinung nach Selbstbefriedigung – gerade bei Mädchen und Frauen – immer noch als Tabu?

Ich finde nicht, dass es sich dabei um ein Tabu handelt. Es ist verständlich, dass viele nicht öffentlich über Sex sprechen möchten, schliesslich ist es etwas Privates. In der Gesellschaft kursieren Vorstellungen von einer «natürlichen» oder «normalen» Sexualität, von Praktiken und Bedürfnissen, die «richtig» und anstrebenswert sind. Die meisten erleben sich jedoch anders. Sie fragen sich «bin ich überhaupt normal?» und haben etwa Hemmungen über ihre sexuellen Fantasien zu sprechen, aus Angst, deshalb abgewertet oder abgewiesen zu werden.

Eine wichtige Aufgabe von unserem Portal Lilli ist es deshalb zu zeigen, dass es so viele Sexualitäten wie Menschen gibt und dass eine gute Sexualität nicht einfach so vom Himmel fällt, sondern viel mit Übung zu tun hat. Nur weil man jemanden liebt, heisst das beispielsweise nicht, dass es mit dem Sex automatisch klappt.

Wir bieten auf Lilli eine anonyme Online-Beratung an für alle Menschen ab zwölf. Was uns bei den Anfragen immer wieder auffällt, ist die Sprachlosigkeit rund ums Thema Sexualität. Wenn jemand den Unterschied zwischen Vagina und Vulva oder Erregung und Erektion nicht kennt, ist es auch schwierig, über Sexualität zu sprechen. Es fehlen schlicht die Worte. Auf Lilli machen wir aus diesem Grund explizit vor, wie und welche Wörter man verwenden kann. Dadurch fällt das Reden viel einfacher.

Vielen Dank für das Gespräch!
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