Christliche Seelsorge – teilen, was im Innersten bewegt

Christliche Seelsorge: Zwei Männer sitzen auf einer Bank und unterhalten sich.
Toni, du bist als christlicher Seelsorger tätig: Was sind deine Aufgaben?

Hauptsächlich die seelsorgliche Begleitung der Menschen, die hier im WohnWerk leben. Das bedeutet, dass ich den Bewohnern beistehe, ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Freuden habe und sie sinnstiftend berate. Ausserdem halte ich im Wechsel mit meinen Kolleginnen den sonntäglichen Gottesdienst hier in unserer Kirche. 

Wie läuft Seelsorge ab? Kommen die Menschen einfach auf dich zu oder gibt es feste Termine?

Meiner Erfahrung nach funktionieren offene Sprechstunden nicht so gut, daher habe ich einen Terminplan und besuche die Patienten für ihre Seelsorgezeit direkt. Wir setzen uns zusammen hin oder gehen gemeinsam spazieren, manchmal zünden wir auch in der Kirche eine Kerze an – was meinem Gegenüber gerade guttut. 

Wie kommen die Gespräche zustande: Kann man dich einfach nach einem Termin fragen?

Natürlich können die Bewohner einfach auf mich zukommen. Meistens kommt der Impuls aber von der Gruppe. Die Bewohner leben in betreuten Gruppen, da entstehen Konflikte oder es fällt auf, wenn es einer Person nicht gut geht. Bei den Betreuern laufen häufig die Fäden zusammen und sie kommen dann auf mich zu und erbitten, natürlich immer in Rücksprache mit der betroffenen Person, ein Gespräch. 

Finden die Gespräche der christlichen Seelsorge vorrangig im Kontext des Glaubens statt oder spielt dieser eine nachrangige Rolle?

Mein persönlicher Hintergrund ist vom Glauben geprägt, daher fliesst das natürlich ein. Dennoch versuche ich immer auf mein Gegenüber einzugehen. Wenn jemandem der Glauben wenig bedeutet, dann richte ich mich danach. Aber es gibt einige, für die ist das eine wichtige Quelle und sie haben selbst vielleicht einen ähnlichen Hintergrund wie ich, dann wird auch zusammen gebetet und wir gehen in die Kirche. 

Die Konfession für uns als Seelsorger nicht das wichtigste Kriterium, für die Gesprächspartner meistens ebenfalls nicht. Und ganz wichtig: Wir sind mit der christlichen Seelsorge nicht missionarisch unterwegs, darum geht es nicht. 

Gibt es Fragen oder Themen, welche immer wieder aufkommen? Beispielsweise die Frage nach dem Warum …

Nach dem Warum fragen die wenigsten. Ehrlich gesagt staune ich immer wieder, wie wenig die meisten tatsächlich hadern und wie gut sie ihr Schicksal akzeptieren. Es gibt Momente, in denen sie sich darüber ärgern, aber sie stellen dann nicht gleich ihr ganzes Leben infrage. 

Die Themen, über die sie sprechen wollen, sind die gleichen wie bei dir und mir und vielen anderen Menschen, egal wo sie leben. Es ist eine bunte Mischung aus Beziehungen, Einsamkeit, Problemen in der Gruppe, zwischenmenschlichen Hürden und Konfliktlösung. Manche hier fühlen sich einsam, darüber reden wir. Andere haben das Bedürfnis, ihre Alltagssorgen zu erläutern. Es gibt einzelne Bewohner, denen Musik wichtig ist, also sprechen wir dann über Musik. Es ist mein Auftrag, sie in ihrem Alltag zu begleiten, deshalb höre ich zu und wenn sie sich das wünschen, sage ich meine Meinung dazu oder gebe einen Rat. 

Wie bist du zur christlichen Seelsorge gekommen? 

Nach meinem Theologie-Studium habe ich in einer Pfarrei gearbeitet und dort gemerkt, dass ich etwas anderes machen möchte. Aus einer Tätigkeit in einem Akutspital hat es sich dann ergeben und nun bin ich schon seit neun Jahren hier als christlicher Seelsorger unterwegs.

Was ist bei der Ausübung für dich die grösste Herausforderung?

Vermutlich die Kommunikation. Zum einen kann ich nicht einfach eine Theorie erläutern, sondern muss eine sprachliche Ebene finden, die verstanden wird. Zum anderen geht es darum, dass ich auch bei einer reduzierten Sprachfähigkeit erfasse und erspüre, worin das Problem besteht. Sie können sich ja nicht so klar äussern wie wir und selbst uns fällt es nicht immer leicht, unsere Gefühle in Worte zu fassen. Ihre Lebenssituation ist so anders als meine, dass es dadurch schwieriger ist.

Manchmal geht mir ihre Last nach, gerade bei bestimmten Schicksalen. Mir ist es wichtig zu helfen und Lösungswege zu finden, das braucht teilweise Zeit, in der ich drüber nachdenke. Die eigene Hilflosigkeit ist es, die einem hin und wieder zu schaffen macht. 

Was ist das Erfüllendste an deiner Tätigkeit?

Die Anerkennung und Wertschätzung sind sehr schön. Ich bin für die Menschen da und nehme jeden als eigenständige Person wahr und  dafür sind sie sehr dankbar. Wenn ich in den Ferien bin und zurückkomme, werde ich umarmt, denn sie haben gemerkt, dass ich nicht da war, und sich dann über meine Rückkehr gefreut. 

Die schönste Geschichte, die du als Seelsorger erleben durftest …

Zwei unserer Bewohner wollten heiraten – also haben wir hier für sie eine freie Hochzeit veranstaltet. Die beiden haben sich hübsch gemacht, waren beim Coiffeur, hatten Ringe und alles, was es braucht. Bei der Zeremonie waren sie so aufgeregt, dass sie mit ihrem «Ja» gar nicht warten konnten, bis ich fertig gesprochen hatte. Das war sehr berührend. Sie sind übrigens bis zu ihrem Tod zusammengeblieben und haben stets eine tolle Balance aus Nähe und Freiheiten gefunden. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Information: Das Interview fand im Rahmen der der Ethik-Tagung der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung (EPI) statt. 

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