Bettnässen: Wenn die Nacht ins Wasser fällt

Mit Kindern über die Ursachen sprechen ist die beste Therapie

Beine auf Stein in Fluss

Spoiler

  • Bettnässen kommt familiär gehäuft vor und hängt mit der Ausschüttung von ADH zusammen, einem Hormon, das die Urinproduktion in der Nacht normalerweise hemmt.
  • Der Zeitpunkt einer ausreichenden Hormonausschüttung ist individuell unterschiedlich und nicht beeinflussbar.
  • Fängt das Bettnässen nach einer längeren Pause wieder an, können psychische Belastungen dahinterstecken.
  • Offen darüber sprechen: Das nimmt dem Kind die Schuldgefühle und erklärt, wieso es gar nichts dafür kann. Gespräche mit dem Arzt beruhigen auch die Eltern.

Wie lange ein Kind ins Bett macht, ist individuell verschieden. Etwa zehn bis zwanzig Prozent der Kinder in Europa lassen auch nach dem fünften Lebensjahr noch unkontrolliert Wasser in der Nacht. Dabei fällt auf: 60 Prozent der Bettnässer sind Jungen. Dr. Jan Cahlik, Facharzt für Kinder und Jugendliche und Vorstandsmitglied von Kinderärzte Schweiz (KIS), erklärt: «Sie entwickeln sich grundsätzlich langsamer als Mädchen und werden wahrscheinlich deshalb eher etwas später trocken.»

Bettnässen seit Geburt oder Rückfall?

Wenn das Kind noch nie über einen längeren Zeitraum trocken war, sprechen Fachärzte von primärem Einnässen. «Die primäre Enuresis ist ganz normal und hat keine krankhaften Ursachen», erklärt Dr. Cahlik. In den meisten Fällen ist sie durch eine noch nicht ausreichende Ausschüttung des antidiuretischen Hormons (ADH) bedingt, was häufig auf eine familiäre Veranlagung zurückzuführen ist. ADH ist für die Regulierung des Wasserhaushaltes im Körper zuständig und sorgt dafür, dass in der Nacht die Urinproduktion gehemmt wird. «Das Hormon wird im Kindesalter unterschiedlich schnell und in unterschiedlichen Mengen produziert, weshalb das Trockenwerden bei jedem einzelnen Kind individuell ist», so Dr. Cahlik.

Vom Bettnässen seit Geburt abzugrenzen ist das sekundäre Einnässen: Es liegt vor, wenn das Kind während sechs Monaten trocken war und dann wieder einnässt. «Sehr häufig wird sekundäres Bettnässen durch belastende Ereignisse wie zum Beispiel einen Schulwechsel ausgelöst», meint Dr. Cahlik. Vereinzelt kann es auch körperliche Ursachen haben wie eine einfache Entzündung der Harnwege. Eine körperliche Veränderung führt aber in der Regel auch tagsüber zu unkontrolliertem Wasserlassen und wird daher meist früh erkannt.

Therapie notwendig?

«Da es sich beim Bettnässen meistens um eine normale Entwicklung handelt, braucht es gar keine Behandlung», meint Dr. Cahlik. Eine ärztliche Abklärung ist nur sinnvoll, wenn es einen Verdacht auf körperliche Erkrankungen gibt. Dr. Cahlik rät, mit den Kindern über das Bettnässen zu sprechen und das Thema zu enttabuisieren: Wenn die Ursachen offen dargelegt werden, können Eltern ihren Kindern bewusst machen, dass sie nicht am Bettnässen schuld sind, sondern dass es an einer verzögerten Entwicklung liegt, die in der jeweiligen Familie meist öfter zu finden ist. «Bei korrektem Wissen stellt es für die betroffenen Kinder dann auch keine Probleme dar, dass sie in der Nacht einnässen», weiss Dr. Cahlik.

Bei übermässigem Leidensdruck können Eltern Klingelmatratzen oder -hosen bei ihren Kindern anwenden. Diese geben beim ersten Tropfen Urin einen Ton ab. «Die Weckapparate sind aber nicht unumstritten», so Dr. Cahlik. «Die Kinder merken lediglich, dass sie eigentlich auf die Toilette müssten. Eine Trockenheit ist damit nicht garantiert.» Zu Beginn hören die Kinder den Ton oft nicht, da sie sich zum Zeitpunkt des Einnässens meistens im Tiefschlaf befinden. Dann müssen sie von den Eltern richtig geweckt und auf die Toilette begleitet werden. Bei längerer Anwendung sind die Kinder auf den Ton konditioniert und stehen unter konstanter Alarmbereitschaft: «Weil sie ständig darauf ‘warten’, dass es bimmelt, kann die Schlafqualität und somit die nächtliche Erholung gestört werden», erklärt Dr. Cahlik.

Klassenlager – eine schnelle Lösung muss her

Gegen das Bettnässen gibt es das Hormon ADH auch in Tablettenform. Das kann für einen längeren Schulausflug mit mehreren Übernachtungen nützlich sein. Zwingend notwendig sind die Tabletten aber nicht: «Oft nässen Kinder im Klassenlager nicht ein, weil sie dort nicht so tief schlafen und dann ihren Harndrang besser spüren», meint Dr. Cahlik.

Wer trotzdem auf Nummer sicher gehen will, ist mit dem Medikament gut bedient: Die Tabletten gibt es in verschiedenen Dosierungen, die individuell auf das Kind abgestimmt werden müssen. Es kann einige Zeit in Anspruch nehmen, bis die richtige Dosis gefunden wird. Deshalb empfiehlt Dr. Cahlik, mindestens zwei Wochen vor dem Ausflug mit der Einnahme der Tabletten zu beginnen. «Grundsätzlich bleiben Kinder mit dem Medikament so lange trocken, bis es wieder abgesetzt wird», so Dr. Cahlik.

«Nebenwirkungen des Medikaments gibt es nur bei einer Überdosierung und unsachgemässer Anwendung, also wenn nach der Einnahme der Medikamente viel getrunken wird», erklärt Dr. Cahlik. In seltenen Fällen kann dann das eingelagerte Wasser den Salzhaushalt im Körper durcheinanderbringen und so zu einer Wasservergiftung führen. Dr. Cahlik gibt aber Entwarnung: Wer sich an die angegebene Dosierung hält und am Abend nach Einnahme der Medikamente nichts mehr oder wenig trinkt, wird keine Probleme haben.

Stylishe Windeln

Die sogenannten Trainerhöschen sehen aus wie normale Unterhosen, haben aber eine integrierte Saugschicht. Sie können zum einen als kleines Backup in der Übergangsphase zum Trockenwerden verwendet werden. Zum andern eignen sie sich für auswärtige Übernachtungen bei Schulfreunden. Die Trainerhöschen sind für Kinder einfach zu wechseln und machen sie dadurch unabhängig von den Eltern. Ausserdem sehen sie der herkömmlichen Windel nicht sehr ähnlich und werden deshalb von den Betroffenen meist gut toleriert.

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