Telemedizin: Beratung ohne Wartezimmer

Diagnose und Behandlung per Mail? Dr. med. Alice Martin im Interview

Frau an Laptop
Frau Dr. Martin, was genau ist eigentlich Telemedizin?

Telemedizin heisst, dass Arzt und Patient in Kontakt treten und eine Behandlung stattfindet, ohne dass sich beide am selben Ort befinden. Das geschieht beispielsweise bei der Telefonberatung oder der Video-Sprechstunde. Bei anderen Formen der Telemedizin kommunizieren Arzt und Patient nicht zur selben Zeit, beispielsweise beim Bild-Text-Verfahren, wenn der Patient Bilder einschickt und der Arzt später einen Arztbrief versendet.

Welche Vorteile hat die Telemedizin gegenüber dem klassischen Arztbesuch?

Da gibt es viele! Patienten sparen sich die Anreise und müssen nicht extra frei nehmen, weil sie auch an den Tagesrandzeiten Kontakt zum Arzt aufnehmen können. Die Wartezeiten sind kürzer und das Infektionsrisiko in der Praxis fällt komplett weg. Auch die Scham ist geringer, wenn man sich nicht direkt gegenübersteht oder im Wartezimmer den Blicken anderer ausgesetzt ist. Gerade Hautkrankheiten können ja schnell stigmatisieren.

Hat die Telemedizin auch Nachteile?

Natürlich. Der Austausch mit dem Arzt kann unpersönlich wirken und für uns Ärzte ist es schwieriger, Informationen aus dem Kontext zu bekommen. Der niedergelassene Arzt sieht seinem Patienten beispielsweise an, ob er gepflegt ist oder nicht. Einem Bild von einem Hautausschnitt ist das nicht unbedingt anzusehen.

Vermissen Sie den direkten Kontakt mit den Patienten?

Nein. Am Anfang hatte ich das befürchtet, aber ich telefoniere sehr viel mit meinen Patienten und auch in den Mails geht es zum Teil so persönlich zu, dass sich eine enge Beziehung zu den Patienten aufbaut.

Wie funktioniert Telemedizin genau?

Das kommt auf die Form an: Bei der Video- oder Telefonberatung wird ein Termin ausgemacht und direkt beraten. Zwar kann der Arzt dabei alles erklären, aber hinterher hat der Patient nichts Schriftliches in der Hand.

Anders beim Bild-Text-Format. Über ein zertifiziertes Tool kann uns der Patient Bilder und einen Fragebogen schicken und wir stellen die Diagnose. Der Patient braucht dafür etwas technische Affinität und erhält keine persönliche Rückmeldung, aber er hat am Ende die Diagnose schwarz auf weiss und gegebenenfalls auch eine Krankschreibung oder ein Rezept.

In welchem Zeitfenster erfolgt eine Rückmeldung durch den Arzt?

Die Telemedizin ist insgesamt sehr schnell. Wie schnell genau, ist von Praxis zu Praxis verschieden. Wir antworten im Schnitt innerhalb von vier Stunden.

Welche Patienten nutzen Telemedizin?

Wir sehen da vor allem zwei Gruppen. Zum einen sind da die Digital Natives: junge Erwachsene mit den klassischen Krankheiten. Zum anderen haben wir viele reflektierte Patienten, die meist schon eine längere Odyssee durch die verschiedenen Arztpraxen hinter sich haben und sich nun an uns als neue Option wenden.

Was passiert, wenn Sie anhand der Bilder keine eindeutige Diagnose stellen können?

Wir haben ein Experten-Gremium aus etablierten Medizinern, denen dann der Fall vorgelegt wird. Auf 5’000 Fälle kommt nur einer, bei dem wir auch auf diese Weise zu keinem Ergebnis gekommen sind. Allerdings hat bei diesem Patienten auch der niedergelassene Arzt bislang keine Diagnose stellen können. Ein sehr spezieller Einzelfall also.

Kann Telemedizin die niedergelassenen Ärzte ersetzen?

Nein, es ist eine Ergänzung. Viele niedergelassenen Ärzte bieten ja verschiedene Formen der Telemedizin schon an. Und bestimmte Leistungen wie eine Operation oder eine Blutentnahme können nur vor Ort erbracht werden. Wir übergeben in solchen Fällen dann unsere Patienten an niedergelassene Ärzte.

Wie steht es bei der Telemedizin um den Datenschutz?

Die Patientenakte ist komplett digital, das erfordert ein hohes Mass an Sicherheit. Deshalb arbeiten wir wie alle Anbieter mit einem zertifizierten Tool. Die Daten werden anonymisiert und doppelt verschlüsselt übertragen und gespeichert.

Wie beeinflusst die Telemedizin die medizinische Forschung?

Wir können Programme nutzen, die den Arzt bei der Diagnose unterstützen. Durch die künstliche Intelligenz entsteht unfassbar viel Wissen, von dem der Patient profitieren kann, weil es seine Lebensqualität verbessert.

Vielen Dank für das Gespräch.
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