Negative Gedanken erkennen und bewusst regulieren

Hirnforschung: «Es stimmt, dass die Dinge nur halb so schlimm sind.»

Negative Gedanken: Ein Eisberg, oben flach, dessen Hauptteil unter der Wasseroberfläche zu sehen ist.

Die kleine Spitze des Eisbergs über Wasser steht für unser Bewusstes. «In echt ist die Spitze noch viel kleiner und das Unbewusste viel grösser.»

 

Hat unser Unterbewusstes einen Hang zu negativen Gedanken?

Leider ja. Unser Unterbewusstes macht negative Emotionen grösser, als sie wirklich sind. Evolutionär gesehen ist es die normale Funktion dieses Überlebenssystems. Negatives wird in seiner Wichtigkeit und Bedrohlichkeit überschätzt. Ärger, Sorgen oder Ängste wiegen daher doppelt so schwer wie das Positive. Hinzu kommt: Das Unterbewusste erzeugt bei Verlust doppelt so viel Missvergnügen: Kaufen wir uns etwa ein Vanilleeis, vergibt das Unterbewusste Pluspunkte. Fällt uns das Eis herunter, erzeugt es doppelt so viele Minuspunkte.

Das klingt ungesund.

Genau. Die Psychoimmunologie erkannte in den letzten 20 Jahren, wie sehr dauerhaft negative Stimmungen unsere Hormone und das Immunsystem beeinflussen. Die Medizin hat die Effekte lange unterschätzt. Inzwischen werden Krebs, chronische Erkrankungen und Schmerzen mit negativen Emotionen in Verbindung gebracht. Die biochemische Antwort auf sie schadet unserer Gesundheit. Deshalb ist es wichtig, negative Gedanken und Gefühle bewusst zu regulieren.

Wie steuern wir unsere Gefühle und negative Gedanken?

Erster Schritt ist, seine Emotionen zu erkennen, besonders die negativen wie Ärger, Wut oder Feindseligkeit. Zweitens ist es wichtig, cool zu bleiben, sich möglichst abzuregen: also entspannen und langsam und tief ausatmen. Dann ist es gut, einen positiven Aspekt an der Situation zu finden, etwa: «Es hätte schlimmer kommen können.»

Was bringt das?

Wenn wir lernen, nicht auf jeden negativen Impuls so heftig zu reagieren, verhindern wir eine Ausschüttung von Stresshormonen. Wir unterbinden, dass das vegetative Nervensystem ständig in Alarmbereitschaft ist. Dass negative Gedanken im Gehirn doppelt so viel wiegen wie positive, heisst auch: Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Dinge «nur halb so schlimm». Das zu wissen, kann trösten und über Lebenskrisen hinweghelfen.

Eines Ihrer Buchkapitel heisst: «Wer ist der Chef im Gehirn.» Und?

Unser bewusstes Denken ist Chef. Wir haben die Freiheit, Gedanken und Aufmerksamkeit bewusst zu lenken. Durch Bewusstsein können wir frei entscheiden.

Oft hängt man aber in negativen Gedankenschleifen fest.

Genau. Der fiese Kollege, die gemeine Ex, was auch immer es ist: Das Unterbewusste kramt es beim Frühstück, beim Radfahren, beim Einschlafen immer wieder hervor und stuft den Reiz als schlimmer ein, als er ist. Der Gedanke poppt hoch, wo er kann. Da helfen drei Schritte: erkennen, entscheiden, konzentrieren. Man kann sich angewöhnen, negative Gedanken nicht zuzulassen. Ihnen sagen: «Sorry, ich habe gerade keine Zeit für euch.» Dann sollte man sich wieder auf den gegenwärtigen Moment konzentrieren – auf das, was man gerade tun wollte.

Viele leiden an einem überaktiven Geist, der den Schlaf stört. Haben Sie da einen Tipp?

Entspannungs- und Atemübungen ein paar Stunden vorm Schlafengehen fahren das Hirn herunter. Man weiss, dass Grübeln und kreisende, negative Gedanken durch fröhliche oder beruhigende Musik leichter losgelassen werden. Per Smartphone kann man sich regelmässig erinnern lassen, sich zu fragen: Bin ich mit meinen Gedanken im Hier und Jetzt oder hänge ich im Negativen fest? Das zu erkennen ist ein Erfolg, für den man sich ruhig auf die Schulter klopfen kann. Anschliessend den Fokus auf etwas Angenehmes lenken. So bekommen wir einen grossen Teil des Unterwassereisbergs unter Kontrolle.

Vielen Dank für das Gespräch.
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