Der Epilepsiewarnhund: ethisch vertretbar im Dienst des Menschen?

Von den Licht- und Schattenseiten der Anfallswarnhunde für Epilepsie

Epilepsiewarnhund: Ein schwarzer Labrador sitzt neben seinem Besitzer und blickt zu ihm auf.

Spoiler

  • Epilepsiewarnhunde können Anfälle frühzeitig erkennen und anzeigen, jedoch nicht zwischen epileptischen und nicht-epileptischen Anfällen unterscheiden.
  • Die meisten Betroffenen berichten in Studien von weniger Anfällen, mehr Sicherheit und einer gesteigerten Lebensqualität durch die Partnerschaft mit ihrem Hund.
  • Einzelne Studien legen nahe, dass Anfallswarnhunde erheblichem Stress ausgesetzt sind und eher stress-induzierte Krankheiten bekommen können.

Herausforderungen im Umgang mit Assistenztieren

Können wir ein Tier streicheln, beruhigt das die Nerven und ist gut für uns. Je nach Tierart, empfindet dieses dabei jedoch enormen Stress: Während ein Hund es unter Umständen gleichermassen geniesst, werden viele Nagetiere einfach starr vor Angst. Es gilt also bei jedem Einsatz von Assistenztieren abzuwägen, ob dieser ethisch vertretbar ist. Dabei stellen sich meist folgende Fragen: Schädigen wir das Tier durch unser Handeln? Entstehen aus solch einer Partnerschaft Vorteile für beide Seiten oder geniesst der Mensch Benefits auf Kosten des Tieres? Und werden durch den Einsatz Tiere instrumentalisiert oder verstehen wir sie als gleichwertige Partner, die selbst dann noch umsorgt werden, wenn sie in ihrer Funktion ausgedient haben? «Aus medizinischer Sicht arbeitet man immer wieder mit dem Konzept der Güterabwägung, um herauszufinden, ob der Einsatz von Tieren ethisch vertretbar ist», erklärt Dr. Imbach. In die Waagschale werden dabei nicht nur die Interessen der Menschen, sondern auch die der Tiere geworfen.

Der Epilepsiewarnhund und seine Kollegen

Für Epilepsiepatienten gibt es gleich drei verschiedene Assistenzhund-Arten, welche ihnen zur Seite gestellt werden können: 

1. Der Epilepsiewarnhund, auch Anfallswarnhund genannt, mit dem wir uns in diesem Artikel überwiegend befassen, warnt seinen Menschen vor Anfällen, bevor diese eintreten. So kann sich die Person an einen sicheren Ort begeben, um die Verletzungsgefahr zu reduzieren, und weitere Vorkehrungen treffen.

2. Ein Epilepsieservicehund bietet während und nach dem Anfall Unterstützung, indem er durch Bellen Hilfe holt oder körperliche Nähe und Schutz bietet.

3. Der Behindertenbegleithund ist nicht nur spezifisch für Epilepsieerkrankte ausgebildet, er supportet seinen Menschen eher auf emotionaler Ebene und steigert die Lebensqualität, indem er soziale Kontakte erleichtert, Gesellschaft leistet, eine Bindung ermöglicht und einen geregelten Tagesablauf einfordert. 

Wie erkennen Epilepsiewarnhunde Anfälle?

In den 90er-Jahren stellte man fest, dass Hunde einen epileptischen Anfall bereits anzeigen können, bevor er überhaupt medizinisch zu erahnen ist. Das führte zu zahlreichen Studien und Versuchen. «Die Gründe, warum gewisse Hunde das können, sind bisher noch nicht vollends geklärt, es gibt jedoch zwei Hauptthesen. Zum einen werden bei einem epileptischen Anfall vermehrt Neurotransmitter und Hormone ausgeschüttet, die den Körpergeruch verändern und daher möglicherweise vom Epilepsiewarnhund erfasst werden können. Zum anderen verändern sich vor Anfällen häufig die Motorik und Stimmung. Da Hunde ausgezeichnete Beobachter sind, nehmen sie bereits kleinste Verhaltensauffälligkeiten wahr», erklärt der Experte. «Für die zweite Theorie spricht, dass teilweise auch Menschen in der Lage sind, Anfälle vorherzusehen, wenn sie mit Betroffenen zusammenleben.»

Vorteile für den Menschen?

Ein Epilepsiewarnhund kann ein recht zuverlässiges Warnverhalten erlernen, jedoch nicht unterscheiden, ob es sich um einen epileptischen Anfall handelt oder um einen nicht-epileptischen, beispielsweise psychisch ausgelösten Zustand. Während des Anfalls sind die Reaktionen der Tiere sehr unterschiedlich und reichen von Dazulegen bis hin zu Abschlecken. «Ob dieses Verhalten der Hunde eine medizinische Relevanz hat, ist nicht untersucht. Aber es kann Betroffenen Gefühle von mehr Sicherheit und Kontrolle der Situation geben», erläutert Dr. Imbach. Einige Studien zeigen, dass sich die Anzahl der Anfälle durch das Zusammenleben mit einem Assistenzhund reduziert. «Woher dieser Effekt kommt, ist unklar. Jedoch liegt es wahrscheinlich nicht direkt daran, dass der Epilepsiewarnhund Bescheid gibt, sondern könnte eher an den veränderten Lebensumständen wie beispielsweise einem geregelten Tagesablauf mit mehr Bewegung, einer verbesserten Bereitschaft für die eigene Gesundheitsfürsorge und weniger Stress liegen.» Eine Erkenntnis zieht sich wie einer roter Faden durch alle Studien, denn die Mehrzahl der Hundefreunde berichtet von einer gesteigerten Lebensqualität und einem höheren Sicherheitsgefühl. «Gerade bei Kindern mit Epilepsie wird der Hund laut den Eltern schnell mal zum neuen besten Freund und hilft natürlich dabei, Kontakt zu anderen Kindern und Schulkameraden herzustellen», so Dr. Imbach.

Schattenseiten beim Epilepsiewarnhund

Zu den Risiken für den Menschen gehört, dass man den Hunden zu viel Verantwortung zumutet, sich darauf verlässt und dann Medikamente oder Überwachungsgeräte nicht mehr richtig einsetzt. Durch die mögliche Verwechslung verschiedener Anfallsarten, könnten ausserdem mehr epileptische Anfälle angezeigt werden, als überhaupt eintreten, und so zu häufig Notfallmedikamente eingenommen werden. In der Regel kommen nur professionell ausgebildete Tiere mit Wesenstest zum Einsatz, dennoch übernehmen manchmal auch nicht-trainierte Hunde diese Aufgabe, bei denen der Stress in aggressives Verhalten umschlagen kann.

Vor allem für den Hund wirft diese Form der Assistenz lange Schatten. «Einzelne Studien legen nahe, dass Epilepsiewarnhunde erheblichem Stress ausgesetzt sind.», weiss der Experte. «Der Hund hat eine besonders enge Bindung zu seinem Menschen, das ist ja auch wichtig. Gerade während eines Anfalls ist diese Bindung durch Trennungsangst existenziell bedroht.» Das schlägt sich ausserdem im Gesundheitszustand von Assistenzhunden nieder, denn sie haben ein höheres Risiko für stress-induzierte Krankheiten.

Ein Fazit

Diese Partnerschaft, die mit Epilepsiewarnhunden eingegangen wird, birgt einige Risiken für Mensch und Tier. «Die Datenlage und Berichte zeigen, dass die Hunde als Frühwarnsystem funktionieren können, aber nicht spezifisch genug unterscheiden. Es stechen vor allem die positiven Effekte auf die Lebensqualität heraus. Wenn Sie mich nun fragen würden, ob ich einen Epilepsiewarnhund einsetzen würde, sage ich ganz klar nein. Nicht nur aus ethischer Sicht, sondern auch aus medizinischer geht die Rechnung für mich nicht auf, denn der Hund ist kein zuverlässiger Sensor. Was ich aber auf jeden Fall empfehlen würde, ist ein Hund als Begleiter, der die Lebensqualität verbessert und den Tagesablauf in vielen Bereichen positiv beeinflusst – denn diese Partnerschaft hat Benefits für beide Seiten.»

Ergänzende Notiz zu Assistenzhunden

Wir haben mit unserem Experten ausschliesslich über den Epilepsiewarnhund gesprochen, der in seiner Tätigkeit der Anfallsdetektion grossem Stress ausgesetzt ist. Das lässt sich natürlich nicht auf andere Arten von Assistenzhunden wie Blindenführhunde, Begleithunde bei psychischen Erkrankungen oder Behindertenbegleithunde und Co. übertragen. Wie viel diese Aufgabe von beiden Seiten abverlangt oder beiden Seiten zuträglich ist, variiert sehr stark in Abhängigkeit von der Position und Verantwortung des Tieres sowie der Diagnose des Menschen.

Zur Information: Das Interview fand im Rahmen der der Ethik-Tagung der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung (EPI) zum Thema «Weggefährten – Wenn Tiere in Assistenz und Therapie gefragt sind» statt. 

Facebook
Email
Twitter
LinkedIn