Wird bei einem Menschen ADHS vermutet, arbeiten Spezialistinnen und Spezialisten mit einem Fragebogen, um die genauen Symptome und die daraus resultierenden Probleme im Alltag zu erfassen. Diese ADHS-Fragebogen gibt es zwar auch für den Hund, darin wird aber nicht zwischen den verschiedenen Formen der Verhaltensauffälligkeit wie beispielsweise Hyperaktivität und Impulsivität unterschieden.
Das wollte das ungarische Forschungsteam rund um die Biologin Barbara Csibra ändern und befragte mehr als 1’100 Halterinnen und Halter von verhaltensauffälligen Hunden. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift «nature» veröffentlicht.
Hyperaktiv, impulsiv, unkonzentriert
Das Team machte statistisch drei Dimensionen von ADHS bei den Hunden aus:
- Aufmerksamkeitsstörungen: Die Hunde können sich schlecht konzentrieren. Sie lernen deshalb Kommandos und Tricks im Vergleich zu anderen Hunden viel langsamer. Zudem vergessen sie Gelerntes schneller.
- Hyperaktivität: Die Vierbeiner lösen sich leicht aus Kommandos und rennen beispielsweise einfach los. Sie sind unruhig und kommen auch an gewohnten Orten nicht zur Ruhe.
- Impulsivität: Dieses Symptom zeigte sich besonders dann, wenn Reize beim Schnuppern zu Kurzschlussreaktionen führten. Ungeduld ist ein weiteres Anzeichen von Impulsivität. Diese Hunde lassen sich von ihren Halterinnen und Haltern nur schwer kontrollieren.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein Hund mit ADHS mehr einem betroffenen Erwachsenen als einem Kind ähnelt. Bei Kindern treten Hyperaktivität und Impulsivität häufig gemeinsam auf und werden deshalb nicht separat aufgeführt.
Bei Erwachsenen hingegen lässt die Hyperaktivität oft nach, nicht jedoch die Impulsivität. Die Untersuchung brachte zutage, dass diese zwei Eigenschaften auch bei Hunden unabhängig voneinander auftreten können: Männliche Tiere neigten zu impulsiverem Verhalten als Weibchen, waren jedoch nicht hyperaktiver. Dagegen verhielten sich junge Hunde hyperaktiver, waren jedoch nicht impulsiver als ältere Tiere.
Vierte Dimension von ADHS beim Hund: Vokalisation
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stiessen auf eine vierte Dimension, die sogenannte Vokalisation. Damit sind Bellen, Winseln und Jaulen gemeint. Die Laute interpretierten die Forschenden allerdings nicht als Symptom, sondern als eine Folgeerscheinung von ADHS beim Hund. Dies ähnele dem Verhalten von hyperaktiven, impulsiven Kindern, die häufig ohne Pause redeten, so das Forschungsteam.
Die Forschungsergebnisse flossen in einen neuartigen Fragebogen für Hundehalter, die «Dog ADHD and Functionality Rating Scale».
Nicht erste Studie zu ADHS beim Hund
Bereits 2021 publizierten Forschende der Universität Helsinki eine ähnliche Studie. Bei mehr als 10’000 jungen, männlichen Hunden wurden damals ADHS-ähnliche Symptome dokumentiert. Die Symptome traten vor allem dann auf, wenn die Tiere oft allein gelassen wurden. Weitere Folgeerscheinungen dieser Isolation waren Aggressivität, Angst oder zwanghaftes Verhalten. Dies sind Merkmale, die auch bei Menschen mit ADHS auftreten können.
Auffälligkeiten stecken in den Genen
Bereits seit Längerem besteht der Verdacht, dass ADHS eine genetische Komponente haben könnte. Diese Vermutung zeigte sich auch bei Hunden: Während das Team der Universität Helsinki Hyperaktivität und Impulsivität besonders häufig bei Mischlingen und Deutschen Schäferhunden nachweisen konnte, wurde dieses Verhalten bei Zwergschnauzern kaum beobachtet. Unaufmerksamkeit trat hingegen oft bei Finnischen Lapphunden auf, war bei Spanischen Wasserhunden jedoch selten.
Mitverantwortlich für die typischen Verhaltensweisen von einzelnen Hunderassen ist der Mensch: Durch gezielte Zucht wurden Rassen hervorgebracht, die beispielsweise einen hohen Bewegungsdrang und eine ausgeprägte Reizempfindlichkeit aufweisen. Für Hundehalterinnen und Hundehalter ist es deshalb wichtig, auf die Eigenschaften und Bedürfnisse ihres Tieres einzugehen und aktive Hunderassen ausgiebig zu beschäftigen.
