Wendy Mogel über die Tücken des Elternseins

«Kinder sind wie Samen ohne Beschreibung»

Dr. Wendy Mogel
Sie sagen, die meisten Eltern beherrschen Kommunikation prima. Bis sie mit ihren Kindern reden.

Ich habe das über Jahre in Sitzungen mit Eltern beobachtet. Wird das Gespräch etwas schwierig, schiesst die Tonlage schrill in die Höhe. Eltern sprechen plötzlich flehend, persönlich verletzt, empört. Sie bringen zum Ausdruck, dass sie nicht damit umgehen können, dass sich das Kind wie ein Kind benimmt. So geht ihnen Autorität verloren.

Wie kann es besser laufen?

Fast nie sind sich Eltern darüber bewusst, wie sie gerade sprechen. Die Bewusstwerdung ist der erste Schritt, es besser zu machen. Ich rate immer: Wenn du hungrig, einsam, ärgerlich oder müde bist und ein Gespräch aus dem Ruder läuft, stoppe. Atme tief durch. Sag zum Kind: «Lass uns später noch mal darüber sprechen.» Machen Eltern schlafen extrem wenig, sehen tagelang nur Kinder oder haben seit Ewigkeiten nicht mehr herzlich mit anderen Erwachsenen gelacht!

Wichtig ist, dem Kind ohne Vorurteil zuzuhören. So, wie wir einem Freund zuhören würden. Anstatt zu fragen: «Wie war es in der Schule?», ist es eine gute Idee, mal zu sagen: «Ich habe heute an dich gedacht, als ich …» Die Lücke darf mit etwas gefüllt werden, was das Kind gerade interessiert.

In Ihrem Buch sprechen Sie vom Segen einer schlechten Note. Wieso?

Ich halte es für ein Handicap, super talentiert zu sein. Kinder mit grossen intellektuellen Fähigkeiten und einer Familie, die jedes Mal eine Parade veranstaltet, wenn sie ein gutes Zeugnis heimbringen, lernen nicht, Herausforderungen zu bewältigen. Sie entwickeln nicht den Wunsch, auszuprobieren, was sie noch nicht können. So gehen ihnen wichtige Erfahrungen verloren.

Strengen Eltern sich zu sehr an?

Wir möchten so sehr, dass unsere Kinder glücklich sind, dass wir uns anstrengen, ein glückliches Kind glücklicher zu machen. Erfolgreich soll es auch sein. Viele vernachlässigen dabei, sich um sich selbst und ihre erwachsenen Beziehungen zu kümmern. Das Kind bekommt den Eindruck, dass das seelische Wohl der Eltern von seinen Leistungen abhängt. Eine Bürde. Eltern geben so kein gutes Beispiel, dass es ein Vergnügen ist, erwachsen zu sein. Sie leben durch ihre Kinder.

Klingt, als wäre es gut für Kinder, den Eltern mal zu entfliehen?

Kinder brauchen inspirierende Erwachsene in ihrem Leben, die nicht ihre Eltern sind. Bei den Elefanten helfen alle weiblichen Tiere der Herde, ein Junges aufzuziehen. Das fehlt Eltern heute.

Früher schien Elternsein mehr nebenbei zu passieren, heute ist es ein Riesenprojekt. Was ist da passiert?

Eltern sind heute älter und haben weniger Kinder. Dazu kommen Sorgen: Die Wirtschaft ist weniger verlässlich, manche Regierungen kaum vertrauenswürdig, der Arbeitsmarkt instabil. Und der Zustand unseres wunderbaren blauen Planeten ist besorgniserregend. Es gibt den psychologischen Abwehrmechanismus der Verlagerung: Eltern verlagern diese Ängste vor Dingen, die sie nicht in der Hand haben, auf das Einzige, was sie kontrollieren können – ihr Kind. So hat sich ein Perfektionismus entwickelt.

Was macht der mit uns?

Für jede Kleinigkeit, jede schwache Note oder schlechte Stimmung des Kindes machen Eltern sich selbst verantwortlich und wollen das Problem lösen. Sie nehmen die Rolle des Managers oder PR-Agenten der Kinder ein, der ihnen erzählt, wie toll sie sind. Eltern verausgaben sich, anstatt das Unperfekte als das zu sehen, was es ist: Teil der holprigen Reise durchs Leben.

Also zurücklehnen und entspannen?

Genau. Du kannst dein Kind wie einen Samen ohne Beschreibung sehen. Du weisst nicht, welche Blume du bekommst, ob sie blühen wird, und wenn ja, ob die Blüte rot oder gelb sein wird. Alles, was du tun musst, ist, ihm Nahrung und Wasser zu geben, das gröbste Unkraut zu jäten und ansonsten – tritt einen Schritt zurück und geniess die Show.

Vielen Dank für das Gespräch.

Helikopter- versus Free-Range-Eltern

Free-Range Parenting

Oder auch Freiland-Elternschaft: ein Erziehungskonzept, bei dem Eltern Kinder ermutigen, Dinge auszuprobieren und sich unabhängig und ohne ständige Kontrolle zu entwickeln.

  • Vorteil: Kinder entwickeln Eigenverantwortung, bekommen Selbstvertrauen und lernen, Probleme selbst zu lösen.
  • Schwierigkeit: das richtige Mass zu finden. Wie viel ist dem Kind entsprechend seinem Entwicklungsstand zuzutrauen? Wo beginnt Vernachlässigung?

Helikopter-Eltern

Helikopter-Eltern sind überfürsorglich und haben jeden Schritt des Kindes im Blick. Sie sind besonders involviert in sein Leben und wollen es schützen.

  • Vorteil: Das Kind wird keinen plötzlichen Risiken ausgesetzt.
  • Schwierigkeit: Die Kinder erleben weniger Selbstwirksamkeit, sie werden unselbstständig, ängstlich, suchen nach Führung und stehen durch die Kontrolle der Eltern unter hohem Druck.
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