Forschende der Universität Stanford in den USA haben mithilfe künstlicher Gehirne, sogenannten Hirnorganoiden, die Entwicklung des menschlichen Gehirns in einer Laborschale simuliert. Was nach dystopischem Science-Fiction-Roman klingt, hat möglicherweise weitreichende Auswirkungen auf die Therapie von neurologischen Erkrankungen wie Autismus: Die Wissenschaftler entdeckten dabei, dass mehrere Gene den Entwicklungsprozess des Gehirns stören können. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Studienautoren in der renommierten Fachzeitschrift Nature.
Autismus steht mit über 500 Genen in Verbindung
Bereits seit längerem ist bekannt, dass Krankheiten wie Autismus mit rund 500 Genen in Zusammenhang stehen. Unklar war bisher, was diese Gene im Gehirn genau bewirken. Hier setzt die Studie an. Im Fokus der Forschung lagen zwei unterschiedliche Nervenzellen (Neuronen) in der Grosshirnrinde, dem Kortex. Die dort wirkenden exzitatorischen Neuronen aktivieren andere Nervenzellen. Die sogenannten inhibitorischen Neuronen bewirken das Gegenteil: Sie hemmen andere Nervenzellen. Wird dieses empfindliche Gleichgewicht gestört, fördert dies die Entstehung von Autismus und Epilepsie, so eine bekannte Theorie. «Wenn das stimmt, könnte man Wege finden, um das Gleichgewicht dieser Zellen in der Hirnrinde zu verändern und so die Störungen zu behandeln», sagt Mitautor der Studie Sergiu Pasca in einer Pressemitteilung.
Um diese Theorie zu bestätigen, fragten sich Pasca und seine Mitautoren zunächst, welche Rolle Gene bei der Entstehung von neurologischen Krankheiten spielen.
425 Gene getestet
Bis vor kurzem gab es keine Möglichkeit, die frühe Gehirnentwicklung beim Menschen zu untersuchen. Doch die von Pasca mitentwickelten künstlichen Gehirne, die aus menschlichen Stammzellen gezüchtet wurden, erlauben es, sogenannte Interneuronen zu untersuchen. Das sind Nervenzellen, die meist inhibitorisch wirken, also hemmend. Interneuronen bilden sich tief im Gehirn und wandern langsam Richtung Grosshirnrinde. Dieser Prozess beginnt bereits in der Mitte der Schwangerschaft und ist etwa im zweiten Lebensjahr des Kindes abgeschlossen.
Das Forschungsteam untersuchte am Hirnmodell 425 Gene, die mit neurologischen Entwicklungsstörungen, darunter auch Autismus, in Verbindung gebracht werden. Sie wollten herausfinden, welche Gene die Entstehung und Wanderung der Interneuronen beeinträchtigten.
Zusätzlich zur Erforschung dieser Gewebestrukturen setzten die Wissenschaftler auch die CRISPR-Technologie ein. Diese Genschere ermöglichte es ihnen, gezielt bestimmte Gene auszuschalten und die Auswirkungen zu beobachten. Auf diese Weise konnten sie insgesamt 46 Gene identifizieren, die die Entwicklung von hemmenden Nervenzellen beeinflussen und somit zu einem Ungleichgewicht im Gehirn führen können.
Zudem fanden sie heraus, dass eines der Gene, das für die Wanderung der Interneuronen mitverantwortlich ist, auch Anfallsleiden begünstigt. Anfälle wie etwa bei Epilepsie sind ein Ausdruck neuronaler Überregung; die Nervenzellen werden nicht ausreichend gehemmt.
Menschen, die an einer Autismus-Spektrum-Störung leiden, sind zudem häufig auch von Epilepsie betroffen.
Autismus nicht allein durch Gene erklärbar
Diese Erkenntnisse könnten einen bedeutsamen Schritt in Richtung einer effektiveren Behandlung von neurologischen Entwicklungsstörungen darstellen. Experten betonen jedoch, dass das Ungleichgewicht der Neuronen nur eine von mehreren Ursachen für die Entstehung von Autismus sei. Neben Genen spielen vermutlich auch defekte Zellen eine entscheidende Rolle.