Seit Wochen steigt die Zahl der Neuinfektionen. Kann man noch von Hotspots sprechen oder sind wir in der zweiten Welle angekommen?
Solange wir identifizieren können, wo die Übertragungen stattfinden, befinden wir uns nicht in einer zweiten Welle. Aktuell hat es in der Schweiz lokal aufflammende Herde, die es möglich machen, dass gezielt interveniert wird. Die Lage ist damit, wie die Zahlen zeigen, insgesamt kontrollierbar.
Steht uns die zweite Welle in der Grippe- und Erkältungssaison bevor?
Das hängt nicht so sehr von den Erkältungs- und Grippevieren ab, sondern vor allem von der Verantwortung jedes einzelnen in Bezug auf die Corona-spezifischen Massnahmen. Wenn die Hygienemassnahmen eingehalten, auf Distanz geachtet und bei geringem Abstand eine Maske getragen wird, sinkt das Infektionsrisiko – auch direkt, auch teilweise für die Grippe. Halten wir also diese Grundmassnahmen und die Prozesse der Überwachung und des gezielten Antwortens ein, so können wir eine zweite Welle vermeiden.
Sollte sie dennoch kommen, würde sich der Lockdown vom Frühling wiederholen?
Einen zweiten nationalen Lockdown sehe ich nicht, auch mit Blick auf die aktuelle Verteilung der Infektionen. Das wäre sozial und wirtschaftlich nicht geraten und fatal.
Wann halten Sie einen Mund-Nasen-Schutz für angebracht?
Ein generelles Tragen von Masken hat die Task Force nie gefordert. Wir haben geraten, die Masken dann zu tragen, wenn die Distanz zu anderen Menschen über zehn Minuten nicht eingehalten werden kann. Insofern ist eine Maske zum Beispiel in einem Grossverteiler in Basel mit hohen Kundendichten sinnvoll, aber nicht in einem Dorfladen in Uri, in dem sich stets wenig Menschen gleichzeitig aufhalten. Es ist auch ein Unterschied, ob die öffentlichen Verkehrsmittel während der Stosszeiten oder mehr oder weniger allein um Mitternacht genutzt werden. Der Föderalismus ist hier gut geeignet, um regionale, verhältnismässige Entscheidungen zu treffen, die der Situation vor Ort angemessen sind.
Das Tragen von Masken ist in der Bevölkerung sehr umstritten.
Die Diskussion ist schwierig: Die Maske bietet keinen 100-prozentigen Schutz, ist aber auch kein 100-prozentiger Quatsch. Wissenschaftlich erwiesen, tragen Masken zur Verminderung der Übertragung bei und sind damit Teil der Massnahmen. Die Frage ist immer, wie die Maske getragen wird. Wenn sie als Dekoration um den Hals hängt, nur den Mund, nicht aber die Nase bedeckt, und nie gewechselt wird, ist sie natürlich nicht sehr sinnvoll.
Sollten die politischen Entscheider Kritiker stärker berücksichtigen oder ihre Entscheidungen besser vermitteln?
Beides ist wichtig. Kommunikation ist in einer Krise das A und O. Wichtig ist, dass man einander zuhört, gut kommuniziert und keine Propaganda verbreitet. Wir dürfen uns nicht von Angst und Panik dominieren lassen. Das gilt besonders dann, wenn soziale Einschränkungen zu Stresssituationen führen.
Wurden die psychischen und sozialen Folgen der Epidemie unterschätzt?
Sie wurden nicht unterschätzt, aber manchmal zu wenig beachtet. Laut einer aktuellen Studie litten etwa 50 Prozent der Schweizer während des Lockdowns und in der Zeit danach unter Stress – in der Familie und am Arbeitsplatz. Homeoffice ist eben nur toll, wenn man privat komfortabel genug eingerichtet ist. Oder denken Sie an Homeschooling oder die Extremisolation in Pflegeheimen. Es ist wichtig, dass Massnahmen ergriffen werden, durch die die soziale Lage nicht nachhaltig geschädigt wird.
Wann werden wir wieder zurück zur gewohnten Normalität kommen können?
Viele Menschen unterschätzen, dass wir in der Schweiz einen sehr gemässigten Lockdown erlebt haben. In dem oft als liberal gerühmten Schweden gelten aktuell noch Beschränkungen, die deutlich gravierender sind als hierzulande.
Bis zum Frühling wird es wohl keine «normale» Normalität geben, danach werden wir schrittweise zum gewohnten Alltag zurückkehren. Solange geht es nicht darum, nur auf einen Impfstoff zu warten. Wir können sehr viel tun, um die Pandemie zielgerichtet zu bekämpfen. Dabei ist jeder einzelne in der Verantwortung.
Sie nehmen immer wieder an auch sehr aufgeheizten Gesprächsrunden teil. Machen Ihnen die Anfeindungen zu schaffen?
Nein, wir müssen im Gespräch bleiben. Damit ein Miteinander möglich ist, muss man den Menschen offen zuhören, ohne gleich zu kategorisieren.
Mich belastet es nur, wenn jemand ein Gespräch schlicht verweigert. Ich glaube fest daran, dass wir alle im selben Boot sitzen und diese Herausforderung nur gemeinsam lösen können.