Wie wir Demenz vorbeugen und richtig behandeln können

Das schleichende Vergessen

Baum

Spoiler

  • In der Schweiz leben schätzungsweise 144 337 Demenzkranke.
  • Fünf Prozent sind junge Betroffene zwischen 30 und 64 Jahren.
  • Eine genaue Diagnostik ist wichtig! Denn hinter geistigem Abbau können auch gut behandelbare Erkrankungen stecken.

Eine Demenz hat viele Gesichter: Hinter dem Begriff verbirgt sich eine Vielzahl von Krankheiten, bei denen Hirnfunktionen wie Denken, Gedächtnis, Sozialverhalten, Orientierung oder Sprache zunehmend beeinträchtigt sind. Grösster Risikofaktor ist das Alter. «Es ist eine Tatsache, dass wir immer älter werden», sagt Dr. Kristina Göhl-Freyn, Neurologin mit Schwerpunkt Demenz am Kantonsspital St. Gallen. «Knapp die Hälfte aller über 90-Jährigen leidet an einer Demenz». Doch auch jüngere Menschen unter 65 Jahren können betroffen sein. Die gute Nachricht: Demenz vorbeugen funktioniert.

Nicht nur Erinnerungslücken

Was im Gehirn passiert, ist leicht zu beschreiben: Nervenzellen gehen zugrunde. Verbindungen lösen sich und geistige Fähigkeiten gehen verloren. Das kann verschiedene Gründe haben, und je nachdem, wo der Abbau im Gehirn passiert, treten verschiedene Symptome auf. «Gedächtnisprobleme sind klassische erste Zeichen. Es gibt aber auch andere Symptome, die oft zuerst nicht mit einer Demenz in Verbindung gebracht werden. Betrifft die Demenz die Sprache, bemerkt man das daran, dass Wortvielfalt oder Grammatik leiden. Betrifft sie die räumliche Orientierung, kommt es etwa zu Verlaufen oder Autounfällen. Auch Verhaltensauffälligkeiten können Zeichen einer Demenz sein», weiss Dr. Göhl-Freyn.

Demenz vorbeugen

Die zwei häufigsten Formen sind Alzheimer und die vaskuläre Demenz.  Bei der Alzheimerdemenz gehen Nervenzellen aufgrund von Ablagerungen bestimmter Eiweisse im Gehirn zugrunde. Hier schreiten die Symptome langsam voran. Die Ursache ist derzeit nicht beeinflussbar, doch es gibt Medikamente, die das Fortschreiten leicht verlangsamen.

Bei der vaskulären Demenz ist das Gehirn durch «Verkalkung» kleinster Blutgefässe chronisch minderdurchblutet. «Dieser Demenz kann gut vorgebeugt werden, indem die Risikofaktoren minimiert werden», erklärt Dr. Felbecker, leitender Arzt der Klinik für Neurologie am Kantonsspital St. Gallen. Das heisst: Nicht rauchen und den Blutdruck und die Blutfettwerte regelmässige kontrollieren. Sind sie zu hoch, werden sie medikamentös gesenkt. Ein Diabetes sollte frühzeitig behandelt werden. Zudem schützen regelmässige Bewegung, eine ausgewogene, mediterrane Ernährung und Vermeidung von Übergewicht vor einer vorzeitigen Blutgefässalterung und somit vor einer vaskulären Demenz.

Gehirnjogging zur Vorbeugung

Geistige Aktivität und Flexibilität kann das Auftreten einer Demenz hinausschieben und das Fortschreiten verlangsamen. «Es ist besonders wichtig, sozial aktiv zu bleiben», sagt Dr. Felbecker. «Soziale Interaktion ist eine komplexe Leistung, die das Hirn vollbringen muss, ein gutes Training.» Freundschaften, Vereine und Hobbies schützen somit vor kognitivem Abbau. Viele ältere Menschen ziehen sich etwa aufgrund von Hörproblemen mehr und mehr zurück. Einfache Massnahmen wie zum Beispiel die Entscheidung zu einem Hörgerät können daher auch in Hinblick auf die kognitive Gesundheit nützlich sein.

Der Fokus der Therapie einer Demenz liegt neben dem Ausschalten der Risikofaktoren auf Angeboten, die ein Fortschreiten verlangsamen und die Lebensqualität Betroffener verbessern: Neben Physio-, Ergo- oder Sprachtherapie spielen auch Hilfs- und Beratungsangebote für Angehörige eine wichtige Rolle. «Je früher diagnostiziert, desto besser kann das Leben mit der Demenz organisiert werden. Ein gutes Vorausdenken möglicher Probleme kann eine Überforderung aller Beteiligten abfangen», erklärt Dr. Dr. Göhl-Freyn.

Demenz vorbeugen und nicht wegschauen

Oft erscheinen Betroffene erst dann beim Arzt, wenn die Symptome schon weit fortgeschritten sind, sie mit ihrem Alltag nicht mehr zurechtkommen oder bereits durch die Pflegebedürftigkeit eine Überlastung des sozialen Umfelds eingetreten ist. Dies macht vieles schwieriger, etwa auch die Äusserung des Patienten zu seinen Wünschen in Form einer Patientenverfügung.  Doch viele Angehörige finden es schwierig, Betroffene bei ersten Zeichen einer möglichen Demenz darauf anzusprechen. «Ich rate, betroffene Familienangehörige zu ermutigen, neben dem körperlichen Check-up beim Arzt auch einen geistigen Check-up durchführen zu lassen», so Dr. Göhl-Freyn. Erster Ansprechpartner ist hier der Hausarzt. Er kann entscheiden, ob ein Besuch beim Neurologen oder in einer Memory Clinic sinnvoll ist. Es ist wichtig, zu untersuchen, ob tatsächlich eine Demenz vorliegt, oder eine andere, möglicherweise sogar besser behandelbare Erkrankung.

Integriert und gebraucht

Wenn einem Menschen die Erinnerungen langsam entgleiten, ist es umso wichtiger, gut in ein soziales Gefüge integriert zu sein. Die Neurologin weist darauf hin, dass es nicht hilft, ihm jetzt alles abzunehmen: «Betroffenen tut es gut, ins Familienleben einbezogen zu sein und Aufgaben zu übernehmen. Den Tisch decken, die Wäsche falten oder kleine Gartenarbeiten funktionieren trotz Einschränkungen. Wenn auch langsamer oder weniger akkurat.»

Gut zu wissen

Memory Clinic

Gedächtnisambulanz, die Störungen der Hirnleistungsfähigkeit abklärt. Verschiedene Fachärzte und Neuropsychologen finden in Zusammenarbeit zu einer genauen Diagnose und können dann einen individuellen Behandlungsplan erstellen. Eine Liste aller Schweizer Angebote auf www.alzheimer-schweiz.ch

Alzheimer Schweiz

Informationen, Beratung und Schulung für Angehörige sowie Gruppenaktivitäten für Betroffene. Tel. 058 058 80 00. www.alzheimer-schweiz.ch

Entlastung zu Hause

Ob stundenweise Betreuung, Tagesklinik einmal pro Woche, Einkaufshilfe oder Unterstützung bei der Körperpflege: Je nach Bedarf gibt es ein weites Spektrum an Hilfsangeboten. Hausärzte kennen die lokalen Angebote und geben Auskunft oder verweisen an eine Memory Clinic.

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