Können Sie kurz erläutern, welche Rolle die Genetik bei der Entstehung von Krebs spielt?
Mutationen in den Genen können zu einem ungenügend geregelten Zellwachstum führen und sind damit die Ursache von Krebserkrankungen. Die meisten dieser Mutationen entstehen im Laufe des Lebens aus verschiedenen Gründen, einige dieser Veränderungen können jedoch bereits angeboren sein. Diese vererbten Mutationen sind die Ursache für familiär gehäufte Tumoren.
Welche Krebsarten liegen oftmals in der Familie?
Am häufigsten werden diese Arten von Tumoren bei Brust-, Eierstock-, Darm- und Prostatakrebs gefunden. Daneben gibt es aber auch noch weitere Tumoren, die einen familiären Hintergrund haben wie bei der Schilddrüse, Bauchspeicheldrüse, den Nieren und anderen Organen.
Welche spezifischen Gene sind bekannt dafür, dass sie das Risiko für die Entwicklung bestimmter Krebsarten erhöhen? Wie werden diese Gene vererbt?
Es sind um die 20 Gene bekannt, welche das Risiko, an Krebs zu erkranken, stark erhöhen. Am wichtigsten sind die sogenannten Brustkrebsgene BRCA 1 und 2. Diese können über die Mutter oder über den Vater vererbt werden. Bei den Trägerinnen dieser Mutationen ist das Risiko, an Brustkrebs oder Eierstockkrebs zu erkranken, sehr hoch. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses mutierte Gen später zudem auf ein Kind übertragen wird, beträgt 50 Prozent.
Welche Tests stehen zur Verfügung, um anhand der Genetik das Krebsrisiko einer Person zu bewerten?
Mutierte Gene können durch einen Bluttest in spezialisierten Laboren exakt nachgewiesen werden. Vorgängig zu diesem Test und auch zur Resultatbesprechung sollte eine Beratung durch eine Spezialistin oder einen Spezialisten erfolgen. Schon die Vorgeschichte zu Krebserkrankungen in der Familie gibt Aufschluss, ob und wenn ja, welche Gene am besten untersucht werden sollen.
Wer sollte sich demnach testen lassen?
Wenn in der Familie, speziell bei engen Verwandten wie Eltern, Grosseltern, Geschwistern oder Kindern mehrere Krebsfälle auftreten. Insbesondere, wenn die Krebsdiagnose bei jüngeren Personen gestellt wird, beispielsweise Brustkrebs vor dem 40. Lebensjahr, empfiehlt sich zumindest eine Beratung, ob eine genetische Testung sinnvoll ist. Wenn jemand bereits erkrankt ist, kann ein Gentest ebenfalls sinnvoll sein, um die individuell beste Therapie zu bestimmen. Das gilt auch bei Fällen, in denen es keine familiäre Häufung an Krebserkrankungen aufgrund der Genetik gibt.
Welchen Einfluss hat das Wissen über das Risiko auf Prävention und Behandlung?
Wenn man um eine Neigung aufgrund der Genetik weiss, kann man die Krebsvorsorge zur Früherkennung anpassen. Beispielsweise startet man mit der üblichen Vorsorge für Prostatakrebs bereits mit 40 Jahren und nicht erst mit 50. Oder bei einer genetischen Neigung zu Darmkrebs beginnt man schon früher mit Darmspiegelungen und wiederholt diese häufiger als nur alle zehn Jahre.
Das Wissen um eine angeborene Tendenz zu Krebs kann zudem die Art der Behandlung beeinflussen. So kann zum Beispiel bei einer Veranlagung zu Brustkrebs anders entschieden werden, wenn es darum geht, ob die ganze Brust oder nur der Tumor entfernt wird. Darüber hinaus ermöglichen bestimmte genetische Veränderungen den Einsatz einer Immuntherapie oder von Medikamenten, welche sich speziell bei diesen Mutationen als sehr gut wirksam erwiesen haben.
Geht mit einem hohen Risiko immer eine Behandlung einher, beispielsweise die Entfernung der Brüste, oder folgt ein engmaschigeres Screening?
Welches Vorgehen am besten geeignet ist, entscheidet sich je nach Krebsart, Alter und Umfeld sehr individuell. Es hat sich gezeigt, dass engmaschige Vorsorgeuntersuchungen einer Mastektomie etwa gleichwertig sind. Manche Frauen entscheiden sich zunächst für eine intensivierte Vorsorge und dann, nachdem die Kinder gestillt wurden, für die Brustentfernung. Da es für Eierstockkrebs keine gut wirksame Vorsorge gibt, wird beim Nachweis einer Mutation des BRCA-Gens eine chirurgische Entfernung der Eierstöcke und Eileiter empfohlen, sobald die Familienplanung abgeschlossen ist.
Wie sehen Sie das für die Zukunft: Wird sich die Art, wie Krebs bekämpft wird, aufgrund innovativer genetischer Therapieansätze verändern?
Genetische Veränderungen, die die Krebsentwicklung begünstigen, führen schon jetzt zur Wahl bestimmter Medikamente oder bewirken ein anderes chirurgisches Vorgehen. Diese Form der personalisierten Medizin wird sich noch stark weiterentwickeln. Leider sind wir zurzeit aber noch nicht in der Lage, die mutierten Gene selbst zu «reparieren». Wir können uns einfach das Wissen um den Zusammenhang zwischen der Genetik und Krebserkrankungen zunutze machen und Prävention und Behandlungen optimieren.
Vielen Dank für das Gespräch.