Weibliche Selbstbefriedigung

«Alle Menschen haben das Recht, sich und ihre Sexualität zu entdecken.»

Selbstbefriedigende Frau
Frau Steiner, warum wird weibliche Selbstbefriedigung häufig anders wahrgenommen als männliche?

Das hat damit zu tun, dass Jahrhunderte lang gesagt wurde, Männer hätten den stärkeren Sexualtrieb als Frauen und Sexualität diene bei Frauen vorwiegend der Fortpflanzung. So etwas hat Auswirkungen – und zwar bis heute. Die weibliche Selbstbefriedigung, Sexualität und somit auch Lust werden immer noch stark tabuisiert. Jungs wachsen schon von klein auf mit viel Bewusstsein für ihre äusseren Geschlechtsorgane auf. Über den Penis, Hoden und die Eichel wird mit einer Selbstverständlichkeit gesprochen, und wie viele informelle Begrifflichkeiten es für das männliche Geschlechtsorgan gibt, müssen wir hier gar nicht erst aufzählen. Dazu kommt auch noch, dass es für Jungs viel normaler ist, sich an den Schritt zu fassen. Solche Berührungen werden weniger häufig unterbunden als wenn sich ein Mädchen auf einem Schaukelpferd reibt. Dementsprechend sieht für Mädchen die Situation ganz anders aus. Die Klitoris ist im Gegensatz zum Penis versteckt. Man spricht eher über Vulva, Vagina oder Gebärmutter, aber fast nie über das Lustorgan der Frau. Das geht sogar so weit, dass es in Aufklärungsbüchern fehlerhafte Darstellungen des weiblichen Geschlechtsorgans gibt, auf denen die Klitoris gar nicht oder nur der äussere Teil dargestellt wird. Es gibt weniger informelle Begriffe und wenn, dann negativ konnotierte. Oftmals wird einfach nur «da unten» gesagt.

Auch in Filmen wird die weibliche Selbstbefriedigung und Sexualität unzureichend präsentiert.

Genau. Zur Klarstellung: Wir sprechen jetzt von Spielfilmen und Serien und nicht pornografischen Darstellungen. Da gibt es vor allem zwei Stereotype von weiblicher Sexualität, die in Extreme fallen. Die passive Frau, die erobert werden will, geduldig auf ihren Prinzen wartet und ihre Lust nicht zeigt. Am anderen Ende des Spektrums wartet die hypersexualisierte Frau. Ein bekanntes Beispiel einer Frau, die Selbstbewusst ihrer Sexualität nachgeht, ist Samantha Jones aus «Sex and the City». Sie ist ständig auf der Suche nach sexuellen Abenteuern und steht für ihre sexuellen Bedürfnissen ein. Das wird in der Gesellschaft bis heute negativ konnotiert. Solche Stereotype können natürlich schädlich sein, da sie die Komplexität der weiblichen Sexualität leugnen und die Vielfalt der Erfahrungen und Wünsche von Frauen ignorieren, was zu Grenzüberschreitungen führen kann. Ausserdem gehen damit meist moralische Bewertungen einher. Es braucht heute eine vielfältigere Darstellung weiblicher Sexualität. Zum Glück gibt es bereits einige gute Beispiele, wie die Serien «Sex Education» oder «Eight Sense». Sie betonen, wie facettenreich die weibliche Sexualität wirklich ist und stellen sie in einem positiven Licht dar.

Und welche Auswirkungen kann es konkret auf die sexuelle Gesundheit von Frauen haben, wenn so wenig über weibliche Selbstbefriedigung diskutiert wird?

Es kann dazu führen, dass Frauen sich weniger selbst entdecken, Hemmungen oder Scham empfinden, wenn sie sich berühren. Dass die Vorstellung von Selbstbefriedigung mit Scham oder Ekel verbunden ist, kann ebenfalls ein Ausdruck der Tabuisierung sein. Dabei kann Masturbation Frauen helfen herauszufinden, was ihnen selbst gefällt, wo und wie sie gerne berührt werden und wo nicht. Dies kann auch das Selbstbewusstsein fördern – die Frau kennt ihren eigenen Körper und weiss, was ihr gefällt. Dies wiederum kann sich positiv auf romantische Beziehungen auswirken: Da es helfen kann offener über die eigenen Vorlieben zu sprechen, den Partner anzuleiten und auszudrücken, was sie schön findet. Ausserdem muss weibliche Selbstbefriedigung nicht nur mit Lustbefriedigung verbunden sein. Sie kann auch dazu dienen, nach einem langen und stressigen Tag abzuschalten und zu entspannen. Viele Menschen nutzen sie auch als Einschlafhilfe oder um sich in ihrem eigenen Körper wohlzufühlen.

Was möchten Sie Frauen auf den Weg geben, die sich schämen, wenn sie ihren eigenen Körper erkunden oder sich selbst befriedigen?

Wichtig ist, dies nicht zu verurteilen. Selbstbefriedigung kann etwas sein, das Frau will oder nicht will. Das ist völlig okay.

«Letztlich ist es eine Spielart der Sexualität und jede Frau hat das Recht, selbst darüber zu entscheiden, ob sie diese Spielart praktizieren möchte oder nicht.»

Man schuldet niemandem Rechenschaft. Ich bin der Ansicht, dass der Zugang zu Informationen und Sexualaufklärung nicht nur für diese Frauen, sondern für alle eine bedeutende Rolle spielt. Eine umfassende Sexualaufklärung und sexuelle Bildung können helfen, das Schamgefühl abzubauen und das Thema mit mehr Wissen und Offenheit anzugehen. Danach liegt es bei jeder einzelnen Frau, wie sie mit diesen Informationen umgeht. Nur kurz als Beispiel: Es kann hilfreich sein zu wissen, dass fast alle Menschen in Studien angeben, Selbstbefriedigung zu betreiben – und dies oft bis ins hohe Alter. Dennoch sollte nie der Eindruck entstehen, dass alle sich selbstbefriedigen müssen. Solche Erwartungen können unnötigen Druck erzeugen. Eine informierte und offene Herangehensweise hilft, Tabus abzubauen, ohne Personen zu beschämen oder Schuldgefühle zu verstärken.

Und was ist, wenn eine Frau beim Masturbieren mehr Befriedigung findet als mit ihrem Partner oder sich für ihre Fantasien schämt?

Auch hier braucht es Aufklärung und Reflektion. Selbstbefriedigung heisst, sich selber etwas Gutes zu tun. Es bedeutet nicht per se, dass der partnerschaftliche Sex nicht gut ist und stellt auch keinen Treuebruch dar. Es kann helfen, sich folgende Fragen zu stellen: Woher kommt dieses Gefühl oder dieser Gedanke? Was hat man selbst für ein Bild von Sexualität? Kann sie ausschliesslich in einer Partnerschaft stattfinden oder auch einfach mit sich selbst?

«Die Fantasien, die man hat, und der Akt der Selbstbefriedigung gehören einem selbst. Man hat das Recht, sie zu praktizieren.»

Zudem kann man es als Gewinn für die Partnerschaft sehen: Ein offenes Gespräch kann helfen, die Schuldgefühle abzulegen. Das Schweigen steht der Entlastung des Drucks bloss im Weg. Vielleicht hilft es, sich das Ganze aus folgender Perspektive anzuschauen: Fantasien, Sextoys, Selbstbefriedigung – all das kann Teil der Sexualität sein. Es gibt kein richtig und kein falsch. Nur etwas, das gefällt und das nicht gefällt. Es ist eine Chance, mehr über sich selbst herauszufinden und schlussendlich eine tolle Reise. Aus diesem Grund ist eine frühe und gründliche Aufklärung ja auch so wichtig. Sie bildet die Grundlage für eine gesunde Kommunikation über Sexualität und Selbstbefriedigung und trägt dazu bei, dass Sexualität einvernehmlich ausgehandelt und lustvoll gestaltet werden kann und damit auch mit einem guten Gefühl verbunden ist.

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