Spoiler
- Den Einschätzungen des Transgender Networks Switzerland nach leben bis zu 260'000 Transmenschen in der Schweiz – das wären drei Prozent der Bevölkerung.
- Geschlechtsidentitäten sind nicht in einfache Kategorien einzuordnen, sondern ganze Dimensionen, denn es gibt eben nicht nur Blau und Rosa. Gesellschaftliche Stereotypen stehen der Akzeptanz im Weg.
- Kinder, die sich mit dem ihnen zugewiesenen Geschlecht nicht wohlfühlen, sollten unbedingt von ihren Eltern bestärkt und auf ihrem Weg begleitet werden. Welche Massnahmen und körperlichen Veränderungen eingeleitet werden, entscheiden immer die Transmenschen selbst.
Irgendwann im aktuellen Film von Florian David Fitz – «Oskars Kleid» – fällt dieser Satz: «Es ist nicht so einfach, ein besonderer Mensch zu sein.» Es ist auch nicht immer einfach, ein Transmensch zu sein. Immer wieder gibt es Situationen, die eskalieren und gefährlich für sie werden. Dabei hat es Transmenschen auch in der Schweiz schon immer gegeben. In den letzten Jahren sind sie sichtbarer geworden, aber sie werden in ihrer Identität längst nicht so selbstverständlich akzeptiert wie Menschen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Gemäss einer holländischen Studie ist eine von 200 Personen trans, demnach leben in der Schweiz ungefähr 40’000 Transmenschen. Das Transgender Network Switzerland geht von einer deutlich höheren Zahl aus. Es nimmt an, dass bis zu drei Prozent der Bevölkerung trans sind, das wären etwa 260’000 Personen.
Varianz akzeptieren
Rigide Zuschreibungen von Geschlechtsidentitäten, fehlende Toleranz und Informationen sowie gesellschaftliche Stereotype scheinen die Akzeptanz von Transmenschen in der Schweiz zu erschweren. Dabei ist die Welt nicht schwarz und weiss, oder besser, wie es der Psychiater und Psychotherapeut Dr. David Garcia Nuñez ausdrückt, nicht blau und rosa: «Es gibt nicht nur zwei Geschlechter. Wir müssen aufhören, Geschlechteridentität in Kategorien zu begreifen, sondern ihnen Dimensionen und Varianz zugestehen.» Geschlecht ist aus seiner Sicht nicht nur körperlich zu definieren. «Geschlecht», so Garcia Nuñez, «bewegt sich in einem Bezugsrahmen zwischen drei Polen: körperlich, psychologisch und sozial. Liegen sie nah beieinander, wird das Spannungsfeld von der Person als stimmig empfunden. Fühlt sich ein Mensch aber mit seinem Geschlecht unwohl, klaffen die Abstände zwischen den drei Anteilen auseinander, die Spannung wird zu gross.» Und dann besteht Handlungsbedarf, manchmal schon bei jungen Menschen.
«Was mit dem Körper passiert, entscheidet immer der Transmensch.»
Kinder stark machen und auf ihrem Weg unterstützen
Wie sollten sich Eltern dann verhalten? «Zuallererst sollten sie dankbar sein, wenn sich die Kinder gerade hinsichtlich dieser Thematik öffnen, und ihnen sagen, dass sie stolz auf sie sind», sagt Dr. Garcia Nuñez. «Es ist sehr wichtig, Kinder und Jugendliche in ihrer Individualität zu stärken. Niemand sollte sich schämen oder schuldig fühlen müssen, weder Eltern, Kinder noch Jugendliche.» Vielmehr ist es wichtig zu vermitteln, dass jeder Mensch das Recht hat, entsprechend seiner Geschlechtsidentität zu leben. Ob und welche Massnahmen bei einer Geschlechtsdysphorie ergriffen werden, also beim Unbehagen mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht, ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. «Wichtig ist: Die Entscheidung, was mit dem Körper passiert, fällt immer der Transmensch. Doch bevor irgendetwas geschieht, zum Beispiel der Einsatz von Pubertätsblockern, müssen die individuellen Geschlechterspannungen und Möglichkeiten genau angeschaut werden. Erst dann entscheidet die Person, wohin die Reise geht», und ob der Horizont in rosa, blau oder in irgendeiner Farbe dazwischen leuchtet.
Glossar
Cis
Bezeichnung für Menschen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei ihrer Geburt zugewiesen wurde.
Geschlechtsdysphorie (auch Gender-Dysphorie)
Unbehagen mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht .
Inter
Bezeichnung für Menschen, deren physische Merkmale nicht zu den gesellschaftlichen Erwartungen von «männlich» und «weiblich» passen und nicht eindeutig zuzuordnen sind.
LGBTQI+
Abkürzung für L = lesbian, G = gay, B = bisexuell, T = trans, Q = queer (oder auch „questioning: für Menschen, die ihre Identität infrage stellen), I = inter. Das Pluszeichen soll Raum für weitere Geschlechtsidentitäten lassen.
Non-binär
Begriff für Menschen, die sich weder mit der Bezeichnung «Mann» noch «Frau» identifizieren können.
Trans
Bezeichnung für Menschen, die sich nicht oder nicht nur mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren.
Gut zu wissen
Beratung und Informationen finden Transmenschen in der Schweiz über das
Transgender Network Switzerland:
www.tgns.ch