Stottern bei Kindern ist verbreitet – Ursachen und Behandlung

Jetzt sind Einfühlungsvermögen und Offenheit gefragt

Stottern bei Kindern: Kind spielt vor Sofa

Spoiler

  • Stottern tritt bei rund fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen auf und beginnt in 90 Prozent der Fälle vor dem sechsten Lebensjahr.
  • Die Ursachen sind nicht eindeutig belegt, Experten gehen von einer genetischen Veranlagung und neurologischen Defiziten aus, ebenso kann Stottern posttraumatisch auftreten.
  • Die Akzeptanz und das Verstehen der gestotterten Sprechweise ist die wichtigste Voraussetzung, um dauerhafte Veränderungen der Symptome zu bewirken.

«Kommt es zu Stottern bei Kindern, geht es vor allem um Aufklärung», erklärt Brigitte Zaugg. «Nur wenn sowohl das Kind als auch sein Umfeld das Stottern verstehen und akzeptieren, kann eine Therapie erfolgreich sein.»

Stottern bei Kindern legt sich nicht immer von allein

Die Logopädin hat in ihrem Alltag viel mit Stotterern zu tun. Statistisch gesehen ist rund eines von zwanzig Kindern betroffen und bei 90 Prozent von ihnen beginnt die Sprechstörung vor dem Einschulungsalter. «Eltern haben gute Antennen dafür, ob die Sprechflüssigkeit bei ihrem Kind nicht in Ordnung sein könnte», meint die Expertin. «Sie sollten frühzeitig handeln, wenn sie beunruhigt sind, und sich nicht auf später vertrösten lassen.»

Stottern hört bei Kindern nicht in jedem Fall einfach wieder auf, vielmehr kann es bei einer Nicht-Behandlung zu schwerwiegenden Begleitsymptomen kommen. Dazu die Logopädin: «Stottern kann zu motorischen Auffälligkeiten wie das Zusammenpressen von Augen oder Lippen führen. Oder das Kind wird schweigsam und zieht sich zurück. So ist Schüchternheit nicht fürs Stottern verantwortlich, es ist eine Folge davon.» Umgekehrt können verschiedene Faktoren das Stottern verstärken. Dazu gehören negative Rückmeldungen aus dem sozialen Umfeld oder ein stressiger Alltag.

Stottern bei Kindern: ein wissenschaftliches Rätsel

Die Ursachen des Stotterns bei Kindern sind nicht bis ins Detail erforscht. Wissenschaftler gehen aktuell davon aus, dass bei den meisten Betroffenen eine erbliche Neigung zum Stottern vorliegt. «Beim Blick auf das familiäre Umfeld stellen wir oft fest, dass es weitere Stotterer innerhalb der Familie gibt», beschreibt Zaugg. Andere wissenschaftliche Ansätze vermuten eine neurologische Störung als Ursache des Stotterns: Derzeit wird untersucht, was für die veränderte Sprechplanung bei den Stotterern zuständig ist.

Angenommen wird, dass eine neurologische Auffälligkeit fürs Stottern vorliegt. Der Erwerb von komplexen Satzstrukturen im Alter zwischen zwei und vier Jahren kann das Stottern auslösen: Das Kind möchte sprachlich mehr ausdrücken, als es von seiner Sprechmotorik und Grammatik-Entwicklung her schon kann. Daneben kann auch ein emotional erhöhtes Erlebnis wie eine veränderte Familiensituation oder der Eintritt in den Kindergarten Stottern auslösen.

Drei Prozent der Silben gestottert

Stottern kann sich unterschiedlich bemerkbar machen und ist ausserdem situationsabhängig. Die häufigste Form ist das Wiederholen von Silben und Lauten. Es wird auch dann von Stottern gesprochen, wenn Laute gedehnt werden oder Blockaden beim Sprechen auftreten.

Für die eindeutige Diagnose braucht es die Abklärung durch den Kinderarzt oder einen Logopäden. Erst wenn ein Kind drei Prozent aller geäusserten Silben nicht flüssig spricht und das schon länger als drei Monate, gilt es als Stotterer.

Interessant: Stotterer kommen beim Singen, Flüstern oder Sprechen im Takt nicht ins Stocken. Dieses Phänomen wird bei einigen Therapieformen genutzt.

Behandlung zur Optimierung

«Um das Stottern erfolgreich therapieren zu können, sollten Eltern offen mit dem Kind darüber sprechen und sich nicht schuldig fühlen. Die Kinder müssen lernen, selbstbewusst und angstfrei damit umzugehen», weiss die Expertin. «Obwohl das Ziel immer die Überwindung des Stotterns ist, kann das nicht immer erreicht werden. Chronisches Stottern ist nicht heilbar, lässt sich jedoch in den Griff bekommen.»

In jeder Therapie geht es zunächst darum, das Stottern zu verstehen. «Wenn Kinder begreifen, was es mit dem Stottern auf sich hat, können sie die Angst davor verlieren», meint Zaugg. «Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sie nicht mehr gegen das Stottern ankämpfen und es ihnen nicht mehr peinlich ist.»

Je nach therapeutischem Ansatz wird mit verschiedenen Methoden am Sprechfluss gearbeitet. Der Modifikationsansatz etwa zielt darauf ab, zunächst die Angst vor dem Stottern abzubauen. Anschliessend werden Sprechtechniken geübt, die zu einer leichteren, weniger anstrengenden und flüssigen Sprechweise führen.

Weitere Therapiemöglichkeiten

Beim sogenannten Fluency Shaping wird hingegen eine neue Sprechweise antrainiert. Dazu die Expertin: «Hier wird vorerst sehr verlangsamtes Sprechen mit weichem Stimmeinsatz gelernt. Die Therapie wird meist in mehrwöchigen Intensivprogrammen angeboten und kommt daher eher bei Teenagern und Erwachsenen zum Einsatz, da es gewisser mentaler Voraussetzungen bedarf.»

Ein weiterer Ansatz ist die LICCOME-Methode für Vorschulkinder. Bei dieser sind die Eltern als Co-Therapeuten gefragt und müssen sich ein gewisses Mass an Fachwissen aneignen. Das ist nicht allen Eltern möglich. Daher kommt die Therapie auch nur selten zur Anwendung.

«Egal welche Therapieform gewählt wird, es geht vor allem darum, die Sprechstörung anzupacken und mit Einfühlungsvermögen und dem nötigen Fachwissen den Stotternden zu helfen, ihre Sprechweise und die Einstellung zum Stottern zu verändern», meint die Logopädin.

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