Sexualbegleiterin Mira im Interview

Über die Wichtigkeit von Sexualassistenz bei beeinträchtigten und älteren Personen

Sexualbegleiterin: Frau umarmt Mann nackt im Bett, seine Hände auf ihrem Rücken
Mira, kannst du kurz erklären, was eine Sexualbegleiterin wie du genau macht?

Das Ziel meiner Arbeit ist es, dass Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen ihre Sexualität selbstbestimmt ausleben können. Denn dabei handelt es sich um ein Grundbedürfnis, dessen Erfüllung sich direkt auf die Gesundheit und natürlich das Wohlbefinden auswirkt. Meine Klienten haben keine Möglichkeit, das selbstständig auszuleben, beispielsweise weil sie eine Beeinträchtigung haben oder weil die langjährige Partnerin verstorben ist. Wenn Pflegekräfte oder Angehörige bemerken, dass sich das Verhalten ändert, Patienten einsam oder unausgeglichen wirken oder wenn jemand ganz klar sein Bedürfnis formuliert, komme ich zum Einsatz. Nach meinem Besuch sind die Klienten meist emotional ausgeglichener und glücklicher.

Wer sind denn deine Klienten?

Grundsätzlich ist das bei jeder Sexualbegleiterin oder jedem -begleiter unterschiedlich, teils melden sich sehr schüchterne Menschen. Da ich selbst heterosexuell bin und authentische Sexualität rüberbringen möchte, ist meine Kundschaft nur männlich und hat entweder körperliche oder kognitive Einschränkungen. Dazu gehören also Personen, die beispielsweise im Rollstuhl sitzen oder eine geistige Behinderung haben. Die andere Hälfte sind ältere Herren, die nochmals ihre Sexualität ausleben möchten – manchmal haben sie keine Partnerin mehr, manchmal ist diese ganz froh, wenn sie selbst nicht mehr mitmachen muss.

Engagieren dich die Klienten selbst?

Genau. Entweder kommen sie selbst auf mich zu oder aber die Betreuungseinrichtung oder Angehörige. Ich wurde auch schon durch Ehefrauen direkt für ihren Mann beauftragt, wenn sie selbst nicht mehr möchten oder sich ihr Mann aufgrund einer Erkrankung so sehr verändert hat, dass sie nicht mehr mit ihm intim werden wollen. Die Betreuungseinrichtungen bemerken schnell die positive Veränderung und kommen dann immer wieder mit neuen Klienten zu mir.

Wie läuft das ab, von der Kontaktaufnahme bis zum Treffen mit einer Sexualbegleiterin?

Zuerst werde ich per E-Mail angeschrieben und wir tauschen uns schriftlich ein bisschen aus. Da merke ich schnell, wenn jemand nicht infrage kommt. Darauf folgt ein Vorgespräch in der Öffentlichkeit oder in der Institution zu meiner eigenen Sicherheit. Ich bevorzuge Cafés oder einen Spaziergang, selten gehe ich mal zu nicht mobilen Personen nach Hause. Es geht darum, sich erstmal kennenzulernen, denn ich muss einen Menschen mögen, damit ich ihn bedienen kann und er muss mich natürlich ebenfalls sympathisch finden. Im Gespräch kann er seine Wünsche formulieren und ich meine Grenzen aufzeigen. Meistens freuen sich die Klienten dann sehr auf das Treffen, weil sie mich schon kennen und nicht mehr so nervös sind. Für die Sexualassistenz gehe ich dann zu den Klienten nach Hause oder in die Einrichtung. Letztere hat den Vorteil, dass Betreuungspersonen da sind, falls etwas wäre, und sie mir vorab Informationen zu schambehafteten Themen geben können, wie Katheter und Co. oder zu Triggern bei psychischen Beeinträchtigungen, ohne dass mein Klient das mitbekommt.

Ist Geschlechtsverkehr ein fester Bestandteil, wenn man eine Sexualbegleiterin bucht? Gibt es Tabus?

Das entscheidet jeder in der Sexualbegleitung selbst. Bei mir ist Geschlechtsverkehr nicht ausgeschlossen, ich biete ihn durchaus an, jedoch kommt es fast nie dazu. Meine älteren Kunden haben oft Erektionsprobleme, wofür sie sich anfangs meist entschuldigen, dabei ist das für mich überhaupt nicht wichtig. Generell geht es hauptsächlich um körperliche Nähe und darum, berührt zu werden. Berührungen fehlen den Menschen oftmals extrem und schon bei einer richtigen Umarmung fällt ihnen ein Stein vom Herzen. Man stelle sich mal vor, gar nicht mehr liebevoll berührt zu werden. Das braucht man doch und Pflegekräfte haben gar keine Zeit dafür und es ist ausserdem nicht ihre Aufgabe. Zu den Tabus: Ich schliesse alles Orale aus, neben Oralverkehr auch Küsse mit Zunge. Grundsätzlich alles, womit ich mich in dem Moment nicht wohlfühle. Es gibt Ausnahmen – wenn mich jemand so berührt, wie ich es gernhabe, verschiebe ich diese Grenzen und lasse dann durchaus Küsse zu.

Unterscheidet sich die Sexualität sehr? Können sich geistig beeinträchtigte Kunden immer eindeutig zu ihren Wünschen äussern?

Viele der kognitiv Beeinträchtigten sind vollkommen erfahrungsfrei, da tasten wir uns behutsam heran. Über Bilder finden wir heraus, was zusagt und was nicht. Bei Berührungen mache ich zwischendurch Pausen und fange dann wieder an. Ich merke schnell an der körperlichen Reaktion, was gut ist. Dass ich früher als Primarlehrerin mit Autisten gearbeitet habe, kommt mir jetzt zugute.

Bei körperlich eingeschränkten Kunden taste ich mich ebenfalls langsam heran, um sie nicht zu überfordern, gerade wenn sie vorher noch nicht viel über Sexualität gesprochen haben und nicht einfach sagen können, was sie gern möchten.

Meistens funktioniert das ganz gut, aber es gibt schwierigere Fälle. Ein Klient mit Hirntumor kann nicht mehr sprechen und adäquat antworten, kriegt aber alles mit. Dadurch weiss ich nicht, ob er sich noch etwas anderes wünschen würde. Ich orientiere mich an seiner körperlichen Reaktion und bin ansonsten auf die Rückmeldung durch seine Frau und die Betreuung angewiesen.

Besteht nach dem Treffen regelmässiger Kontakt? Vielleicht entstehen bei Klienten mal Gefühle für die Sexualbegleiterin?

Meist rufe ich zwei oder drei Tage nach dem Date an und erkundige mich, ob alles gepasst hat. Ansonsten ist es sehr individuell, manchmal schreibt man ein bisschen, jedoch nicht über Stunden. Hin und wieder muss ich klarstellen, dass ich nicht jederzeit zur Verfügung stehe, das wird immer sehr gut akzeptiert. Klar gibt es Männer, die sagen, dass sie sich verliebt haben oder an mich denken müssen, das dürfen sie auch. Aber ich biete keine Liebesbeziehungen an. Liebeskummer ist eben Teil des Liebeslebens und selbst mit ein bisschen Herzschmerz haben die Kunden wieder neue Lebensfreude.

Kannst du den Unterschied zwischen Sexualbegleitung und Prostitution erklären?

Da wir dem gleichen Gesetz unterstellt sind, ist Sexualbegleitung eine Form von Prostitution. Der Hauptunterschied liegt darin, dass ich als Sexualbegleiterin keine einzelne Dienstleitung anbiete, sondern Zeit mit den Klienten. Was genau in dieser Zeit passiert, ist Teil der Absprache, die meine Grenzen berücksichtigt. Ich werbe nicht mit äusseren Reizen und ich bin ehrlich: Ich stöhne nicht, nur weil es sich der Kunde wünscht. Sexualbegleiterinnen dürfen Lust empfinden, das ist bei einzelnen Klienten so und das zeige ich dann. Wenn mich der Klient sexuell erregt, frage ich ihn, ob ich ihn küssen darf und verschiebe die Grenzen. Es ist mehr Aufklärungsarbeit, ich tu dabei keinen Gefallen, sondern führe jemanden mit wenig Erfahrung an eine authentische Sexualität heran für spätere Beziehungen. So gesehen ist es auch eine feministische Arbeit.

Die Kosten für die Sexualbegleitung betragen 150 CHF pro Stunde zuzüglich Erstgespräch und gegebenenfalls Reisespesen. Die Kosten werden nicht von der Krankenkasse übernommen.

Welche Ausbildungen und Qualifikationen sollte eine Sexualbegleiterin oder ein -begleiter haben?

Es gibt spezielle Ausbildungen, die besonders hilfreich sind, da man nicht viel zum Thema nachlesen kann. Mit der Ausbildung weiss man die rechtlichen Dinge, kann sich mit anderen austauschen, die das schon gemacht haben, und merkt schon währenddessen, ob das was für einen ist. Die Ausbildung kann man in der Schweiz beispielsweise über InSeBe® machen. Sie ist ein gutes Qualitätsmerkmal für Institutionen und Angehörige, um sich bei der Auswahl zu orientieren. Von den Qualifikationen her bringen viele Sexualbegleiterinnen und -begleiter eine Tantraausbildung mit, das ist jedoch kein Muss. Grundsätzlich machen das Menschen, die Berührungen mögen und keine Berührungsängste haben. Und man sollte olfaktorisch nicht zu empfindlich sein, da es schon Klienten gibt, die nicht so sauber sind oder Medikamente nehmen, die den Körpergeruch verändern.

Was sind bei deiner Arbeit die grössten Herausforderungen und was findest du besonders erfüllend?

Am herausforderndsten ist es, die Grenzen der Personen zu wahren. Insbesondere bei Autismus-Spektrum-Störungen muss man sehr, sehr behutsam sein. In solchen Fällen arbeiten wir fast ausnahmslos angezogen, da meine Tätigkeit für diese Menschen sonst zu eindrücklich und überfordernd wäre.

Erfüllende Momente sind zahlreich. Da sind ganz viele. Vor allem das Aufbäumen der älteren Menschen, die teilweise sogar nochmals eine Partnerschaft finden, Lebensfreude und Lebensmut entwickeln. Gerade Senioren lernen eine ganz neue Sexualität mit mir kennen, das finde ich super. Bei kognitiv beeinträchtigten sehe ich, wie sie mutiger werden und sogar das Umfeld gibt Feedback zu den positiven Veränderungen.

Lässt sich die Tätigkeit als Sexualbegleiterin oder -begleiter eigentlich mit einer Partnerschaft vereinbaren?

Ja, unter bestimmten Voraussetzungen. Ich bin verheiratet und für meinen Mann ist ganz klar, dass ich mich nicht verliebe und mit meinen Kunden keine Liebesbeziehungen führe. Er hat mich von Anfang an unterstützt, darauf bin ich sehr stolz. Wir haben vorher darüber gesprochen, sind aufgeschlossen und verlassen uns aufeinander. Ich bin sehr transparent. Sobald ich wusste, dass ich das weiterhin machen möchte, hab ich es auch den Kindern gesagt – die wollen nur keine Details wissen. Aber es ist toll, wenn man weiss, dass man von der Familie unterstützt wird.

Was würdest du dir für die Zukunft der Sexualbegleitung wünschen?

Mein allergrösster Wunsch: dass die Scheinheiligkeit der Gesellschaft aufgegeben wird. Sexualität ist ein Grundbedürfnis bis zum Lebensende. Man sollte mehr darüber reden. Institutionen könnten das sogar ins Leitbild aufnehmen und Angehörige auf die unglaubliche Wirkung dieser Arbeit aufmerksam machen. Aktuell ist es noch recht konservativ, aber langsam wird man sich darüber im Klaren, dass diese Dienste Teil einer ganzheitlichen Pflege sein müssen. Ich kämpfe als Sexualbegleiterin für die sexuelle Selbstbestimmung.

Vielen Dank für das Gespräch und deine Offenheit.

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