Retinitis pigmentosa: Ursache, Diagnose und Behandlung

Eine erbliche Netzhautdegeneration (Retinitis pigmentosa) verläuft sehr unterschiedlich

DNA Strang und Vererbung.

Spoiler

  • Einschränkungen des Sehens und der Wahrnehmung sind erste Anzeichen einer Störung der Netzhautfunktion.
  • Je weiter die Retinits Pigmentosa fortschreitet, desto enger wird das Gesichtsfeld.
  • Neue Therapieformen geben Hoffnung.

Retinitis pigmentosa ist ein Augenleiden, das sich sehr langsam einschleicht und Betroffenen zunächst oft nicht auffällt. Anfangs fällt es abends oder nachts schwer, so gut zu sehen wie andere Menschen. Betritt man ein Restaurant oder eine Bar, gewöhnen sich die Augen nur langsam an das dämmrige Licht. Auch beim Lesen muss das Licht schon sehr hell sein, damit ein Buch nicht gleich wieder in der Tasche landet.

So kann es eine Weile gehen, manchmal Jahre. Dann fällt irgendwann auf: Ich muss ja ständig meinen Kopf drehen, weil ich immer nur Ausschnitte einer Situation sehen kann. Das Gesichtsfeld schränkt sich im wahrsten Sinne des Wortes zusehends ein. Geht jemand vorbei, nimmt man ihn erst spät wahr, genauso wie die Laternenpfosten am Strassenrand.

Retinitis pigmentosa: Ursache in den Genen

«So kann ein typischer Verlauf der Retinitis pigmentosa beginnen», erklärt Professor Barthelmes und fügt im selben Atemzug hinzu: «Aber es gibt eine sehr grosse Bandbreite an Krankheitsverläufen.» Die erblich bedingte Retinitis pigmentosa (auch: Retinopathia pigmentosa) gehört zu den häufigsten Netzhautdegenerationen und beschreibt eine ganze Gruppe von Krankheiten, die zu einer Funktionsminderung der Netzhaut (Retina) führen.

Meist liegt diese eher langsam verlaufende Krankheit in der Familie, sie kann aber auch durch eine spontane Mutation ausgelöst werden.

Schädigung der Nervenzellen

Einfach erklärt, passiert bei dieser Erkrankung Folgendes im Inneren des Auges: «Die Aufgabe der Nervenzellen am Augenhintergrund besteht darin, Licht aufzunehmen und in Strom umzuwandeln, der dann über den Sehnerv zum Gehirn transportiert wird. Aufgrund eines Gendefekts nimmt bei der Retinitis pigmentosa diese Funktion der sogenannten Photorezeptoren am Augenhintergrund langsam oder auch schnell ab», so Prof. Barthelmes.

Der zellzerstörende Prozess kann die gesamte äussere Netzhaut, also die Retina, mit ihren Sehzellen, den Stäbchen und Zapfen, betreffen. Schätzungsweise eine von 4000 Personen ist von der Erkrankung betroffen. Der Experte veranschaulicht diese Zahl: «Das heisst, in jedem grösseren Dorf in der Schweiz hat es im Durchschnitt einen Menschen, der davon betroffen ist.»

Fortgeschrittene Retinitis pigmentosa

«Im fortgeschrittenen Verlauf der Erkrankung kann sich das Gesichtsfeld so stark verengen, dass man wie durch eine Röhre oder einen Tunnel schaut. Man spricht deshalb auch vom ‹Röhrensichtfeld›», erklärt der Augenexperte. In dieser Phase könne man durchaus noch sehr gut sehen und kleine Details erkennen, aber nur in einem sehr begrenzten Feld. Prof. Barthelmes zum weiteren Verlauf: «Später kann dann auch die Sehkraft nachlassen, sodass man beispielsweise beim Lesen nur noch grosse Buchstaben erkennen kann.»

Verständlicherweise haben viele der Betroffenen Angst vor einer Erblindung. «Es ist keinesfalls so, dass, wenn man diese Krankheit hat, man auch automatisch erblinden wird», erklärt er. «Nur wenige Patienten mit einer Retinitis pigmentosa erblinden vollständig.»

Langsamer Verlauf, schneller Verlauf

Die Abnahme der Sehfähigkeit kann relativ langsam bis schnell stattfinden – das Spektrum könnte kaum grösser sein. «Manche Neugeborene kommen mehr oder minder blind zur Welt. Dann gibt es wieder 85-Jährige, die ihr Leben lang gut sehen konnten und Jahrzehnte nichts von ihrer Krankheit bemerkt hatten,» sagt Prof. Barthelmes.

So gibt es Patienten, deren ‹ungünstige› Genvariante zwar nachgewiesen ist, die aber dennoch im täglichen Leben nicht wesentlich gestört sind. «Es gibt auch keine Regel hinsichtlich des Auftretens der ersten Symptome und der nachfolgenden Veränderungen. Man muss sich also sehr davor hüten, irgendwelche Prognosen zu machen», warnt der Experte.

Genetische und andere Faktoren

Der Grund für die unterschiedlichen Krankheitsverläufe sind die vielen Varianten und Modifikationen des Erbgutes, die zur Retinitis pigmentosa führen können. Prof. Barthelmes ergänzt: «Ausserdem spielen auch noch zusätzliche regulatorische Faktoren eine Rolle.»

Es können also weitere Einflüsse den Verlauf sehr stark bedingen. Dies sehe man auch an folgendem Phänomen: «In einer Familie können alle Betroffenen die gleiche Genvariante tragen, aber dennoch sehr unterschiedliche Symptome oder Stadien der Erkrankung zeigen», so der Experte.

Diagnose über klinische Untersuchungen

Treten bei einem Patienten Symptome einer Retinitis pigmentosa auf, wird er zunächst augenärztlich untersucht mit Messung der Sehschärfe und Beurteilung des Augenhintergrundes. Erhärtet sich der Verdacht, folgen verschiedene Tests. Prof. Barthelmes hebt hervor: «Ganz wichtig ist die elektrophysiologische Untersuchung. Stark vereinfacht gesagt, misst sie den Strom, den die Nervenzellen auf einen Lichtreiz hin produzieren.» Mit einem Gesichtsfeldtest kann eine Gesichtsfeldveränderung beurteilt werden.

Zudem kann die Dunkeladaption gemessen werden, also wie schnell und wie gut sich das Auge an die Dämmerung anpasst. Doch der Experte gibt zu bedenken: «Das Problem ist aber, dass die Symptome auch bei anderen Krankheiten des Auges vorkommen können und es keine einzelnen spezifischen Tests nur für die Retinitis pigmentosa gibt.»

Gentest bei Verdacht auf Retinitis pigmentosa?

Gerade wenn es um die Familienplanung geht, kann die genetische Abklärung sehr wichtig sein. Prof. Barthelmes: «In diesen Situationen empfehlen wir dies zur besseren Risikoeinschätzung der Erkrankungswahrscheinlichkeit der Kinder.»

Auch bei möglicherweise betroffenen Kindern, die aus familiär belasteten Familien kommen und erste Symptome zeigen, kann eine genetische Diagnostik hilfreich sein, weil sonst allenfalls immer wieder Untersuchungen durchgeführt werden müssen. Allerdings sollte eine genetische Untersuchung vorher immer gut besprochen werden, auch mit Familienangehörigen, denen gegebenenfalls auch eine Untersuchung empfohlen sein kann.

Studien machen Hoffnung

Bislang gab es keine Therapie, die den Erkrankungsverlauf beeinflusst hätte. Aktuell bestehen jedoch für wenige Unterformen der Retinitis pigmentosa Möglichkeiten, die Krankheit in gewissem Masse zu beeinflussen. Bis anhin gibt es einige Studien zu Gentherapien, die Hoffnung machen. Versuche mit künstlichen Viren zum Austausch von gesunden Erbinformationen gegen kranke zeigen grundsätzlich mögliche Therapiewege.

Weitere intensive Forschungsarbeiten sind aber nötig. Eine andere Option wird bereits zum Beispiel in Tübingen angeboten: «Ein Chip wird wie eine Prothese ins Auge gesetzt. Er stimuliert die noch intakten Nervenzellen», so der Klinikdirektor. «Bei Patienten die gar nicht mehr sehen, das heisst komplett erblindet sind, kann so immerhin ein Seheindruck wieder möglich werden.»

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