Pubertät: Hirnforscher Gerald Hüther im Gespräch

Eine Herausforderung für Kinder und Eltern

Kinder auf Spielplatz
Wieso stellt die Pubertät das Leben junger Menschen so sehr auf den Kopf?

Der junge Mensch sieht, wie sich sein Körper verändert. Er fragt sich, ob Erwachsenwerden überhaupt attraktiv ist. Das ist verunsichernd. Die ansteigenden Spiegel von Sexualhormonen verstärken dieses Durcheinander im Frontalhirn noch weiter. Dort sind bereits erworbene Kompetenzen angelegt wie die Handlungsplanung, das Einschätzen von Folgen oder die Impulskontrolle. Dies Fähigkeiten sind während der Pubertät vorübergehend nicht gut abrufbar.

Wieso ist Erwachsenwerden denn für viele unattraktiv?

Kinder sehen heute mehr Erwachsene, die ihnen vorleben, dass älter werden nicht attraktiv ist. Sie wollen unbedingt jung sein. Alter und Lebenserfahrung zu wertschätzen ist nicht mehr Teil unserer Kultur.

Sie sagen, es müsse Pubertät gar nicht geben. Was meinen Sie damit?

Es gibt Menschen, die offenbar nie eine schwierige Pubertätsphase durchlaufen haben. Das sind solche, die mit ihren Eltern eine gute Beziehung führten und sich darauf gefreut haben, Mann oder Frau zu werden. In vielen Kulturen haben Erwachsene verstanden, dass der Übergang vom Kind zum Erwachsenen schwierig ist. Sie bieten ihren Kindern Rituale, die dafür sorgen, dass die neue Phase als etwas Positives erlebt wird. Oft sind das solche Rituale, bei denen Väter den Jungs Einblick in die Erwachsenenwelt geben oder Mütter ihren Töchtern.

Wieso Rituale?

Durch Rituale kann man Übergangsphasen im Leben wie eben die Pubertät vereinfachen. Beim Verlust eines Angehörigen nutzen wir sie beispielsweise. Durch die Trauerfeier erleben Hinterbliebene die Geborgenheit und Sicherheit der Familie oder Gemeinschaft. Rituale für Kinder in der Übergangsphase zum Erwachsenwerden wie etwa die Konfirmation haben wir aber weitgehend abgeschafft.

Nutzen Sie Rituale?

Ich bin Patenonkel eines Jungen im Teenageralter. Ihn habe ich zum Beispiel zusammen mit fünf Freunden eingeladen, eine Nacht in einer verfallenen Klosterruine zu campen. Wir haben bis zum Sonnenaufgang am Lagerfeuer gesessen und geredet. Die Jungs hatten viele Fragen und dort war Zeit und Raum, über alles zu sprechen.

Wie gehen Eltern richtig mit stark pubertierenden Teenagern um?

Das Wichtigste ist, dass der Kontakt nicht abreisst. Gemeinsame Unternehmungen, dem Kind Erlebnisse in der Gemeinschaft bieten. Das Kind wird sich jetzt abwenden. Eltern müssen lernen, das nicht persönlich zu nehmen. Je mehr Fähigkeiten wie Empathie oder Verantwortungsgefühl sich im Kindesalter entwickelt haben, desto leichter wird diese Zeit. Pubertät ist kein Schicksal. Nicht alle drehen in dieser Phase durch.

Die Hirnforschung weiss, dass man diese Fähigkeiten nicht lernen kann. Sie bilden sich durch Erfahrungen. Welche?

Wenn ich Problemlösungskompetenz entwickeln will, muss ich als Kind Probleme haben, die ich selbst lösen darf. Oder nehmen wir die Selbstdisziplin. Man könnte das Kind und ein paar Freunde fragen: Wollt ihr ein Baumhaus bauen? Das kriegen sie nur hin, wenn sie einen Plan machen, abends Werkzeug wegräumen, dranbleiben, auch wenn es langweilig wird. Aber am Ende haben sie es gemeinsam geschafft und das Baumhaus ist fertig. So bildet sich Selbstdisziplin.

Was machen Eltern in der Pubertät ihrer Kinder falsch?

Bleiben wir beim Baumhaus-Beispiel: Wenn ich mein Kind zwinge, die Werkzeuge wegzuräumen, bildet sich Gehorsam. Wenn es aber den Nutzen versteht, bildet sich Selbstdisziplin.

Fördern dann nicht Schulen vor allem Gehorsam?

Leider ja. Was Kinder in der Schule lernen, hat wenig damit zu tun, was sie später im Leben brauchen. Die Schule ist heute sehr aufgebauscht und nimmt zu viel Raum ein. Eltern dürfen ihr gern etwas Bedeutung rauben und Stress herausnehmen. Und ihrem Kind auch mal sagen, dass Schule nicht das Wichtigste ist im Leben. Leider ist es für viele Eltern einfacher, wenn ihr Kind 70 Prozent seiner Zeit mit Schule verbringt.

Welche Schulform würden Sie heute für Ihr Kind wählen?

Ich würde vor allem aufpassen, mein Kind mit fünf verlässlichen Freunden, richtig guten Kumpels, in die Schule zu schicken. Wenn die richtig gut zusammenhalten, kann die Schule nicht so viel Schaden anrichten.

Wie bleibt die Bindung zum Kind während der Pubertät gut?

Indem Eltern ihr Kind nicht zum Objekt ihrer eigenen Erwartungen machen. Alle Kinder haben zunächst das Bedürfnis nach enger Verbundenheit mit den Eltern. Die wird leider oft verletzt. Eltern haben heute extrem hohe Ansprüche und signalisieren: Du bist nicht in Ordnung so, wie du bist. Das richtet riesigen Schaden an: Das Kind unterdrückt sein Bedürfnis, mit den Eltern eng verbunden zu sein, und im Hirn entstehen hemmende Synapsen. Ab hier wird es dann schwierig.

Vielen Dank für das Gespräch!
Facebook
Email
Twitter
LinkedIn