Prothesen-Pfusch?

Röntgenaufnahmen diverser Prothesen.

Der Skandal um die sogenannten «Implant files» beschäftigt seit einigen Tagen die europäische Öffentlichkeit. Grund des Aufregers und was der NDR, WDR und die Süddeutsche Zeitung ermittelt haben wollen: Im OP werden zu oft ungeeignete Prothesen eingesetzt, weil

  • Prothesen in der Regel von Männern für Männer entwickelt werden und Frauen deshalb mit den Hilfsmitteln weniger gut zurechtkommen,
  • viele Prothesen nicht getestet werden müssen, sofern sie ähnlich wie bereits zugelassene Modelle funktionieren (das sogenannte Äquivalenzprinzip),
  • die Zulassung der Implantate privaten Prüfstellen überlassen wird, die von den Herstellern frei gewählt werden können,
  • viele medizinische Studien von der Industrie direkt oder indirekt – über beteiligte Forscher – finanziert werden,
  • die Pharmaindustrie erfolgreich politische Lobbyarbeit in Brüssel betreibt und
  • Patienten kaum Möglichkeiten haben, sich über die Wertigkeit von Prothesen zu informieren, da Behörden, Hersteller und Prüfstellen keine Daten zu beanstandeten Produkten veröffentlichen.

All diese Umstände gefährdeten das Patientenwohl, so die Autoren der «Implant files». Und tatsächlich treten immer wieder Fälle von untauglichen Prothesen auf, die nicht richtig funktionieren, zerfallen oder gefährliche Schadstoffe absondern. Genaue Zahlen hierzu sind allerdings nicht bekannt.

Die «Implant files» schafft es, den Fokus einmal mehr auf das, was das oberste Ziel der Gesundheitsbranche sein sollte zu richten: die Steigerung des Patientenwohls. Dennoch überrascht die plötzliche Heftigkeit, mit der «Implant files» verbreitet wird. Oder wie die Neue Zürcher Zeitung zu dem Skandal schreibt: «In der Schweiz ist das eigentlich nichts Neues.» Sie verweist auf mit Mineralöl verunreinigte Gelenkschalen, die bereits 2001 vom Markt genommen wurden, und Hüftgelenke, die Chrom und Kobalt absonderten und 2012 zurückgezogen wurden. In beiden Fällen mussten mehrere tausend Revisionsoperationen durchgeführt werden.

Ob die «Implant files» genügend Aufsehen erregen, um tatsächlich eine Änderung der Zulassungs- und Informationspolitik zu bewirken, bleibt abzuwarten. Immerhin steht im kommenden Mai die Europawahl an. Gut möglich, dass eine der antretenden Parteien sich dieses Thema auf die Fahnen schreiben will.

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