Profi-Kletterin Petra Klingler: «Meine Passion gibt mir Halt»

Ein Gespräch über Ziele, Selbstvertrauen und das Überwinden von Niederlagen

Petra Klingler
Schon als Kind bist du laut deiner Mutter überall hochgeklettert, wolltest in die Vertikale. Woher kam dein starker Wille?

Der war immer da. In Pausen bin ich oft auf einen Baum geklettert und habe dort mein Znüni gegessen. Da oben hatte ich die Übersicht und einen guten Ausblick.

Ich glaube, ich habe früh erkannt, dass es nicht selbstverständlich ist, dass ich mit meiner Vorgeschichte überhaupt Sport machen kann, geschweige denn Spitzensport.

Du bist mit einer Fussdeformation geboren. Was bedeutete das für dich?

In meinen ersten neun Monaten habe ich immer Gips getragen, dann Nachtschuhe, dann Einlagen. Bis ich zwölf war, musste ich Spezialschuhe tragen, die nicht besonders schön waren. In der Schule musste ich mir den einen oder anderen Spruch anhören. Aber ich habe für meinen Besuch beim Orthopäden schulfrei bekommen und es war immer ein besonderer Ausflug mit meiner Mutter in die Stadt. Das alles hat mich geprägt. Ich wusste, wäre ich nicht in der Schweiz geboren, wäre ich vielleicht behindert. Als Kind hatte ich mir in den Kopf gesetzt: Was ich wirklich will, schaffe ich auch. Diese Vorstellung gab mir die Energie, Niederlagen wegzustecken. Meine Familie hat mir vorgelebt, die kleinen Dinge im Leben zu schätzen. Das relativiert grössere Rückschläge.

Du engagierst dich für den Aufbau einer Stiftung. Worum geht es da?

Es ist ein Herzensprojekt, bei dem Behandlungskosten von rund 500 Dollar für Kinder generiert werden, die mit Klumpfüssen zur Welt gekommen sind. Es ist nur ein kleiner operativer Eingriff an der Achillessehne mit anschliessender Gipsbehandlung nötig. Diese Behandlung ist in vielen Entwicklungsländern noch nicht verfügbar. Mit wenig Geld kann hier die Lebensqualität eines Kindes verbessert werden, das ohne Therapie kaum laufen kann.

Neben deiner Profisportkarriere hast du Psychologie studiert und hältst Vorträge über das Weitermachen trotz Rückschlägen. Macht Sport resilient?

Ich glaube, das Verfolgen einer Passion macht resilient. Es gibt Energie und Halt, wenn es in anderen Bereichen des Lebens gerade nicht rundläuft. Mein Training hat mir da enorm geholfen: Man fällt ständig, manchmal 99-mal und findet erst beim hundertsten Mal eine eigene Lösung, wie man die Wand hochkommt. Klettern verwöhnt einen nicht mit schnellem Erfolg. Ich bin überzeugt: Je häufiger du scheiterst, desto weniger belastet es dich. Man lernt mit Niederlagen umzugehen. Ein Training wie jedes andere.

Du sagst, das Wichtigste, was du beim Klettern gelernt hast, sei eine positive Einstellung zu Herausforderungen. Ist es dir deshalb wichtig, Kinder zu Sport zu motivieren?

Definitiv. Sport ist eine Lebensschule. Mir selbst hat Sport die Energie gegeben, die Schulzeit durchzustehen. Ich war nicht gut in der Schule. Mit Fleiss, Hartnäckigkeit und vielen Tränen habe ich es ans Sportgymi geschafft. Die fünfte Klasse habe ich repetiert. Das war das Beste für mich, denn ich hatte Zeit, die Basis zu festigen. Eine Passion im Leben gibt Halt und Energie, durch schwere Situationen zu gehen. Das kann Sport sein, aber auch Kunst, Musik oder sonst etwas. Eine Passion legt man nicht einfach so zur Seite.

Hast du neben dem Klettern noch mehr Leidenschaften?

Kochen. Darin finde ich die Musse und das Kreative neben dem Sport. Zwei Stunden in der Küche sind für mich erholsamer, als auf dem Sofa zu liegen und einen Film zu schauen.

Wie verarbeitest du selbst Rückschläge?

Bei der Familie und Freunden. Es hilft mir, aus der Rolle der Athletin rauszugehen, an einen Ort, wo ich einfach Petra sein kann. Meine frühere Reitlehrerin und heutige Freundin etwa war nie offensichtlich beeindruckt von meiner Leistung; für sie bin ich immer einfach Petra. Wenn ich Zeit mit ihr verbringe, bin ich einfach ich, mit all meinen Ecken und Kanten.

Welche Rolle spielt Stärke, auch körperliche, für dich als Frau?

Körperliche Stärke unterstützt mentale Stärke. Wenn ich körperlich in Form bin, fühle ich mich gut und weiss, dass ich meine Ziele erreichen kann. Das gibt Selbstvertrauen.

Das Wort bedeutet ja «sich selbst vertrauen». Ich habe mir mal überlegt, wann ich anderen vertraue. Mit dem Ergebnis: Wenn jemand ehrlich zu mir ist. Also habe ich mich gefragt: Wie ehrlich bin ich mit mir selbst? Und wie sehr schaue ich nach links und rechts? Es ist für viele schwierig, ganz ehrlich mit sich selbst zu sein: sich einzugestehen, was man will, ohne nur den Erwartungen von Gesellschaft, Familie oder Freunden zu entsprechen.

Hast du ein Ziel?

Ganz viele. Gerade bin ich dabei, mein Team für die nächsten Jahre zusammenzustellen. Dann möchte ich die Eisklettersaison wieder mitmachen. Und: 2023 findet die Sportkletter-Weltmeisterschaft in Bern statt. Es ist mein grosses Ziel, da teilzunehmen.

Nutzt du eine Technik, um deine Ziele zu erreichen?

Ein Ziel muss innerlich reifen. Dann sollte man es bewusst setzen und sich fragen: Was braucht es auf dem Weg dorthin? Welche Bausteine muss ich umsetzen, um ans Ziel zu kommen? Dazu gehört auch, kritisch zu hinterfragen, was nicht gut funktioniert und was angepasst werden muss.

Vielen Dank für das Gespräch.
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