Spoiler
- Die Wirksamkeit von Phytotherapie ist mit naturwissenschaftlichen Methoden nachweisbar.
- Fertigpräparate garantieren einen gleichbleibenden Qualitätsstandard. Bei selbstgesammelten Kräutern (Achtung: Verwechslungsgefahr!) schwankt die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe und somit auch die Wirkung.
- Phytotherapie weist weniger Risiken und Nebenwirkungen auf als die klassische Schulmedizin.
Fenchel gegen Bauchschmerzen, Melisse zur Beruhigung: Phytotherapeutische Mittel kommen gegen eine Vielzahl von Beschwerden zum Einsatz. Aber was versteht man überhaupt unter dem Begriff? «Phytotherapie ist das Vorbeugen und Behandeln von Krankheiten mithilfe von Arzneipflanzen. Die damit zubereiteten Tinkturen, Extrakte oder Tees sind Vielstoffgemische», erklärt Dr. Beatrix Falch, Vizepräsidentin der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie.
Phytotherapie – zwischen Stuhl und Bank?
Obwohl die Wirkung von Phytotherapie wissenschaftlich nachgewiesen ist, sehen einige Schulmediziner die Heilmethode kritisch. «Wir können nur zum Teil sagen, welche Substanzen einer Pflanze für die Wirkungen verantwortlich sind. Das interessiert uns in erster Linie auch nicht, denn diese pflanzlichen Vielstoffgemische werden in ihrer Gesamtheit als Wirkstoff angesehen. Für die Schulmedizin ist das aber oft zu ungenau», so die Expertin.
Ausserdem schliesst die Phytotherapie auch Überlegungen der Naturheilkunde mit ein. So spielen die persönlichen Umstände eines Betroffenen bei der Wahl der Arzneipflanze eine wichtige Rolle. «Personalisierte Therapie findet allerdings auch immer häufiger in der modernen Medizin Anwendung», weiss Dr. Falch.
Risiken und Nebenwirkungen sind geringer
Besonders gute Erfolge mit pflanzlichen Präparaten konnten beispielsweise in der Gynäkologie – genauer gegen Wechseljahr- und Menstruationsbeschwerden – erzielt werden. Auch in der Pädiatrie, Dermatologie und bei psychischen Krankheiten erfreut sich die Phytotherapie grosser Beliebtheit. Bei einigen Krankheiten reicht die Pflanzenkraft alleine jedoch nicht aus. In diesen Fällen werden die phytotherapeutischen Präparate zur Unterstützung oder zur Milderung der Nebenwirkungen eingesetzt.
Arzneipflanzen führen zu deutlich weniger Komplikationen und Nebenwirkungen als Medikamente der klassischen Schulmedizin. Deshalb eignet sich die Phytotherapie – mit ein paar Ausnahmen und angepassten Dosierungen – auch zur Behandlung von Kindern.
«Es gibt jedoch auch Inhaltsstoffe in Pflanzen, die etwas problematischer sind, da sie zum Beispiel mit anderen Arzneimitteln interagieren können», warnt die Phytotherapeutin. Umso wichtiger ist eine kompetente Beratung bei einem Experten.
Phytotherapie selbst gemacht?
Wer sich selber mit Arzneipflanzen behandeln möchte, sollte vorsichtig sein. «Milde Beschwerden können gut mittels Selbstmedikation therapiert werden, wenn ein Grundwissen vorhanden ist», so Dr. Falch. Werden die Beschwerden aber nicht besser oder tritt beispielsweise Fieber auf, sollte unbedingt ein Facharzt aufgesucht werden.
«Wer die Pflanzen selber anbauen will, muss sich allerdings bewusst sein, dass grosse Qualitätsunterschiede auftreten können. Je nachdem wo und wann die Pflanze geerntet wurde, setzen sich die Inhaltsstoffe unterschiedlich zusammen. Ein Tee kann also in einem Monat stärker wirken, im nächsten schwächer», gibt die Phytotherapeutin zu bedenken. Fertigpräparate garantieren einen gleichbleibenden, reproduzierbaren Effekt.
Mit Pflanzen gegen Antibiotikaresistenzen
Helfen Arzneipflanzen auch gegen eine Covid-19-Erkrankung? Dr. Falch relativiert: «Natürlich haben auch wir kein Heilmittel gegen das Corona-Virus. Die Schweizerische Medizinische Gesellschaft für Phytotherapie hat jedoch Vorschläge herausgegeben mit Arzneipflanzen, die antiviral wirken und die gegen Grippe- und Erkältungssymptome eingesetzt werden. Möglicherweise unterstützen diese auch das Abheilen der Symptome von Covid-19.»
Potenzial gibt es auch in der Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen. Pharmakologische Untersuchungen haben gezeigt, dass auch pflanzliche Extrakte antibakterielle Wirkungen haben. «Eine Resistenz entsteht ja dadurch, dass Bakterien regelmässig mit derselben Substanz in Kontakt kommen. Ein Vielstoffgemisch überfordert das Bakterium jedoch. Eine Kombination von Antibiotika und ätherischen Ölen hat in experimentellen Studien sehr vielversprechende Resultate erzielt. Der klinische Beweis steht aber noch aus», so die Expertin.
Das ist der Unterschied zwischen Homöopathie und Phytotherapie
Immer wieder kommt es zu einer Verwechslung von Homöopathie und Phytotherapie. Schliesslich arbeiten beide Heilmethoden mit Pflanzen. Doch es gibt einige Unterschiede:
- In der Homöopathie gilt der Grundsatz «Gleiches mit Gleichem heilen». Klagt jemand über Fieber, wird ihm ein Mittel verabreicht, dass bei einer gesunden Person Fieber ausgelöst hat.
- Die Phytotherapie gründet, wie die Schulmedizin, auf dem Prinzip der Allopathie: Beschwerden werden mit einem entgegengesetzt wirkendenden, auf pharmakologischen Grundsätzen beruhenden Medikament behandelt.
- Homöopathische Arzneimittel werden aus pflanzlichen, aber auch mineralischen und tierische Ausgangssubstanzen hergestellt. Den Herstellprozess nennt man Potenzierung. Die Ausgangsstoffe werden dabei verdünnt. Bei den selten eingesetzten Hochpotenzen kann dies so weit gehen, dass im Endprodukt keine Moleküle mehr nachweisbar sind. Phytotherapeutische Arzneien sind Vielstoffgemische, bestehen also aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Molekülen, die mit einfachen Extraktionsverfahren aus Pflanzen gewonnen werden.