Partnersuche: «Irgendwann ist man halt zu alt für Tinder»

Paarberater Eric Hegmann über die Online-Partnersuche

Junges Paar_Partnersuche
Herr Hegmann, gibt es heute mehr Singles als früher?

Ja, es gibt sogar deutlich mehr Singles als früher! Das ist eine Entwicklung, die mit der Gleichberechtigung der Frau einherging: Die Frau hat die freie Wahl. Dadurch ergab sich ein Wandel von der Zweckheirat zur Liebesheirat, in weiterer Konsequenz auch zur gleichgeschlechtlichen Ehe.

Die freie Partnerwahl, die uns heute so selbstverständlich ist, gibt es erst seit etwa 150 Jahren. Historisch betrachtet sind wir also noch in der Experimentierphase.

Das klingt, als gäbe es auch kritische Aspekte …

Studien belegen, dass Beziehungsglück mehrheitlich unser höchstes Gut ist, wichtiger als Gesundheit oder Wohlstand. Die Liebesheirat wird zum Teil überromantisiert, auch durch unser verklärtes Bild der Vergangenheit, wie es beispielsweise im Film gezeigt wird. Das führt zu hohen Ansprüchen an sich selbst und den potenziellen Partner. Deshalb fällt es vielen Menschen schwer, sich festzulegen. Auf der anderen Seite entsteht ein Druck zur Selbstoptimierung. Das macht die Suche anstrengend.

Warum boomt die Online-Suche nach Partnern?

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen sind wir 24 Stunden am Tag online. Da wäre es eigentlich schon ein Desaster, wenn wir nicht auch dort Partner suchen würden, wo wir uns eh aufhalten.

Zum anderen gibt es online die Möglichkeit, Leute zu treffen, denen man auf seinem normalen Trampelpfad durch Ausbildung, Studium und Arbeit nie begegnet wäre. Das Internet bietet auch Personen Gelegenheiten, die vor wenigen Jahrzehnten nur sehr beschränkte Möglichkeiten zur Partnersuche hatten: alleinerziehende Elternteile und ältere Menschen.

Klappt es denn überhaupt mit der digitalen Partnersuche?

Die Online-Börsen funktionieren ganz gut. Sie würden staunen: Bei den Agenturen, die ich kenne, sind die Bürowände voll mit Fotos verheirateter Paare, die sich online kennengelernt haben.

Verschiedene Studien zeigen, dass die Partnersuche im Netz sogar besser funktioniert als die im analogen Leben. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Menschen im Internet bewusster suchen. Fakt ist: Menschen, die sich so kennenlernen, ziehen früher zusammen, heiraten früher und kriegen früher Kinder. Und ihre Ehen halten länger.

Die Online-Suche lässt sich aber nicht vollkommen losgelöst von der analogen Welt betrachten. Wer sich in einem Portal anmeldet oder ein Abo abschliesst, ist auch im realen Leben aktiver auf Partnersuche, geht mehr aus und trifft sich häufiger. So entsteht ein Dominoeffekt.

Wie lässt sich der passende Anbieter finden?

Ich empfehle, einfach mal alles auszuprobieren: Dating-App und Partneragentur. Da gibt es kein einheitliches Herangehen. Jeder muss selbst schauen, was für ihn passt, wo er sich wohlfühlt und die Bekanntschaften macht, die er möchte. Das ist eine Typfrage: Für manchen sind Agenturen vielleicht etwas zu langsam, weil nicht permanent etwas am Handy aufblinkt und matcht. Da sind Dating-Apps schneller, weil die Zielgruppe eben auch jünger und der Anspruch ein anderer ist. Aber irgendwann ist man halt zu alt für Tinder.

Wer auf Partnersuche geht, muss sich erst einmal über sich selbst klar werden.

Stimmt, und es ist ein sehr schmaler Grat zwischen realistischer Selbstbeschreibung und überzogener Selbstdarstellung. Ich rate meinen Klienten: Seien Sie selbst die liebenswürdige Person, die Sie ansprechen wollen. Manche Menschen triggern einfach nicht das Bedürfnis, mit ihnen zusammen sein zu wollen.

Man sollte sich auch über das eigene Bindungsverhalten klar werden.

Was meinen Sie damit?

Man signalisiert durch sein Verhalten, was andere anziehen soll. Wenn jemand sagt «Ich gerate immer an die Falschen», stimmt das so nicht. Diejenigen sucht man sich selbst immer wieder aus. Wenn die Partnerwahl nicht klappt, sollte man einfach mal die Strategie wechseln. Dabei rate ich, sich an dem zu orientieren, was bei anderen funktioniert. Die Suche pessimistisch anzugehen, wäre falsch, weil sich schlechte Erfahrungen wiederholen – als selbsterfüllende Prophezeiungen.

Welche Fehler kann man online machen?

Grundsätzlich lässt sich der richtige Weg nur durch eigene Erfahrungen finden. Ungünstig ist sicher, zu behaupten: «Ich suche nicht, ich lasse mich finden.» Das signalisiert: Ich will mich nicht verändern, ich habe keinen Raum in meinem Leben und meinem Herzen für einen Partner. Auch eine betonte Coolness hilft bei der Partnersuche nicht weiter, weil sie Distanz vermittelt. Kritisch ist auch eine zu starke Schicksalsorientierung.

Können Sie das erklären?

Wer schicksalsorientiert sucht, erwartet die Liebe auf den ersten Blick und ist bereit, die Bekanntschaft sausen zu lassen, wenn es nicht sofort funkt. Erfolgreicher sind oft die, die wachstumsorientiert denken. Da entwickelt sich eine Beziehung langsam, über Sympathie und Freundschaft. Das hat oft mehr Bestand, weil das «Funken» ja vor allem ein Zeichen für sexuelle Anziehungskraft ist, die irgendwann vergehen kann. Das reicht alleine nicht für eine dauerhafte Beziehung. Deshalb empfehle ich, ruhig auch noch ein zweites Treffen zu versuchen, wenn man sich sympathisch fand – auch wenn es beim ersten nicht gleich gefunkt hat.

Ist die Auswahl in Partnerbörsen zu gross, um sich festzulegen?

Das glaube ich nicht. Es gibt zwar diesen Vergleich mit dem überforderten Kunden vorm Joghurtregal, aber davon halte ich nicht viel: Einen Joghurt zu kaufen, ist keine wichtige Entscheidung, die Partnerwahl schon. Immerhin will man sich im Idealfall für den Rest seines Lebens glücklich binden.

Wir führen heute deutlich mehr Beziehungen als andere Generationen vor uns. Jede Trennung führt zu Narben und Schutzstrategien: Entweder fällt es schwer, Vertrauen zu fassen, oder man lässt andere Menschen nicht so an sich heran, dass echte Nähe entstehen kann. Man muss seine schlechten Erfahrungen erst verarbeiten, damit es mit der Partnersuche wirklich klappt, sonst sabotiert man sich mit seinen Ängsten selbst.

Vielen Dank für das Gespräch.

So funktioniert das Kennenlernen. Expertentipps von Eric Hegmann

Kontaktieren: «Wenn man sich online kennenlernt, sollte man relativ frühzeitig anfangen, miteinander zu telefonieren, und dann ein erstes Treffen verabreden, um den jeweils positiven Eindruck zu bestätigen.»

Informieren: «Man sollte von Anfang an grosses Interesse am Gegenüber zeigen, weil das Gehirn alle Infos, die es nicht hat, mit eigenen Wunschvorstellungen füllt. Das führt zu unerfüllbaren Erwartungen.»

Treffen: «Es funkt selten auf Anhieb bei beiden. Das ist ganz normal. Deshalb sollte man ruhig mehrere Treffen wagen.»

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