Bei Sehbehinderung nichts mehr zu machen? Von wegen!

Sehbehinderungen sind vor allem erhebliche soziale Beeinträchtigungen

Spoiler

  • Sehbehinderungen betreffen 325 000 Menschen in der Schweiz. Die Dunkelziffer wird weit höher vermutet.
  • Mit der Sehkraft gehen oft auch soziale Kontakte und kognitive Fähigkeiten verloren.
  • Älteren Menschen mit Sehbehinderung hilft oft schon eine bessere Beleuchtung im Haus.

Bei einer Sehbehinderung handelt es sich mehrheitlich um eine altersspezifische Beeinträchtigung. Diese wird einerseits durch eine physiologische Veränderung, andererseits von verschiedenen krankheitsbedingten Veränderungen in allen Bereichen des Auges verursacht.

Mit der abnehmenden Sehkraft geht für den Betroffenen allerdings ein grosser Teil der eigenen Lebensqualität verloren. Es drohen soziale Ausgrenzung und eine Reduktion der kognitiven Fähigkeiten, wenn ältere Menschen aufgrund nachlassender Sehschärfe ihren Bewegungsradius einschränken und weniger Anregungen von der Aussenwelt erhalten, weil sie beispielsweise schlichtweg ihre Zeitung nicht mehr lesen können.

Sehbehinderung als individuelle Beeinträchtigung

Aus diesem Grund werden Sehbehinderungen in der Schweiz nicht wie etwa von der World Health Organization (WHO) mittels eines konkreten Zahlenbefundes definiert – als sehbehindert gilt demnach, wer über eine Sehstärke von unter 30 Prozent verfügt –, sondern vorrangig als persönliche, soziale oder berufliche Beeinträchtigung verstanden.

Vor diesem Hintergrund geht der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen (SZB) von 325 000 Betroffenen in der Schweiz aus, doch die Dunkelziffer dürfte um einiges höher liegen. «Vielfach fehlt es an einer grundlegenden Sensibilisierung für das Problem», erklärt Theres Bucher, spezialisierte Optometristin in Low Vision Rehabilitation aus Ebikon. «Ältere Menschen benötigen enorm viel Energie, um ihren gewohnten Tagesablauf zu bewältigen und das nähere Umfeld ist mit einem relativ hohen Betreuungsaufwand konfrontiert. Da stellt der Weg zum Optometristen oder Augenarzt schnell eine kaum zu bewältigende Hürde dar. Dabei würde oft schon eine bessere Beleuchtung den Alltag von sehbehinderten Menschen erheblich verbessern.»

Sensibler Umgang mit Betroffenen

Zahlreiche Hilfsmittel wie Bildschirmlesegeräte, Lupen und individuell angefertigte Lupenbrillen mit konvergenzunterstützenden Prismen können das Leben von Sehbeeinträchtigten enorm erleichtern. Frau Bucher, die auch als Dozentin am Institut für Optometrie der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten unterrichtet, betont daneben auch den hohen Stellenwert einer interdisziplinären Zusammenarbeit der Beratungsstellen, Augenärzte und Spezialisten, vor allem aber die Bedeutung der psychologischen Unterstützung ihrer Klienten. «Wenn sich eine Sehbehinderung erst im Laufe des Lebens einstellt, haben Betroffene häufig mit psychischen Problemen zu kämpfen, denn Verstand und Gefühle geraten durcheinander. Im Umgang mit ihnen wird die Bedeutung einer guten mentalen Ausstrahlung oft unterschätzt.»

Mehr Aufklärungsarbeit zu Sehbehinderung nötig

Weltweit sind nach Angaben der WHO etwa 246 Millionen Menschen sehbehindert. Der überwiegende Teil von ihnen – immerhin gut 90 Prozent – lebt in Entwicklungsländern, wo eine mangelhafte medizinische Versorgung selbst die verhältnismässig einfache Behandlung von einer Sehbehinderung verursachenden Krankheiten wie dem Grauen Star (Katarakt) oder Grünen Star (Glaukom) unmöglich macht.

Pränatale Infektionskrankheiten, frühkindliche Hirnschädigungen, Albinismus und genetisch bedingte Fehlbildungen als weitere Ursachen für Sehbehinderungen liegen zwar nur bei weniger als einen halben Prozent der beeinträchtigten Kinder vor, diese bedürfen dennoch hoher Aufmerksamkeit und gezielter Förderung.

Dass die Zahl der Sehbeeinträchtigten jedoch auch in den Industrie- und Schwellenländern rasant – nämlich mit dem steigenden Durchschnittslebensalter – zunimmt, wird in der Öffentlichkeit allerdings kaum wahrgenommen, auch weil hierzulande ältere Menschen ihre visuellen Einschränkungen oft resigniert hinnehmen oder von ihrem Umfeld nicht ernst genommen werden. «Es gibt auch zu wenig Spezialisten», meint Frau Bucher. «Zu schnell heisst es noch: ‘Hier kann man nichts mehr machen.’ Vor allem aber mangelt es an Aufklärungsarbeit. Wir brauchen ein konkretes Problembewusstsein.»

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