Mobilfunknetz 5G – Fluch oder Segen?

Strahlenexperte Dr. Pascal Leuchtmann im Gespräch

Funkturm auf dem Uetliberg Zürich
Herr Dr. Leuchtmann, was ist 5G überhaupt?

Das Mobilfunknetz 5G ist ein neuer Standard, in dem Mobiltelefone und Basisstationen miteinander kommunizieren. Sie können 5G mit einer Sprache vergleichen: Die Sprache meiner Urgrosseltern reichte vollkommen aus, um jemandem zu erklären, wie man Marmelade kocht. Aber es war unmöglich, mit den vorhandenen Begriffen zu beschreiben, wie ein Akku aufgeladen wird. Diese Begriffe mussten neu geschaffen werden. Ähnlich ist es mit der elektromagnetischen Kommunikation: Über die Jahre sind immer mehr neue ‹Begriffe› dazu gekommen, die eine völlig neue Art der Verständigung erlauben.

Was unterschiedet den neuen Mobilfunkstandard von Netzen, die bereits in Betrieb sind?

Das Mobilfunknetz 5G bietet eine schnellere Datenübertragung und kürzere Reaktionszeiten. Bei 2G musste man beispielsweise noch etwa eine halbe Sekunde auf eine Antwort warten. Bei 5G handelt es sich um eine Tausendstelsekunde.

Eine weitere Neuerung sind die adaptiven Antennen. Sie sind viel schlauer als ihre Vorgängerinnen und können in verschiedene Richtungen strahlen. Auch hier hilft wieder ein Vergleich mit der Sprache: Neue Wörter sagen den Antennen genau, wohin sie strahlen sollen. Dadurch geht keine Energie unnötig verloren.

Wieso müssen neue Antennen gebaut werden?

Ich gehe davon aus, dass durch die erhöhten Datenraten mehr Teilnehmer mehr Daten übertragen möchten. Jedoch ist auch bei dem Mobilfunknetz 5G die Gesamtmenge an Daten pro Antenne begrenzt. Deshalb muss die Zahl der Antennen aufgestockt werden. Dies tat man übrigens auch beim Ausbau von den vorangegangenen Standards. Zusätzlich können diese alten Antennen auf 5G umgerüstet werden.

Was wird sich in der Industrie mit der Einführung des Mobilfunknetzs 5G ändern?

Das sogenannte Internet der Dinge spielt hier sicher eine sehr wichtige Rolle. Nehmen wir das Beispiel eines logistischen Vertriebs. An jede Palette könnte eine mobile Funkeinheit angebracht werden, um die Ware zu verfolgen. Die Betreiber wissen jederzeit, wo sich die Palette befindet. Das vereinfacht die Organisation.

Auch in der Medizin wird die neue Technologie zum Einsatz kommen. Durch die schnellere Datenübertragung wird es beispielsweise möglich sein, dass ein Chirurg vom Spital aus einen Operationsroboter steuert, der sich ausserhalb des Krankenhauses, beispielsweise in schwer zugänglichen Gegenden, befindet. Zurzeit wäre so ein Vorhaben nicht durchführbar.

Welche Vorteile kann der private Nutzer aus der neuen Technologie ziehen?

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es eigentlich kaum vorstellbar, was alles möglich ist oder welche neuen Programme auf Basis von 5G eingeführt werden. Downloaden wird in Zukunft sehr viel schneller gehen, komplizierte Handygames mit mehreren Teilnehmern sind denkbar. Auch der Traum von autonomen Fahrzeugen rückt mit 5G noch ein Stückchen näher. Darin sehe ich vor allem für ältere Menschen viele Vorteile.

Doch 5G birgt auch Risiken. Schon jetzt ist die Handyortung relativ einfach. Mit dem neuen Standard wird die Ortung noch viel genauer. Zusätzlich optimiert 5G die Gesichtserkennung durch Kameras. Einerseits hilft das bei der Suche nach Terroristen, andererseits setzt sich so auch der Bürger der ständigen Überwachung aus. Hier sind die Gesetzgeber gefragt, um zu verhindern, dass Unbefugte an sensible Daten gelangen.

Hat die Einführung von 5G Einfluss auf die Datensicherheit?

Da die Kommunikation zwischen Endgerät und Antenne so viel aufwendiger ist, werden es Hacker in Zukunft schwieriger haben, sich drahtlos auf Computer oder Handys einzuloggen. Auf der anderen Seite sind natürlich viel mehr persönliche und potenziell angreifbare Daten unterwegs.

Brauchen Personen, die das neue Mobilfunknetz nutzen möchten, neue Handys?

Ja. Die älteren Handys verstehen die neue 5G-Sprache nicht.

Wie lange können ältere Handys noch genutzt werden?

Ich habe gehört, dass der 2G-Standard 2021 abgestellt werden soll. Ob das wirklich passiert, ist momentan noch nicht klar.

Viele Schweizer haben Angst vor 5G. Die Strahlen würden Mensch, Tier und Umwelt schaden. Was steckt hinter diesen Befürchtungen?

Gewisse Vorwürfe stimmen nicht, andere haben mehr Fleisch am Knochen. Aktuell verwenden die 5G-Antennen Frequenzen von 3,5 Gigahertz. Möglich wären aber Frequenzen bis zu 30 oder sogar über 60 Gigahertz. Höhere Frequenzen bedeuten kürzere Wellenlängen. Diese dringen nicht so tief in den Körper ein, was zu einer geringeren Verteilung und somit zu einer stärkeren Erhitzung der Haut führt. Die Grenzwerte, die man bereits für die älteren Standards verwendet hat, gelten auch für das Mobilfunknetz 5G. Diese sind gut erfasst und unbedenklich.

Verschiedene Untersuchungen zeigen allerdings, dass Menschen, die glauben, Strahlung ausgesetzt zu sein, tatsächlich an Kopfschmerzen, Schlafstörungen und anderen Symptomen der Elektrosensibilität leiden. Ob dabei tatsächlich ein elektromagnetisches Feld aktiv ist oder nicht, spielt jedoch keine Rolle. Wichtig ist allein der Glaube an die Strahlengefahr. Die Beschwerden und die Strahlung stehen in keiner Korrelation zueinander.

Zu bedenken gibt mir allerdings eher der ständige Zwang, erreichbar zu sein. Nicht zu vernachlässigen ist auch der hohe Energiebedarf für das Internet, heute etwa 7 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs, der mit 5G noch weiter steigen wird.

Ist die Strahlung bei 5G denn wirklich höher als beispielsweise bei 4G?

Die Antwort ist nicht ganz so einfach. Wenn ich mit 4G die genau gleiche Datenmenge herunterlade wie mit 5G, ist die Strahlung, die von 5G ausgeht, geringer. Ich erwarte jedoch, dass in Zukunft mehr Daten transferiert werden, was auch zu mehr Strahlung führen kann.

Die adaptiven Antennen vermindern die Durchschnittsbelastung. Zahlreiche, dafür dichter aufgestellte Antennen strahlen insgesamt weniger, weil sie nicht so weit strahlen müssen.

Im Frühling 2019 hat der Bundesrat im Hinblick auf 5G-Netze eine Anpassung der Verordnung über den Schutz nichtionisierender Strahlung (NISV) beschlossen. Was bedeutet das?

Konkret wurden bei der Anpassung vier verschiedene Aspekte berücksichtigt. Erstens wurde eine Lücke in der Grenzwertverordnung gefüllt. Für die neue 5G-Frequenz von 1,4 Gigahertz gab es bisher keinen Anlagegrenzwert.

Zweitens wurden neue Messvorschriften für die adaptiven Antennen ermöglicht. Da sie in verschiedene Richtungen strahlen können, muss dies bei der Messung berücksichtigt werden. Die genauen Ausführungsbestimmungen sind noch in Bearbeitung.

Drittens wurde eine Ausnahmeregelung für temporäre Antennen erlassen, die weniger als 800 Stunden pro Jahr strahlen. Solche Antennen werden beispielsweise an der Street Parade aufgestellt, also immer dort, wo sich sehr viele Personen gleichzeitig aufhalten. In der Schweiz gilt für Orte mit empfindlicher Nutzung ­– sogenannte Omen – ein Vorsorgegrenzwert, der zehnmal schärfer ist als der normale Anlagegrenzwert. Zu den Omen gehören zum Beispiel Wohnungen oder Spielplätze. Dieses Vorsorgeprinzip gilt allerdings nicht für die temporären Antennen.

Viertens hat sich der Bund für ein regelmässiges NISV-Monitoring verpflichtet. Die nichtionisierende Strahlung soll wie etwa bei der Luftreinhaltung regelmässig überprüft werden, um die tatsächliche Bestrahlung der Bevölkerung zu erfassen.

Kann man seine persönliche Strahlenbelastung einschränken?

Die mit Abstand grösste Strahlenquelle in unserem Alltag ist das eigene Handy. Je näher wir es an unseren Körper halten, desto grösser ist die Strahlenbelastung. Schon ein Headset verringert die Strahlung massiv. Das Mobiltelefon strahlt jedoch nur so stark, wie es gerade muss. Ist der Empfang schlecht, gibt das Handy mehr Strahlung ab. Wer also telefonieren möchte, sollte dies nicht gerade in der Tiefgarage tun.

Vielen Dank für das Gespräch!
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