Spoiler
- MBSR steht für Mindfulness-Based Stress Reduction und ist ein Programm, welches Achtsamkeit lehrt, um Stress zu bewältigen.
- Verschiedene Übungen und «Hausaufgaben» helfen dabei, die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu fokussieren und sich nicht in Gedankenwirbel ziehen zu lassen, die den Stress verursachen.
- Die Praxis kann prima in den Alltag eingebunden werden – selbst wenn die Zeit knapp bemessen scheint.
Was ist Mindfulness-Based Stress Reduction?
«Es handelt sich dabei nicht um eine Technik zur Stressbewältigung, sondern um Achtsamkeit. Achtsamkeit ist eine Lebenshaltung und eine Einstellung, die man zu sich selbst hat. Wenn wir diese Einstellung ändern, verändert sich auch die Haltung gegenüber anderen Menschen und Situationen. Über die Achtsamkeitsübungen lernen die Kursteilnehmenden, sich selbst besser zu spüren und zu realisieren, was im Körper passiert und welche Gedanken und Gefühle da sind», erklärt Jeannine Born. Während des achtwöchigen MBSR-Kurses wird durch praktische Übungen, Theorieelemente und Gruppenübungen die Achtsamkeit gefördert, um die Fähigkeit zu erlangen, bei sich zu bleiben und sich nicht in den Strudel aus negativen Gedanken, Sorgen und Ängsten ziehen zu lassen. Das sorgt für einen bewussteren Umgang mit Stress. Die Expertin macht ein Beispiel: «Wer viel Arbeit hat, hat per se einfach viel Arbeit. Diese verursacht nicht selbst den Stress, sondern wie man damit umgeht. Indem man sich mit dem Gedanken beschäftigt, dass man das nicht alles erledigen kann, ist man zum einen abgelenkt und erzeugt zum anderen mit dieser Verhaltensweise zusätzlichen inneren Stress, weil man in Gedanken gefangen und unkonzentriert ist. Stattdessen könne man einfach einen Moment innehalten, aus der Gedankenspirale bewusst aussteigen und dann mit der ersten Aufgabe starten. Durch Achtsamkeit wird man sich dieser Denkmuster und Verhaltensweisen bewusst.» Auf diese Weise lässt sich mit Stressoren von innen und von aussen anders umgehen. Mit der Zeit können die Praktizierenden häufig viel besser benennen, woher der Stress kommt.
Neben MBSR gibt es noch weitere Programme wie MBCT (Mindfulness-Based Cognitive Therapy of Depression), das bei Menschen mit Depressionen nachweislich das Rückfallrisiko reduziert. MBCL (Mindfulness-Based Compassionate Living) unterstützt eine mitfühlende Haltung sich selbst und anderen gegenüber. MBPM (Mindfulness-Based Pain Management) richtet sich an Personen mit chronischen Schmerzen oder Erkrankungen. «Ob Depression, Angst oder chronische Schmerzen – all das sind extreme Formen von Stress. Wir unterscheiden zwischen dem spezifischen Stress und unspezifischem Stress, von dem man im Gegensatz zu einer Diagnose von Depressionen oder chronischem Schmerz oft nicht genau weiss, woher er kommt. Im MBSR-Kurs und bei den Übungen erforscht und entdeckt man, wo die Ursache für den Stress liegt», erläutert sie. «In anderen Ländern wie Deutschland oder England wird MBCT gleichwertig zu Antidepressiva verordnet.»
Das MBSR-Programm und seine Kernkomponenten
«Unsere allererste Übung ist immer die Rosinen-Übung. Wir essen drei Rosinen und brauchen dafür meist etwa eine halbe Stunde, da wir uns mit allen Sinnen darauf einlassen. Über die Wahrnehmung von Geruch, Geschmack, Gefühl an den Lippen und im Mund, Bewegungen beim Essen schaltet man den Autopiloten aus.» Darauf folgen formelle Übungen, für welche man sich extra Zeit nimmt, und informelle, welche in den Alltag eingebaut werden.
Die erste formelle Übung ist der Bodyscan, um mit dem Körper Kontakt aufzunehmen und ihn bewertungsfrei bewusst wahrzunehmen. Es kann sein, dass der Körper dabei ruhig liegt, der Geist aber immer wieder zurück an den Schreibtisch wandert und stetig Gedanken produziert. Ziel ist es, das zu erkennen und wieder zum Körper zurückzukehren. «Achtsamkeit bedeutet, die Aufmerksamkeit besser zu steuern und mit der Zeit schneller zu bemerken, wenn sie weggeht. Auch das freundliche Zurückbringen der Aufmerksamkeit gehört zu der Übung.» Bei der Sitzmeditation dreht sich ebenfalls alles um die Regulation der Aufmerksamkeit, diesmal vor allem in Bezug auf die Gedanken. Man nimmt seine eigenen Gedanken wahr, ohne sich tiefer damit zu befassen, kehrt dann wieder zurück zum Fokus auf den eigenen Atem. «Oft sind die Gedanken nicht wie einzeln vorbeiziehende Wolken am Himmel, sondern eher wie ein Sturm vor der Haustüre. Dann lässt sich feststellen ‹Ich bin nicht meine Gedanken und ich merke, dass es nur Gedanken sind› und man wappnet sich dafür», erklärt die Achtsamkeitstrainerin. Sie belegt die Idee dahinter erneut mit einer anschaulichen Alltagssituation: «Man sieht beispielsweise eine rote Tulpe und es kommt der Gedanke auf, dass sie Wasser braucht. Darauf folgt ein ganzes Gedankenkarussell: Nicht nur sie muss gegossen werden, sondern alle anderen ebenfalls. Und wann soll man das überhaupt noch machen, es ist so wenig Zeit. Die Alternative wäre, sich gar nicht erst in den Gedankenstrudel ziehen zu lassen, sondern einfach innerlich eine Notiz zum Blumengiessen zu machen und den aktuellen Gedanken zu Ende zu bringen. Indem man sich nicht so tief in ein Gedankenkarussell reinziehen lässt, reduziert sich bereits der Stress.»
Die Gehmeditation beinhaltet die bewusste Wahrnehmung des Körpers während der Bewegung. Man verlangsamt und spürt die Füsse. Als informellen Übung kann damit gut Achtsamkeit im Alltag praktiziert werden. «Wir sind im Alltag alle gehend unterwegs, durchs Haus oder im Büro zum Kopierer – meist machen wir das im Autopiloten und sind dabei nicht im Kontakt mit uns selbst. Genau diese Wege kann man jedoch für kleine Pausen nutzen, ohne dabei nennenswert Zeit zu verlieren. Im Kurs üben wir das durch langsames, bewusstes Gehen.»
Ausserdem wichtige Bestandteile im MBSR-Programm sind achtsames Bewegen in Form von Yoga sowie der Erfahrungsaustausch unter den Teilnehmenden. Theorieelemente, bestehend aus Informationsmaterial zu Achtsamkeit und Stress, angenehmen und unangenehmen Gefühlen, Selbstfürsorge und Meditation, runden den Kurs ab. «Mit einer regelmässigen Praxis verändert sich nicht nur der Umgang mit Stress, sondern auch das Gehirn. Es lassen sich nach einem achtwöchigen Achtsamkeitstraining eindeutige positive Spuren feststellen», so die Expertin.
Eignung und Herausforderungen
Mindfulness-Based Stress Reduction eignet sich für fast alle Personen, die Lust haben, sich darauf einzulassen. Dabei muss es nicht mal um Stressreduktion gehen, wenn es schon fast zu spät ist, sondern bereits um Prävention. Lediglich für Menschen mit einem akuten Suchtproblem oder akuten Psychosen ist MBSR nicht geeignet, denn Achtsamkeit benötigt einen klaren Geist. Typischerweise stehen Teilnehmende vor verschiedenen Herausforderungen:
- Einschlafen oder Dösen bei den Übungen
- Starkes bewerten, wenn der Geist immer wieder abschweift
- Körperliche Unruhe und Schmerzen beim Sitzen
- Sich entspannen wollen, aber stark mit Spannung beschäftigt zu sein
«Einen freundlichen und geduldigen Umgang mit diesen Herausforderungen zu finden, statt gewohnheitsmässig selbstkritisch und abwertend zu reagieren, wie wir das oft automatisch tun, ist ein wichtiger Teil der Achtsamkeit, und zwar beim Meditieren genauso wie im Alltag. Die Begleitung einer erfahrenen Achtsamkeitslehrerin, eines Achtsamkeitslehrers, kann hier sehr unterstützend sein.»
MBSR im Alltag
Der Alltag bietet viele Möglichkeiten, Achtsamkeit zu praktizieren. Einer der Favoriten der Expertin ist die Kaffeemaschinenmeditation. «Wenn Sie sich einen Kaffee machen, machen Sie doch meist noch etwas nebenher. Aber man könnte stattdessen den Prozess miterleben und neugierig sein. Wann riecht man den feinen Geruch des Kaffees und wie plätschert er in die Tasse? Dadurch schafft man einen Moment des Innehaltens und Durchschnaufens und verbindet sich ganz mit dem Moment.»
Eine weitere gute Möglichkeit sind Wartezeiten, zum Beispiel an der Bushaltestelle, da man dort ganz bewusst stehen oder eine Gehmeditation machen kann. Das sind Zeiten im Alltag, die wir sowieso zur Verfügung haben, es ist nur die Frage, wie sie genutzt werden – scrollt man durchs Smartphone oder verwendet man sie lieber für eine Achtsamkeitsübung und unterbricht so den Autopiloten?
«Es geht darum, sich im Alltag Pausen zu nehmen bei Aktivitäten, die man sowieso macht und Achtsamkeit dabei zu üben. So erkennt man schwierige, kritische oder stressende Muster im Umgang mit sich selbst und lernt, freundlicher und selbstfürsorglicher zu werden mit sich und auch mit anderen. Gerade wenn man im Stress ist, ist Freundlichkeit wichtig, denn oftmals verschwindet dann das Erlaubende, nur das Selbstkritische bleibt», berichtet die Achtsamkeitstrainerin. Wenn die Haltung zu uns selbst mit der Zeit freundlicher und erlaubender wird, löst das ganz viel Stress auf. An dieser Haltung setzt die Achtsamkeit an.
MBSR in Unternehmen und an Schulen
Es gibt bereits Initiativen, die MBSR an Schulen bringen. Dabei werden dann direkt zwei Gruppen trainiert: die Schülerschaft und die Lehrepersonen. Bei achtsamen Schulen werden zudem die Eltern miteinbezogen. Für Eltern gibt es Angebote für Mindful Parenting und Kurse für die Schwangerschaft.
In Unternehmen macht das Programm ebenfalls viel Sinn, da es der Burnout-Prophylaxe und einer besseren Teamkultur dient. Daran teilnehmen sollten jedoch nur Mitarbeitende, welche das wirklich wollen. Niemand sollte gezwungen sein.
«Achtsamkeitskurse können sehr viel erreichen. Ich würde jedem zum Einstieg empfehlen, ganz viel Neugier und Offenheit mitzubringen und sich auf diesem Weg von einer Lehrerin oder einem Lehrer begleiten zu lassen», rät Jeannine Born.
MBSR-Kurse von zertifizierten Lehrerinnen und Lehrern in deiner Region findest du unter:
https://www.mindfulness.swiss/kurse/kurse-angebote-finden/
Für Unternehmen und Schulen bieten qualifizierte Mitglieder von MindfulnessSwiss, dem Achtsamkeitsverband der Schweiz, individuelle Offerten und Weiterbildungen an.