Marathonlegende Viktor Röthlin: «Laufen ist wie Fliegen»

Ein Gespräch über Warm-ups und Zukunftsträume

Viktor Röthlin
Was rätst du jemandem, der eine Laufroutine entwickeln möchte, aber den Anfang nicht findet?

Drei Dinge: Als erstes, sich ein konkretes Ziel zu setzen. Das kann ein Volkslauf sein oder einfach das Ziel, wenn ich das nächste Mal zum Bus renne, diesen auch zu erwischen. Dann ist es wichtig, mit der richtigen Ausrüstung zu starten. Minimalausrüstung sind gut passende, richtige Laufschuhe und Laufsocken. Drittens: An einem Laufkurs teilnehmen oder sich einer Laufgruppe anschliessen. Man profitiert von der Gruppendynamik und das hilft, den inneren Schweinehund zu überwinden.

Ist ein Laufkurs wirklich nötig? Kann man nicht einfach loslaufen?

Laufen ist einfach. Das ist ja das Schöne daran. Aber viele laufen seit Jahren, ohne dass sich jemand mal den Laufstil angeguckt und geschaut hat, ob sie etwas Wesentliches falsch machen. Mir fällt auf, dass selbst viele ambitionierte Läufer etwa zu lange Schritte machen. Dies führt häufig zu Überlastungsproblem am Muskel-, Sehnen- und Bandapparat.

Was ist eine gute Trainingseinheit für Anfänger?

Generell gilt: Häufigkeit vor Dauer vor Intensität. Anfänger sollten möglichst oft laufen, aber nicht zu lange. Dann die Länge der einzelnen Einheiten steigern und erst am Schluss die Intensität in Form von Intervalltrainings einbauen. Es ist ein klassisches Männerphänomen, das man tendenziell zu schnell unterwegs ist und vergisst, eine gute Grundlage zu erarbeiten.

Ist es gesünder, auf Asphalt oder auf Naturboden zu laufen?

Grundsätzlich kann man diese Frage nicht mit «entweder oder» beantworten. Um die Gelenke zu schonen, empfiehlt es sich auf weichem Naturboden zu laufen. Weicher Naturboden ist aber Gift für alle, die ab und zu Achillessehnenbeschwerden haben. Diese Leute sollten vermehrt auf Asphalt laufen gehen. Ist man gesund, sollte man seinen Laufuntergrund und somit auch seine Laufrunden regelmässig wechseln.

Wie sieht dein Warm-up aus?

Ich beginne immer mit kreisenden Bewegungen der Fuss-, Knie- und Hüftgelenken, gefolgt von Tappings und kleinen Sprüngen wie dem Hampelmann für circa fünf Minuten. Dies regt die Bildung der Gelenkflüssigkeit an und bereitet die Gelenke auf die Stösse des Laufens vor. Häufig stretchen sich Jogger vor dem Training. Das ist sinnvoller nach dem Training, um die Muskulatur zu entspannen.

Hast du einen Tipp gegen Seitenstechen?

Ja. Einen zwei Franken grossen Stein aufheben und in die linke Hand nehmen. Es funktioniert, aber ich werde nicht verraten, wieso.

Du hast etliche Stunden deines Lebens laufend verbracht. Woher kommt die Bereitschaft, dem Sport so viel Zeit zu opfern?

Auf einem langen Lauf schüttet der Körper Endorphine aus. Man kommt in einen Zustand, der sich anfühlt wie Fliegen und Leichtsein. Wenn man das erlebt hat, will man das immer wieder.

Wie oft läufst du heute?

Ich bewege mich drei bis viermal pro Woche, oft laufe ich. Im Winter mache ich auch Langlauf und im Sommer gehe ich mountainbiken. Dann reite ich zweimal pro Woche. Nach meiner WM-Bronzemedaille 2007 in Osaka, hat mir meine Heimatgemeinde ein Pferd geschenkt.

Wussten sie denn, dass du ein Pferd haben wolltest?

Überhaupt nicht. Ich habe es einfach bekommen. Mir war damals auch nicht bewusst, was das alles mit sich bringt. Das Pferd heisst Osaka und inzwischen geniesse ich die Ausritte in der Natur sehr.

Worin liegt für dich der Reiz eines Marathons?

Das Beste ist für mich die Vorbereitung. Die vielen Monate mit einem regelmässigen Lauftraining sind extrem gesund für die Lunge und das Herz-Kreislauf-System. Ich würde sagen, dass man durch das Training auf einen Marathon ungefähr ein Jahr an Lebenserwartung gewinnt. Der Wettkampf selbst ist dann eine solche Belastung für den Körper, dass man circa neun Monate wieder verliert.

Dann wäre es das gesündeste, sich auf Marathons vorzubereiten und dann nicht mitzulaufen?

Genau. Im Jahr 2012 wurde der New York Marathon kurzfristig wegen des Wirbelsturms «Sandy» abgesagt. Das war das gesündeste, was den 47’000 angemeldeten Läufern passieren konnte.

Du bist auf der einen Seite Spitzensportler, auf der anderen Seite Physiotherapeut. Fällt es dir schwer, die gesunde Mitte zu finden zwischen Forderung und Überforderung?

Im Herzen war ich mehr Spitzensportler und durchaus bereit, Schmerzen einzugehen für Erfolg. Du kannst nicht auf einem Ponyhof sein und Europameister werden. Ich habe aber mein Wissen genutzt, um mich zu schützen. Zum Beispiel habe ich mich konsequent an die Ruhephasen nach einem Marathon gehalten und drei Wochen danach auf Sport verzichtet.

2009 wurdest du durch zwei Lungenembolien heftig ausgebremst. Waren sie Folgen eines zu harten Trainings?

Nein. Sie waren Folgen eines Gendefekts, von dem ich damals nichts wusste. Ich bin heute beschwerdefrei, achte aber auf eine Thromboseprophylaxe vor Langstreckenflügen und bei längeren Immobilitäten.

Du hast deine Karriere 2014 offiziell beendet und hast neue Projekte wie deinen Lauf-Event «SWITZERLAND MARATHON light» ins Leben gerufen. War es einfach, aufzuhören?

Ja, es war der richtige Zeitpunkt. Ich wurde 40, ein hohes Alter für einen Spitzenmarathonläufer. Ausserdem habe ich mich auf den nächsten Lebensabschnitt gefreut. Ich habe zwei Kinder und geniesse es, nicht mehr wochenlang in Trainingscamps zu sein. Als Laufcoach macht es mir heute Spass, vor allem die Freude am Laufen weiterzugeben, nicht die Verbissenheit. Und bei meinem eigenen Lauf, konnte ich all die guten Ideen umsetzen, welche ich in all den Jahren als Spitzensportler bei meinen Wettkämpfen gesehen habe.

Am Vorabend vor einem Wettkampf isst du immer Rösti. Hat das einen Grund?

Vor Wettkämpfen sollte man sich kohlenhydratreich ernähren. Kartoffeln sind super, weil sie viele Kohlenhydrate haben und zudem noch basisch sind.

Es ist dein Traum, einmal das Matterhorn zu besteigen. Hast du schon Pläne?

Dieses Ziel hebe ich mir für die Zeit zwischen 50 und 60 auf. Ich möchte das zusammen mit meiner Frau machen. Für die Vorbereitung sind Hochtouren nötig und spezifisches Training am Berg. Im Moment sind unsere Kinder noch zu klein, da wollen wir nicht tagelang ohne sie in die Berge klettern gehen.

Vielen Dank für das Gespräch.
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