Herr Gratwohl, Sie sind seit mehr als zwei Jahrzehnten als Schauspieler aktiv. Welche Highlights sehen Sie im Rückblick?
Als Adrian von Bubenberg in der Inszenierung «1476 – Die Geschichte um die Murtenschlacht» stand ich jeden Abend vor 1’000 Leuten auf der Bühne. Das war eine tolle Erfahrung. Ich musste für die Rolle extra noch Reiten lernen – auch wenn ich denke, dass sie mir nicht gerade das wildeste Pferd gegeben haben.
Ganz anders war es bei dem Stück «Die glorreichen Zwei»: Das habe ich selbst geschrieben, selbst gespielt – manchmal nur vor 30 Zuschauern – und doch war ich oft noch nervöser als auf der grossen Bühne.
Eine sehr intensive Erfahrung war auch die Live-Ausstrahlung der Jubiläumsfolge zum 30. Jahrestag der «Lindenstrasse». Da musste jeder Satz, jeder Einsatz beim ersten Anlauf sitzen – eine unglaubliche Anspannung und Freude, als dann alles geklappt hatte.
Wo fühlen Sie sich wohler: auf der Bühne oder vor der Kamera?
Das ist tagesformabhängig. Aktuell tendiere ich mehr zum Theater. Ich mag das grössere Spiel, die Herausforderung, bis zur letzten Reihe durchzukommen, und den Kontakt zu den Menschen direkt vor der Nase.
Beim Film haben es alternde Frauen schwer, attraktive Rollenangebote zu bekommen …
Ja, das stimmt. Für Frauen ist es mitunter schwieriger, da gibt es einen härteren Beauty-Druck – nicht nur im Film, in der ganzen Gesellschaft.
Für männliche Schauspieler gibt es keine Beeinträchtigungen?
Das kommt auf die Rollen an. Die grosse Mehrheit der Schauspieler wird typmässig besetzt. Wenn du aber zu alt für den jugendlichen Liebhaber und zu jung für den gestandenen Familienvater bist, dann hast du ein Problem.
Bewahren Kontaktlinsen die Jugendlichkeit im Filmgeschäft?
Vor der Kamera ist die Brille in erster Linie ein Requisit. Sie beeinflusst die Wahrnehmung des Gesichts und definiert ihren Träger sehr stark. Mit Kontaktlinsen ist eine breitere Interpretation des Charakters möglich.
Wie sieht es hinter der Kamera aus?
Ich komme mit Kontaktlinsen ganz gut zurecht. Brillen trage ich nicht so gern – und es ist teilweise recht schwer, sich auf eine festzulegen. Wenn ich beim Optiker Brillen probiere, kann ich zehn Modelle aufsetzen und strahle mit jedem etwas anderes aus. Der Schuljunge, der Hipster, der Nerd: Man wird fast ein anderer Mensch.
Im Kinofilm «Mario» sind Sie als Fussballtrainer zu sehen. Bevor Sie als Schauspieler durchgestartet sind, waren Sie Profifussballer …
Das war eine Art Rückkehr zu den Wurzeln, eine tolle Erfahrung.
Spielen Sie noch?
Der Wettkampfgeist ist noch da! Aber es fehlt die Regelmässigkeit. Heute spiele ich Tennis, fahre Rad und jogge – 15 Kilometer, manchmal mehr. Das Joggen selbst ist ja eher halb toll, aber das Gefühl danach ist wahnsinnig gut. So entspannt.
Wie halten Sie sich sonst fit?
Ich versuche, mich nicht so schlimm zu ernähren. Dazu der Sport – und vielleicht hab ich auch einfach Glück mit den Genen.
Für dieses Jahr steht das Aus der «Lindenstrasse» an. Sie spielen darin seit 2000 den Alex. Fällt der Abschied schwer?
Ich spiele die Rolle, identifiziere mich aber nicht mit ihr. Das kann ich gut trennen. Ob mir Alex wirklich fehlt, wird sich erst hinterher zeigen. Ich bin da sehr auf den letzten Drehtag gespannt.
Mich stimmt es eher ein bisschen wehmütig, dass ich die Menschen vor und hinter der Kamera nicht mehr so oft und einige sicherlich gar nicht mehr sehen werde. Mit den Jahren sind sie mir doch ganz schön ans Herz gewachsen.