Frau Kutlar Joss, ist die Schadstoffbelastung im Sommer höher als im Winter?
Ja und nein. Zu den Luftschadstoffen gehören Feinstaub, Ozon und Stickstoffdioxid. Durch höhere Temperaturen und stärkere UV-Strahlung ist die Ozonbelastung im Sommer grösser. Feinstaub- und Stickstoffdioxidwerte sind allerdings im Winter höher, da mehr verursachende Quellen wie Heizungen hinzukommen und bestimmte Wetterlagen die Schadstoffbelastung in den unteren Schichten der Atmosphäre begünstigen.
Macht die Tageszeit einen Unterschied?
Der Ozonwert ist am Morgen am niedrigsten. Es macht also Sinn, Sporteinheiten früh zu planen, um den Körper nicht zusätzlich zu belasten. Feinstaub- und Stickstoffbelastung sind eher räumlich als zeitlich gebunden. Verkehr und Industrie treiben sie in den Städten in die Höhe. Aber auch auf dem Land können alte Holzöfen oder Inversionswetterlagen beispielsweise in Alpentälern die Luftqualität beeinflussen.
Wann wird die Schadstoffbelastung gefährlich für die Gesundheit?
Im Prinzip ist jede Schadstoffbelastung ungesund. Das individuelle Risiko ist aber sehr klein. Auf Gesamtbevölkerungsebene kann aber bereits eine Schadstoff-Zunahme von wenigen Prozent relevant sein, weshalb die gesetzlich festgelegten Grenzwerte unbedingt einzuhalten sind. Steigt beispielsweise der Feinstaubwert langfristig um zehn Mikrogramm pro Kubikmeter, erhöht sich das Sterberisiko um acht Prozent. Kurzfristige Schwankungen haben hingegen nur einen Einfluss von 0,65 Prozent. In der Schweiz schaffen wir es, die Grenzwerte grösstenteils einzuhalten. An verkehrsexponierten Lagen und bei den Ozonwerten gibt es noch Handlungsbedarf.
Je nach Empfindlichkeit oder bei Vorerkrankungen, kann eine dauerhaft hohe Schadstoffbelastung gesundheitliche Auswirkungen auf den ganzen Körper haben, mit der Lunge als Einfallstor.
Wie macht sich das bemerkbar?
Das kann von lokalen Reaktionen der Atemwege wie Husten, flacher Atmung, gereizten Augen bis zu systemischen Herz-Kreislauf-Beschwerden, Kopfschmerzen oder zum Abfall kognitiver Leistung reichen. Auch Erkrankungen wie Arteriosklerose oder Demenz können nachweislich durch die langfristige Schadstoffbelastung begünstigt werden.
Und wie können wir den Körper davor schützen?
Um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, wurden Grenzwerte festgelegt, die eingehalten werden müssen. Dazu gehören natürlich politische Anstrengungen und Engagement – auch im Alltag von jedem einzelnen. Bei hoher Ozonbelastung im Sommer ist es besser, starke körperliche Anstrengungen zu vermeiden und bei Beschwerden Innenräume aufzusuchen, da dort die Ozonwerte tief bleiben. Grundsätzlich ist der gesundheitsfördernde Effekt von Sport aber immer grösser als die negativen Auswirkungen durch Schadstoffe.
Ein spannender Effekt, der aktuell noch erforscht wird: Bei Menschen, die berufsbedingt einer hohen Ozonbelastungen ausgesetzt sind, wurde eine Gewöhnung festgestellt. Der Körper scheint zu lernen, besser mit den veränderten Luftbedingungen umzugehen.
Also müssen wir uns in der Schweiz gar keine Sorgen machen?
Nur weil die Werte hier gut sind, heisst das nicht, dass die Schweiz die Anstrengungen in Bezug auf die Schadstoffeindämmung einstellen kann. Die Luft kennt keine Grenzen. Schadstoffe gelangen auch aus umliegenden Ländern in die Schweiz und umgekehrt. Beispielsweise in Zürich stammen 70 bis 85 Prozent des Feinstaubs aus überregionalen und internationalen Quellen. Neben den gesundheitlichen Auswirkungen auf den Menschen, hat die Schadstoffbelastung auch negative Folgen auf die Umwelt. Ozon hemmt beispielsweise das Wachstum von Pflanzen und schädigt die Blätter.
Hat Corona der Umwelt dahingehend gutgetan?
Die Lockdowns haben eindeutig zu einer Verbesserung der Luftqualität geführt, was weltweit beobachtet wurde. Die Stickoxidwerte waren niedriger, die Emissionen geringer durch Homeoffice, weniger Verkehr und das teilweise Runterfahren industrieller Aktivitäten. Bei den Feinstaubwerten lässt sich allein an den Messwerten kein ganz so eindeutiger Rückgang in der Schweiz verzeichnen, da in der Zeit Saharastaub-Vorkommnisse die Feinstaubwerte in die Höhe trieben. Nachhaltig sind diese Verbesserungen voraussichtlich nicht, da ich ein «Weiter-wie-zuvor» erwarte. Wir können aber diese positiven Erfahrungen aus dem Lockdown mitnehmen und versuchen, sie politisch weiter zu tragen.