Spoiler
- Bei der Erkennung von Brustkrebs könnten Radiologinnen und Radiologen zukünftig von Künstlicher Intelligenz (KI) unterstützt werden. Ein Forschungsprojekt der Universität St. Gallen und der Krebsliga Ostschweiz liefert bereits erste Ergebnisse.
- Eine Herausforderung bei der Krebsfrüherkennung sind Intervallkarzinome, also Krebs, der während zwei Mammografieterminen entdeckt wird. Der Tumor kann in diesem Zeitraum entstehen oder er wurde beim Screening übersehen. Die KI könnte helfen, die Erkennungsqualität zu verbessern und somit die Zahl der Intervallkarzinome zu verringern.
- Mithilfe von KI könnte das Krebsscreening personalisiert werden: Frauen mit einem hohen Risiko würden engmaschiger kontrolliert werden, während Frauen mit einem geringeren Krebsrisiko weniger häufig zur Mammografie aufgerufen werden würden.
Das Screeningprogramm «donna» zur Früherkennung von Brustkrebs ist seit über zehn Jahren in der Ostschweiz etabliert. Alle zwei Jahre werden Frauen im Alter zwischen 50 und 69 zu einer Mammografie eingeladen. Doch wie effektiv ist dieses Programm und was könnte man bei der Früherkennung von Brustkrebs noch verbessern? Diese Fragen sind Untersuchungsgegenstand einer Kooperation der School of Medicine der Universität St. Gallen mit der Krebsliga Ostschweiz. Eine wichtige Rolle spielt dabei Künstliche Intelligenz (KI), die zukünftig ergänzend oder unterstützend für die Radiologen eingesetzt werden könnte, um die Erkennungsqualität beim Screening noch weiter zu verbessern und somit die Anzahl der sogenannten Intervallkarzinome zu verringern.
An der Forschungsgruppe der Universität St. Gallen sind neben Jonas Subelack auch Dr. David Kuklinski und Prof. Dr. Alexander Geissler beteiligt. Auf Seiten der Krebsliga Ostschweiz sind Marcel Blum, Dr. Alena Eichenberger, Dr. Rudolf Morant involviert.
KI macht Aussagen über Wahrscheinlichkeit und Risiko
Die Forschenden der School of Medicine und der Krebsliga Ostschweiz arbeiten mit einer KI-basierten Software, die mit zahlreichen Mammografiebefunden trainiert wurde. «Die Software liefert uns zwei wichtige Kennzahlen. Der Case Score gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass eine Bildaufnahme im Vergleich zu der Trainingsdatenbank eine Krebserkrankung enthält. Je höher der Score, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass auf der Mammografie eine Auffälligkeit abgebildet ist», erklärt Subelack.
Die Risikoklassifikation schätzt hingegen ein, wie hoch das Risiko ist, innerhalb der nächsten zwei Jahre nach einer Mammografie an Brustkrebs zu erkranken. «Die Risikoklassifikation stützt sich auf Faktoren wie das Alter und spezifische mammografische Merkmale», führt er aus. Ausserdem gibt die Software die Brustdichte an. Je dichter das Drüsengewebe der Brust ist, desto schwerer ist es für die Radiologinnen und Radiologen auf der Mammografie etwas zu erkennen.
Das Projekt steckt momentan noch in der Forschungsphase. Wenn die Berechnungen der KI sich aber als treffsicher erweisen, könnte es zukünftig möglich sein, dass solche Softwares standardmässig bei der Erkennung von Brustkrebs eingesetzt werden.
Erkennung von Brustkrebs in der Schweiz
In der Schweiz ist das Brustkrebsscreening kantonal geregelt. Nicht jeder Kanton bietet ein spezielles Programm an. Auf der Website von Swiss Cancer Screening finden Interessierte eine Übersicht.
Das Forschungsteam konnte bereits nachweisen, dass Frauen, die am «donna»-Screening teilnehmen, eine deutlich bessere Überlebensrate haben, wenn bei ihnen Brustkrebs diagnostiziert wird.
Die Krebsliga empfiehlt aber auch Frauen, die in einem Kanton ohne Früherkennungsprogramm wohnen, sich ab dem Alter von 50 untersuchen zu lassen. Die Frauenärztin oder der Frauenarzt ist in diesen Fällen die richtige Ansprechperson. Alle Frauen sollten zudem regelmässig ihre Brust abtasten, um eine Veränderung frühzeitig zu bemerken.
Wenn man weiss, dass man aufgrund einer Genmutation oder bei Brustkrebsfällen in der Familie ein höheres Risiko hat, Krebs zu entwickeln, sollte man mit seiner Ärztin oder seinem Arzt individuelle Methoden zur Früherkennung von Brustkrebs besprechen.
Wie gut ist KI bei der Erkennung von Brustkrebs?
Anhand der Daten aus dem Mammografie-Programm «donna» haben sich Jonas Subelack und seine Kolleginnen und Kollegen in einem ersten Schritt das Auftreten von Intervallkarzinomen angeschaut. Das sind Tumore, die in der Zeit zwischen zwei Mammografien, also innerhalb von 24 Monaten, entdeckt werden. «Entweder hat sich der Krebs während dieser Zeitspanne entwickelt oder er wurde bei der Mammografie übersehen», so der wissenschaftliche Mitarbeiter. Es hat sich gezeigt, dass 26,1 Prozent aller Intervallkarzinome in einer sogenannten Konsensuskonferenz besprochen wurden. Das ist ein Meeting zwischen mehreren Ärztinnen und Ärzten der Radiologie, in der über unklare Befunde diskutiert wird. «Die KI hätte weitere 10-15 Prozent der Fälle zur Diskussion gebracht. Bei 10,1 Prozent der Intervallkarzinome hat sie einen hohen Case Score angezeigt. Die Radiologinnen und Radiologen haben auf diesen Aufnahmen jedoch keine Auffälligkeiten entdeckt», sagt Subelack.
Das Forschungsteam der School of Medicine konnte darüber hinaus nachweisen, dass diese Intervallkarzinome schneller wachsen und die betroffenen Frauen eine leicht verringerte Überlebensrate haben als Frauen, bei denen innerhalb des Screenings Brustkrebs festgestellt wurde. «Die Überlebensrate ist allerdings immer noch deutlich besser als bei Frauen mit Brustkrebs, die nicht an einem Früherkennungsprogramm teilgenommen hatten», stellt Subelack klar.
Zudem haben die Daten aus dem Krebsregister gezeigt, dass Frauen mit einer höheren Brustdichte und bei weiteren Brustkrebsfällen in der Familie ein höheres Risiko aufweisen, Intervallkarzinome zu entwickeln.
In einem nächsten Schritt wollen Subelack und seine Kolleginnen und Kollegen deutlich mehr Daten generieren und durch die Künstliche Intelligenz testen lassen, sodass sie neben Fällen von Intervallkarzinomen auch mehr Aufnahmen von Krebs zur Verfügung haben, der während der Mammografie entdeckt wurde. Anhand dieser Daten könne die bestmögliche Verwendung der KI für das Screening-Programm evaluiert werden.
Personalisierte Vorsorge abhängig vom Krebsrisiko
«Die Einschätzung der individuellen Risikofaktoren durch die KI wird meiner Meinung nach dazu führen, dass die Erkennung von Brustkrebs zukünftig viel personalisierter verläuft. Frauen mit hohem Risiko könnten engmaschiger untersucht werden, während Frauen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für Brustkrebs vielleicht nur noch alle drei Jahre zur Mammografie eingeladen werden müssten», so Subelack.
Wenn die KI das Krebsrisiko zufriedenstellend einschätzen könnte, wäre es laut dem Wissenschaftler möglich, dass bei sehr niedrigen oder sehr hohen Risikowerten nur noch eine Radiologin oder ein Radiologe die Mammografie überprüft. Momentan sind es immer zwei Personen. Bei kniffligeren Fällen bräuchte es allerdings weiterhin eine Zweitmeinung eines Menschen.
«KI bietet zwar viele Möglichkeiten, wenn es aber um Detailfragen geht, wird es herausfordernder», relativiert Subelack. «Es gilt beispielsweise, den optimalen Grenzwert für den Case Score zu identifizieren. Also den genauen Schwellenwert zu bestimmen, ab welchem Mammografien in einer Konsensuskonferenz besprochen werden. Diese Entscheidung zieht ethische Fragestellungen nach sich, die erst noch diskutiert werden müssen», sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter.