Mit der Genanalyse Augenleiden frühzeitig erkennen

Warum der Blick auf die Gene künftig noch gefragter sein wird

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Spoiler

  • Häufig kann erst durch eine Genanalyse eine eindeutige Diagnose gestellt werden.
  • Genetisch bedingte Augenleiden können heute noch nicht therapiert werden.
  • Wird eine Krankheit dominant vererbt, tritt sie in jeder Generation auf.

«Genanalysen spielen eine entscheidende Rolle für die Diagnostik von erblich bedingten Augenerkrankungen», erklärt Prof. Dr. Hendrik Scholl, Chefarzt der Augenklinik am Universitätsspital Basel. Da viele Krankheiten dasselbe äussere Erscheinungsbild aufweisen, verrät erst ein Blick auf die Gene, woran der Patient im Einzelfall tatsächlich leidet.

Und der Drang, endlich Gewissheit über die eigene Erkrankung zu haben, ist zum Teil enorm, wie Prof. Scholl aus zahllosen Patientengesprächen weiss: «Nicht nur einmal hat ein Patient vor Glück angefangen zu weinen, als wir ihm mitteilten, welches Leiden er tatsächlich hat und dass er daran höchstwahrscheinlich erblinden werde. Hinter solchen Patienten liegt dann oft eine jahrzehntelange Odyssee durch alle denkbaren Einrichtungen. Erst durch die Genanalyse kann eine definitive und genaue Diagnose gestellt werden.

Genanalyse und erblich bedingte Krankheiten

Hierin sieht der Experte auch den zentralen Nutzen der Genanalyse: Diagnosen können molekular abgesichert werden, Betroffene erfahren mit absoluter Sicherheit, woran sie leiden. «Auch wenn genetisch bedingte Augenkrankheiten aktuell noch nicht therapiert werden können, ist dieses Wissen wichtig», meint Prof. Scholl. «Betroffene erfahren, was auf sie zukommt und können ihr Leben und auch ihre Familienplanung darauf ausrichten. Sie können frühzeitig Beratungsangebote wahrnehmen und Vorsichtsmassnahmen umsetzen.»

Der Blick in die Erbanlagen ist allerdings keine immer leichte Angelegenheit, denn Augenleiden, die nur von einem einzigen mutierten Gen verursacht werden, sind eher selten. Wesentlich häufiger liegen genetisch komplexe Erkrankungen vor, bei denen bis zu 50 fragliche genetische Orte im Zusammenspiel krankheitsauslösend wirken können. «Die Genanalyse», so Prof. Scholl, «ist in einem solchen Fall in erster Linie eine Risikobetrachtung.

Dominante und rezessive Gene

Und auch bei der Beurteilung der Diagnose muss differenziert werden: Wird eine Krankheit dominant vererbt, liegt sie familiär gehäuft vor. «Die Erkrankung tritt in diesen Fällen in jeder Generation auf. Familienangehörige wissen meist über das familiäre Erbleiden Bescheid und lassen auch nicht-symptomatische Verwandte quasi vorab genetisch untersuchen, um zu klären, ob man betroffen ist», erklärt Prof. Scholl.

Anders bei der rezessiven Vererbung: Hier tritt das Leiden nur auf, wenn eine bei beiden Elternteilen vorliegende Veranlagung zusammentrifft – in Gesellschaften ohne Verwandtenehen ein vergleichsweise seltenes Phänomen. «Für Familien ist die Diagnose nicht selten geradezu schockierend und nicht zu erklären. Dass die Nachkommen zwar Krankheitsträger, aber sehr unwahrscheinlich auch Betroffene sein können, muss erst vermittelt werden», erklärt Prof. Scholl.

Auf die Genanalyse folgt die Therapie

Dass die Genanalyse in naher Zukunft noch weit stärker als bislang nachgefragt sein könnte, zeichnet sich bereits ab: «In den USA steht ein Medikament zur Behandlung einer genetisch bedingten Augenerkrankung kurz vor der Zulassung», weiss Prof. Scholl. Zwar handelt es sich nur um ein äusserst seltenes Netzhautleiden, das nun behandelt werden kann.

och die Signalwirkung ist immens: Die Gentherapie ist auf dem Vormarsch, entsprechend rasch wird die Nachfrage nach genanalytischen Untersuchungen steigen. «Sicherlich mehr als 90 Prozent der fraglichen Patienten haben aktuell noch keine Genanalyse durchführen lassen. Das wird sich in den nächsten Monaten und Jahren sprunghaft ändern», ist sich der Experte sicher.

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