Immunsuppressive Medikamente bremsen das Immunsystem

Warum das manchmal sinnvoll ist und wann sie zum Einsatz kommen

Immunsuppressive Medikamente: Hand nimmt eine Pille aus einer Pillenbox.
Dr. Harmacek, was genau sind immunsuppressive Medikamente und wie wirken sie im Körper?

Immunsuppressiva sind Medikamente, die das Immunsystem abschwächen. Sie sollen verhindern, dass es zu einer Überreaktion der Abwehrzellen und zu einem Angriff auf den eigenen Körper kommt. Meistens nehmen sie Einfluss auf die Abläufe in den Abwehrzellen, bremsen deren Wachstum oder die Bildung von entzündungsfördernden Stoffen. Diese Dämpfung des Immunsystems ist bei Autoimmunerkrankungen oder nach Organtransplantationen notwendig.

In welchen medizinischen Bereichen werden Immunsuppressiva hauptsächlich eingesetzt?

Immunsuppressive Medikamente werden vor allem in medizinischen Bereichen verordnet, welche Autoimmunerkrankungen behandeln: in der Rheumatologie (Gelenk- und Bindegewebserkrankungen), Nephrologie (Nierenheilkunde), Gastroenterologie (Magen-Darm-Heilkunde), Pneumologie (Lungen- und Atemwegserkrankungen) oder Hämatologie (Blutkrankheiten). In der Transplantationsmedizin sind sie ebenfalls unverzichtbar, da ohne sie transplantierte Organe abgestossen würden. 

Können Sie die erläutern, warum eine Unterdrückung des Immunsystems nach einer Transplantation notwendig ist?

Nach einer Organtransplantation sieht das Immunsystem das neue Organ als fremd an und würde es normalerweise angreifen und dann abstossen. Immunsuppressiva unterdrücken diese Reaktion, sodass das transplantierte Organ im Körper richtig arbeiten kann. Ohne Immunsuppressiva wären Transplantationen nicht möglich.

Welche Hauptgruppen von Immunsuppressiva gibt es und wie unterscheiden sie sich in ihrer Wirkung?

Zu den Hauptgruppen gehören Kortikosteroide («Kortisonpräparate»), welche breit entzündungshemmend wirken und Calcineurin-Inhibitoren, die die Aktivierung bestimmter Abwehrzellen (T-Zellen) verhindern. Die sogenannten Antimetaboliten blockieren die Vermehrung von Abwehrzellen und immunsuppressive Medikamente der Gruppe von mTOR-Inhibitoren verlangsamen das Zellwachstum. Letztendlich gibt es eine grosse Gruppe von sogenannten Biologika, welche gezielt bestimmte Immunprozesse beeinflussen und eine überschiessende Immunreaktion verhindern oder die Immunzellen sogar zerstören.

Wie hat sich die Entwicklung dieser Medikamente in den letzten Jahrzehnten verändert?

Früher waren Kortikosteroide das wichtigste Mittel zur Unterdrückung des Immunsystems. Heute gibt es modernere Medikamente, die gezielter wirken und weniger Nebenwirkungen haben. Besonders fortschrittlich sind die Biologika sowie individuell angepasste Behandlungen, die immer häufiger eingesetzt werden. Trotz dieser Entwicklungen werden Kortikosteroide wahrscheinlich weiterhin am häufigsten als Immunsuppressiva eingesetzt.

Apropos Nebenwirkungen, welche sind häufig? 

Einige Nebenwirkungen hängen mit dem gewünschten Effekt der immunsuppressiven Medikamente zusammen, nämlich der Schwächung des Immunsystems. Deshalb sind Infektionen fast immer häufiger – bei einem gedämpften Immunsystem haben Bakterien, Viren und Pilze es deutlich leichter. Weitere häufige Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme, Stimmungsschwankungen, Bluthochdruck und Magen-Darm-Probleme wie Übelkeit oder Verdauungsstörungen. In manchen Fällen können auch die Knochen oder die Nieren beeinträchtigt werden.

Gibt es Strategien oder neue Entwicklungen, um Nebenwirkungen zu minimieren?

Ja. Man versucht, Medikamente mit unterschiedlichen Nebenwirkungsprofilen so zu kombinieren, damit die Dosen möglichst niedrig bleiben können und so die Nebenwirkungen auch geringer werden. Immer wieder werden Behandlungen an die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten angepasst. Auch die neuen Medikamente aus der Gruppe von Biologika, die gezielt in das Immunsystem eingreifen, helfen, die Therapie sicherer zu machen.

Gibt es alternative Behandlungsansätze für Personen, die Immunsuppressiva schlecht vertragen?

In manchen Fällen kann die Therapie angepasst werden, zum Beispiel indem man von einem immunsuppressiven Medikament auf ein anderes wechselt. Allerdings ist eine Umstellung nicht immer möglich. Eine vollständige Alternative zu Immunsuppressiva gibt es noch nicht.

Welche langfristigen Risiken bestehen, beispielsweise in Bezug auf Krebs oder Stoffwechselerkrankungen?

Langfristig kann das Risiko für Hautkrebs, Lymphdrüsenkrebs (Lymphome) und andere Krebsarten steigen. Ausserdem können viele Immunsuppressiva Bluthochdruck, Diabetes oder erhöhte Blutfettwerte verursachen, was das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigert.

Wie wirkt sich die Therapie auf den Alltag der Patientinnen und Patienten aus?

Für die meisten Personen bedeutet eine immunsuppressive Therapie, dass sie ein weitgehend normales Leben führen können. Es ist jedoch wichtig, regelmässig zu Arztbesuchen zu gehen, die Medikamente zuverlässig einzunehmen und sich vor Infektionen zu schützen.

Welche besonderen Vorsichtsmassnahmen sind im täglichen Leben zu beachten?

Immunsuppressive Medikamente sollten konsequent eingenommen werden. Bei manchen Präparaten misst man sogar die Konzentration des Medikaments im Blut. Die regelmässige Einnahme immer zu gleicher Tageszeit ist deshalb entscheidend. Da viele Immunsuppressiva das Risiko für Hautkrebs deutlich erhöhen, sollte man sich gut vor der Sonne schützen. Das bedeutet: Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor benutzen, Schutzkleidung tragen und der direkten Sonneneinstrahlung während der Hauptsonnenstunden ausweichen. Eine gute Hygiene, wie häufiges Händewaschen und das Meiden von Kontakt mit kranken Personen, hilft, Infektionen vorzubeugen. Schliesslich sind regelmässigen Laborkontrollen notwendig, um sicherzustellen, dass die Behandlung gut wirkt und keine Nebenwirkungen auftreten.

Gibt es Einschränkungen bei Impfungen oder Reisen?

Lebendimpfstoffe, die abgeschwächte Viren enthalten, sind verboten. Zu den Lebendimpfstoffen gehören unter anderem Impfungen gegen Mumps, Masern, Röteln und bestimmte Impfungen gegen Varizellen (Windpocken, Gürtelrose). Da das Risiko für viele Infektionskrankheiten bei Personen mit immunsuppressiver Behandlung erhöht ist, ist die Infektprävention durch Impfungen wichtig. Allerdings kann die Immunantwort auf eine Impfung durch Immunsuppressiva abgeschwächt werden, sodass die Impfung nicht den gleichen Schutz bietet wie bei «gesunden» Personen. Es ist deshalb wesentlich, dass man die Verabreichung von Impfungen gut plant. Bei Reisen sollte man je nach Destination auf die hygienischen Vorsichtsmassnahmen besonders gut achten. Eine spezialisierte Beratung durch Reisemedizinerinnen oder -mediziner kann sich lohnen.

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