Hypnose bei Zahnarztangst

Entspannt, aber hellwach

Zahnarztangst: Eine junge Frau mit langem, welligem Haar lächelt glücklich. Sie trägt ein olivgrünes T-Shirt und stützt ihren Kopf mit einer Hand. Im Hintergrund sind unscharfe Bäume und ein bewölkter Himmel zu sehen
Frau von Aster, Herr Colombo, wie würden Sie den Zustand der Hypnose beschreiben?

Riccardo Colombo: Hypnose ist ein veränderter Bewusstseinszustand, der sich durch fokussierte Aufmerksamkeit auszeichnet. Man kehrt in sich selbst, die Wahrnehmung der äusseren Umgebung ist reduziert. In diesem Zustand sprechen Menschen viel besser auf Suggestionen an.

J.Eva von Aster: Der hypnotische Zustand, auch Trance genannt, zeichnet sich durch eine muskuläre Entspannung sowie weiteren physiologischen Veränderungen wie eine Verlangsamung des Herzschlags und eine vertiefte Atmung aus. Trancezustände können spontan auftreten, etwa im Kino, oder gezielt herbeigeführt werden. Die gleichzeitig erhöhte Suggestibilität kann therapeutisch genutzt werden, um die Wahrnehmung von negativen Emotionen wie beispielsweise Angst und Schmerz zu verändern.

Was unterscheidet die Hypnose, die bei Zahnarztangst eingesetzt wird, von der Showhypnose, die man von Zauberern kennt?

J.Eva von Aster: Der Unterschied liegt in der Zielsetzung und in der Anwendung. Die Showhypnose bezweckt die Unterhaltung eines Publikums und die hypnotisierte Person wird zu spektakulären und oft auch überraschenden Handlungen animiert, die sie normalerweise so nicht machen würde. Im Gegensatz dazu wird in einer therapeutischen oder zahnmedizinischen Hypnose der Patient niemals die Kontrolle über die eigenen Handlungsweisen verlieren. Der Zahnarzt hilft der betroffenen Person, einen sicheren Wohlfühlzustand zu erreichen, in dem die zahnärztliche Behandlung mit deutlich weniger Stress durchgeführt werden kann. Die Anwendung ist individuell auf die Patientin zugeschnitten. Der hypnotische Behandler nutzt die hypnotischen Techniken ausschliesslich in seinem eigenen Fachgebiet und als ein Instrument, um das Wohlbefinden zu steigern.

Riccardo Colombo: Wichtig ist ebenso zu wissen, dass der Ort, an dem wir die Behandlungen durchführen, ein absolut geschützter, sozusagen heiliger Ort ist. Das ist eine Vorbedingung dafür, dass Patienten eine Hypnose annehmen können. Deshalb finden Sie fast keine Videos von hypnotisierten Personen während einer zahnmedizinischen Behandlung, auch nicht zu Werbezwecken.

Müssen sich Patientinnen mit Zahnarztangst auf eine Hypnosesitzung vorbereiten?

J.Eva von Aster: Voraussetzung ist eine vertrauensvolle Beziehung zwischen der zu behandelnden Person und der Zahnärztin. Patienten sollten darüber aufgeklärt werden, wie eine solche Sitzung abläuft und was genau passieren wird. Dann können sie selbst entscheiden, ob und bis zu welchem Grad sie sich darauf einlassen möchten. Therapeutische Hypnose basiert nicht auf Manipulation, sondern auf einer Interaktion zwischen Behandlerin und Patient.

Pacing und Leading

J.Eva von Aster: In der Hypnose kennen wir das Prinzip von «pacing und leading», was man grob mit «folgen und führen» übersetzen kann. Pacing bedeutet, dass man den Patienten psychologisch dort abholt, wo er sich jetzt gerade befindet, beispielsweise in einem Zustand voller negativer Erwartungen und Angst vor der bevorstehenden Behandlung.

Mit Hilfe der Aktivierung von individuellen Ressourcen «führen» wir dann die Patientin in einen für ihn angenehmen und sicheren Zustand, sodass die Behandlung einfacher bewältigt werden kann. Pacing und Leading ist eine grundlegende Technik der medizinischen Hypnose.

Wie laufen die Behandlungen ab?

J.Eva von Aster: In der klassischen Hypnose unterscheiden wir vier Phasen: Am Beginn steht die Entspannungsphase, die dann mit Hilfe von hypnotischen Suggestionen oder Visualisierungen übergeht in die Trancephase. Hat der Patient diesen Zustand erreicht, kann mit der zahnmedizinischen Behandlung begonnen werden. Die dritte Phase beinhaltet die Aufrechterhaltung oder, falls nötig, auch eine Vertiefung der Trance bis zur erfolgreichen Beendigung der Behandlung. Nachdem der Eingriff beendet ist, wird die Patientin wieder in einen normalen Wachzustand zurückgeführt.

Bei Kindern wenden wir die sogenannte hypnotische Kommunikation an, die einen liebevollen, spielerischen Umgang fördert. Dabei können Ängste gar nicht erst entstehen. Wir erwecken die Neugierde der Kinder beispielsweise mit unserer Glitzertropfen-Zahn-Einschlaf-Maschine (also der Spritze) oder dem laut schlürfenden Elefantenrüssel (dem Sauginstrument). Der Fantasie des Behandlers sind keine Grenzen gesetzt und Geschichten dürfen immer wieder neu entstehen und erzählt werden.

Riccardo Colombo: Die hypnotische Kommunikation ist eigentlich eine der Voraussetzungen, um die Hypnose einzuleiten. Es ist eine Art, positiv mit den Patienten zu kommunizieren, ihnen zuzuhören und Emotionen zuzulassen. Ziel ist es, sich miteinander wohlzufühlen. Diese positive Kommunikation ist sehr wichtig, nicht nur bei Zahnärzten, sondern gerade auch im Spitalalltag. Also immer dort, wo Menschen intensive Situationen erleben und auf eine positive Umgebung angewiesen sind.

Wie lange dauert es, bis eine Person in einem Trancezustand ist?

J.Eva von Aster: Das ist individuell sehr verschieden und hängt stark von der Beziehung zwischen Zahnärztin und Patient ab. Kinder gehen im Allgemeinen häufig sehr schnell in einen Trancezustand und ebenso schnell auch wieder heraus.

Riccardo Colombo: Es hängt zudem stark von der Technik ab. Bei manchen gelingt es innerhalb von wenigen Minuten, bei anderen dauert es länger. Wenn es darum geht, Zahnarztangst oder gar Zahnarztphobie zu behandeln, kann es sinnvoll sein, sich Zeit zu lassen.

Kriegt man wirklich gar nichts mit von der zahnärztlichen Behandlung?

Riccardo Colombo: Das ist sehr unterschiedlich. Bei Personen, die sehr gut auf Hypnose ansprechen, können wir Schmerzen tatsächlich ausblenden. Doch auch bei den anderen können wir eine deutliche Schmerzlinderung herbeiführen. Meistens ist es so, dass man zwar etwas spürt, doch dies berührt einen nicht, es geht einfach an einem vorbei.

J.Eva von Aster: Ganz genau, und zudem hängt es ab von der Tiefe der Trance. Die Patientin ist im Gegensatz zur Narkose wach. Der veränderte Bewusstseinszustand bewirkt, dass Sinneseindrücke wie Taubheit oder Geräusche zwar wahrgenommen, aber neurologisch anders bewertet werden. Der Fachausdruck hierfür ist «Reframing».

Eignen sich denn alle Personen mit Zahnarztangst für eine hypnotische Behandlung?

Riccardo Colombo: Grundsätzlich ja, denn das Gute ist, dass man lernen kann, sich zu entspannen und in den Trancezustand zu finden. Wenn eine Person Zahnarztangst hat und merkt, dass ihre orale Gesundheit darunter leidet, dann lohnt es sich auf jeden Fall, Hypnose zu erfahren.

J.Eva von Aster: Es gibt allerdings Fälle, in denen keine Hypnose angewendet werden sollte. Als Kontraindikationen gelten Personen mit psychischen Störungen, wie beispielsweise Schizophrenie oder beim Vorliegen einer Suchtproblematik. Vorsicht geboten ist ebenso bei Patienten mit intensiven traumatischen Erfahrungen, da das Risko gegeben ist, eine akute psychische Krise auszulösen («Re-traumatisierung»). Für diese Patienten sind Psychiaterinnen die weitaus besser ausgebildeten Behandlerinnen als wir Zahnärzte und deshalb sind wir interdisziplinär gut vernetzt. Weitere Kontraindikationen sind Epilepsie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder die Einnahme bestimmter Medikamente.

Riccardo Colombo: Wichtig für die Schweizerische Gesellschaft für medizinische Hypnose (SMSH) und die Europäische (ESH) sowie Internationale Hypnose Gesellschaft (ISH) ist, hypnotische Behandlungen nur im Fachbereich des Hypnotisierenden anzubieten. Das heisst, dass ich als Zahnarzt nicht auch noch die Schlafstörung meiner meiner Patientin behandle, obwohl das natürlich ein schöner Nebeneffekt wäre. Dadurch würde ich meine zahnärztlichen Kompetenzen überschreiten, es sei denn, die Schlafstörung steht in direktem Zusammenhang mit dem Zahnarztbesuch. In solchen Fällen kann die Hypnose sowohl zur Erleichterung des Zahnarztbesuchs als auch zur Linderung der Schlafstörungen beitragen. Eine Zahnarztangst liegt ganz klar in unserem Kompetenzbereich. Erst wenn sich die Angst zu einer Phobie ausweitet, also wenn die Betroffenen wirklich schwer traumatisiert sind, dann sollte man zusätzliche Hilfe bei einem Psychotherapeuten suchen.

Welche Voraussetzungen müssen eine Zahnärztin oder ein Zahnarzt erfüllen, um Hypnose gegen Zahnarztangst anbieten zu können?

Riccardo Colombo: Es ist dringend empfohlen, eine Ausbildung zu machen bei einer Gesellschaft, welche von der International Society for Hypnosis (ISH) sowie der Schweizerischen Zahnärztegesellschaft (SSO) anerkannt ist. In der Schweiz ist die Hypnose leider nicht reglementiert. Theoretisch kann sie jede Person anbieten.

J.Eva von Aster: Neben einer fundierten Ausbildung ist natürlich langjährige Erfahrung und der regelmässige kollegiale Austausch in Form von Supervision und Intervision, wie wir es in der SMSH anbieten, sehr hilfreich.

Woran erkennen Interessierte seriöse Angebote?

Riccardo Colombo: Eine Anerkennung des Anbieters durch die SMSH und die SSO sind gute Hinweise darauf, dass es sich um ein seriöses Angebot handelt.

J.Eva von Aster: Durch eine Anerkennung oder Mitgliedschaft wird sichergestellt, dass der ethische Kodex, nämlich als Zahnmedizinerin die Hypnose nur im zahnärztlichen Rahmen durchzuführen, eingehalten wird.

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