Harninkontinenz: Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten

Betroffene müssen sich mit ihrem Leiden nicht abfinden

Zwei Frauen

Spoiler

  • Harninkontinenz besteht, wenn der Harn entweder nicht zurückgehalten werden kann oder auch bei gering gefüllter Blase das Gefühl vorherrscht, müssen zu müssen.
  • Betroffene ziehen sich häufig zurück, obwohl es zahlreiche Möglichkeiten gibt, ihr Leiden zu beheben.
  • Die Therapie reicht von Medikamenten über Einlagen bis hin zur operativen Unterstützung der Schliessmuskulatur.

Harninkontinenz tritt bei Menschen beiderlei Geschlechts auf, doch besonders häufig sind Frauen betroffen: Zum einen ist die weibliche Harnröhre deutlich kürzer als ihr männliches Pendant. Zum anderen gehören Schwangerschaften zu den grossen Risikofaktoren der Harninkontinenz. «Durch natürliche Geburten wird die Muskulatur des Beckenbodens geschwächt. Auch können Nerven überdehnt werden», meint Dr. med. Daniele Perucchini vom Blasenzentrum Zürich.

Verschiedene Formen der Harninkontinenz

Neben Schwangerschaften ist vor allem das Altern der zentrale Risikofaktor für eine Inkontinenz. Die Medizin unterscheidet zwischen der Belastungs- und der Dranginkontinenz. Wenn noch keine Harninkontinenz manifest ist und man bei starkem Drang ständig die Toilette aufsuchen muss, dann spricht man von einer überaktiven oder Reizblase.

«Vereinfacht gesagt, hält bei der Belastungsinkontinenz der Harnröhrenverschluss nicht», erklärt Dr. Perucchini. «Bei jedem Husten und Lachen wird es eng. Bei der Dranginkontinenz hingegen haben Betroffene plötzlich einen Drang und ständig das Gefühl, müssen zu müssen.»

Soziale Ausgrenzung als Folge

Obwohl mit zunehmendem Alter immer mehr Frauen eine Inkontinenz haben – bei den über 70-Jährigen ist es mehr als jede Dritte – muss nicht jede Betroffene auch behandelt werden. «Erst wenn die Harninkontinenz einen gewissen Leidensdruck erzeugt, wenn die Lebensqualität der einzelnen Frau eingeschränkt ist, wird die Harninkontinenz zum Problem», führt der Experte aus. Genau hier macht er das gesellschaftliche Fiasko aus: Betroffene treiben seltener Sport, gehen weniger aus und wählen lieber schrittweise die soziale Isolation, als dass sie das unangenehme Thema ansprechen.

Dabei kann ein breit aufgestelltes Hilfsangebot genutzt werden. Als erste Anlaufstelle empfiehlt sich der eigene Arzt oder etwa die Schweizerische Gesellschaft für Blasenschwäche. «Betroffene sollten da einfach mal anrufen», rät Dr. Perucchini, «denn noch immer ist Inkontinenz ein stilles Leiden, das gesellschaftlich kaum wahrgenommen wird.»

Vielfältige Abhilfen bei Harninkontinenz

Grundlegend empfiehlt der Experte vorbeugende Übungen zur Stärkung des Beckenbodens und eine Verhaltensänderung: Auf stark treibende Getränke sollte verzichtet und mögliches Übergewicht reduziert werden, denn jedes Kilo zu viel belastet die Blase zusätzlich.

Frauen, die unter Harninkontinenz leiden, können mit speziellen Einlagen und Tampons den ungewollt abgehenden Urin auffangen. Dadurch sind sie in der Lage, weiterhin an gesellschaftlichen Ereignissen teilzunehmen und müssen keine unangenehmen Gerüche oder gar peinlichen Zwischenfälle fürchten.

«Die nächste Behandlungsstufe sind blasenberuhigende Medikamente», erklärt Dr. Perucchini. «Bei einer Dranginkontinenz kann auch Botox zum Einsatz kommen. Es lähmt die Blase und verhindert, dass sie sich unwillkürlich zusammenzieht.»

Operative Lösung möglich

Zuletzt kann die Harninkontinenz operativ durch ein Bändchen unterbunden werden, das unter der Harnröhre platziert wird und diese zusammendrückt. Hierdurch wird der körpereigene Schliessmechanismus unterstützt.

Letztlich fehlt es nicht an Hilfe, sondern an Offenheit. «Es wäre sehr begrüssenswert, wenn ein Prominenter aus Kultur oder Politik zur Inkontinenz eine öffentliche Debatte anregen würde», hofft Dr. Perucchini. «Das wäre für viele Betroffene sehr befreiend.» Doch so lange diese Debatte ausbleibt, ist jede Frau selbst gefragt, das Tabu zu brechen und auf ihre Harninkontinenz mutig aufmerksam zu machen. «Das wäre der erste Schritt der Therapie», so Dr. Perucchini.

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