Herr Prof. Eberli, welche Bedeutung hat die Früherkennung von Prostatakrebs für die Lebenserwartung von Betroffenen?
Eine grosse europäische Studie aus dem Jahr 2019 hat gezeigt, dass die Untersuchung des PSA-Werts sowie eine Biopsie nach 17 Jahren die Überlebensrate bei Männern um bis zu 30 Prozent erhöhen können. Die Früherkennung bringt also einen klaren Vorteil. Allerdings werden diese beiden Methoden zur Früherkennung von Prostatakrebs in der Studie nicht so angewendet, wie wir das heute tun. Würden wir mit den jetzigen Massnahmen eine solche Studie durchführen, wären die Auswirkungen der Früherkennung auf die Überlebensrate noch grösser. Das liegt einerseits an den verbesserten Tests, andererseits verwenden wir zusätzliche MRI-Aufnahmen, welche die verdächtigen Krebsherde in der Prostata aufzeigen. Wir verfügen ausserdem über eine optimierte Biopsie-Strategie, dank der wir hochaggressive Tumoren nicht mehr übersehen.
Was ist der PSA-Wert?
Ein Bluttest bestimmt die Menge an Prostata-spezifischem Antigen (PSA) im Blut. Dabei handelt es sich um ein Eiweiss, dass in der Prostata gebildet wird. Für die Bestimmung wird eine Blutprobe genommen und anschliessend im Labor analysiert. Je höher der Wert, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass mit der Prostata etwas nicht in Ordnung ist. In den meisten Labors gilt ein Test über 4,5 ng/ml als auffällig und sollte abgeklärt werden.
Wie laufen die Untersuchungen zur Früherkennung von Prostatakrebs ab?
In der Schweiz gibt es kein organisiertes Screening-Programm wie wir es beispielsweise in einigen Kantonen für Brust- oder Darmkrebs kennen. Die Gesellschaft für Urologie empfiehlt allen Männern ab 50 Jahren, sich über die Prostatakrebsvorsorge und die Früherkennung beraten zu lassen.
Nach einem aufklärenden Gespräch überprüfen wir den PSA-Wert. Ist dieser auffällig folgt ein MRI. Dank den Resultaten aus diesen Untersuchungen können wir den Patienten in eine Risikoklasse einteilen. Wenn wir die Vermutung haben, dass es sich um einen aggressiven Krebs handeln könnte, der das Leben verkürzt, wird eine Biopsie, also eine Gewebeentnahme, durchgeführt, um den Tumor zu analysieren.
Übrigens haben Daten gezeigt, dass die Tastuntersuchung der Prostata bei jüngeren Männern keinen Vorteil bietet. Wir führen diese digital-rektale Untersuchungen am USZ praktisch nicht mehr durch. Das bedeutet, dass Männer vielleicht etwas entspannter zur Urologin oder zum Urologen gehen können.
Prostatakrebs: warten und beobachten
Da Prostatakrebs häufig im höheren Alter auftritt, versterben viele Männer an anderen Ursachen und nicht an der Krankheit selbst. Für Männer mit einem nicht aggressiven, lokal begrenzten Tumor kann daher auf belastende Behandlungen verzichtet werden («Watchful Waiting»).
Bei jüngeren Patienten mit wenig aggressivem Prostatakrebs wird der Tumor durch regelmässige Untersuchungen genau überwacht – ein Vorgehen, das als „Active Surveillance“ (aktive Überwachung) bezeichnet wird. Diese Methode eignet sich vor allem bei kleinen, langsam wachsenden Tumoren, die keine Beschwerden verursachen.
Man hört immer wieder davon, dass der PSA-Test zu falsch-positiven Ergebnissen führen kann und dass dadurch Männer therapiert werden, die eigentlich keiner Behandlung bedürfen.
Der PSA-Wert sagt nur aus, dass etwas mit der Prostata nicht stimmt. Er kann bei einer gutartigen Vergrösserung oder einer Entzündung der Prostata erhöht sein oder eben bei Krebs. Zudem können langes Fahrradfahren und Geschlechtsverkehr den Wert erhöhen. Aus diesem Grund macht man immer zwei PSA-Tests, bevor man fortfährt.
Wir unternehmen alles, damit Männer nur dann eine Biopsie und eine Behandlung bekommen, wenn die Möglichkeit auf Krebs besteht. Die Anzahl der Biopsien, bei denen entweder kein aggressiver oder gar kein Krebs entdeckt werden, ist stark gesunken.
Auch die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, dass die jetzigen Methoden der Früherkennung von Prostatakrebs wichtig und wirksam sind: In der Schweiz steigt die Zahl der Prostatakrebsdiagnosen, doch immer weniger Männer sterben daran.
Seit kurzem wird in der Schweiz, darunter auch am USZ, der neue Stockholm-3-Test angeboten. Worin unterscheidet sich dieser vom PSA-Test?
Stockholm-3 analysiert rund 200 genetische Marker und 20 Proteine und bietet eine präzisere Risikoeinschätzung als der PSA-Wert allein. Er gibt die Wahrscheinlichkeit für einen Tumor, der behandelt werden muss, an. Im Gegensatz zum PSA-Test reagiert er nicht auf andere Erkrankungen der Prostata. Zusätzlich zu Stockholm-3 wird ein MRI durchgeführt. Sind Test und MRI unauffällig, können wir den Patienten beruhigen. Nichtsdestotrotz bleibt die Analyse des PSA-Werts weiterhin aufschlussreich.
Gibt es Patientengruppen, die besonders vom neuen Bluttest profitieren?
Bei Patienten, die sich in einem Graubereich befinden, also einen PSA-Wert zwischen drei und zehn haben, und eher zurückhaltend in Bezug auf eine Biopsie sind, sehen wir vor allem Potenzial. Wenn der Stochkolm-3-Test bei diesen Männern tief ist, empfehlen wir ihnen, ein Jahr zu warten und anschliessend nochmals einen PSA-Test durchzuführen. Stockholm-3 eignet sich allerdings nur für Patienten bis 75 Jahre, bei denen der PSA-Wert über 1,5 ng/ml liegt.
Was sind die Vor- und Nachteile von Stockholm-3?
Stockholm-3 ist präziser als der PSA-Test, da er auch genetische Marker berücksichtigt. Sein einziger Nachteil ist meines Erachtens der Preis: Er ist zirka achtmal teurer als ein PSA-Test.
Inwiefern trägt Stockholm-3 dazu bei, Überdiagnosen und Überbehandlungen zu vermeiden?
Das Behandlungspaket PSA-Test, Stockholm-3 und MRI erlaubt es uns, Patienten zu definieren, die ein sehr geringes Risiko für einen aggressiven Krebs haben. Diesen Männern können wir so eine Biopsie unter Vollnarkose ersparen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Prostatakrebs-Früherkennung?
Um den Männern wirklich effizient zu helfen und möglichst alle mit Risiko für einen aggressiven Krebs zu finden, sollte man ein sogenanntes Organized Screening durchführen. Meine Vision ist, dass Männer in jedem grösseren Supermarkt einen Bluttest abgeben können. Nur wenn dieser auffällig ist, erhält der Mann eine Aufforderung per Post, sich bei einer urologischen Praxis zu melden.