«Frauen sind nicht nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen»

Die Schauspielerin Sibel Kekilli im Gespräch über ihre Schauspielerei und ihr Engagement für Frauen

Sibel Kekilli
Kürzlich haben Sie in «Bullets» eine Terroristin gespielt, die Selbstmordattentäter rekrutiert. Gibt es Rollen, vor denen Sie zurückschrecken würden?

Ich denke, eigentlich nicht. Je komplexer eine Rolle ist, desto spannender wird sie für mich als Schauspielerin. Ich versuche, mich meinen Figuren mit einem psychologischen Blick zu nähern. Etwa so wie eine Psychologin ihre Patienten neutral betrachtet. Es interessiert mich, was diesen Menschen dazu bringt, etwas zu tun. Man kann eine Person verstehen, ohne Verständnis für ihr Handeln zu haben.

Woran arbeiten Sie derzeit?

Ich war vor der Corona-Krise länger in Brasilien. Im letzten Jahr habe ich dort gemeinsam mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas und anderen ein Frauennetzwerk mitgegründet. Jetzt konnte ich im Rahmen eines Residenzaufenthaltes des Goethe Instituts nach Salvador de Bahía zurückkehren und das Projekt mit Leben füllen. So haben wir dort etwa ein Haus von Frauen für Frauen eröffnet. Dort können Frauen networken, sich austauschen und Synergien nutzen. Wir haben verschiedene Workshops initiiert, einen Flohmarkt ins Leben gerufen und jetzt soll noch ein Mentorenprogramm eingegliedert werden.

Es gibt also mehr als nur die Schauspielerei für Sie?

Mein Hauptberuf ist und bleibt Schauspielerin. Aber natürlich interessieren mich auch andere Dinge, weshalb ich mich seit Jahren auch für Frauenrechte engagiere. Jüngst konnte ich in Brasilien ein Projekt auf die Beine stellen, in dem Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, interviewt und fotografiert wurden. Die geplante Ausstellung in Bahia mussten wir vorerst abbrechen, weil wir wegen der Corona-Krise frühzeitig abreisen mussten. Diese wird sicherlich nachgeholt, aber vielleicht schaffe ich es in der Zwischenzeit auch, hier eine Ausstellungsmöglichkeit zu finden.

Wie haben Sie den Lockdown erlebt?

Ich war in Hamburg und habe zum Beispiel Nachtspaziergänge für mich entdeckt. Die Strassen waren leer, die Stimmung besonders und man musste sich nicht so anstrengen, anderen aus dem Weg zu gehen. Alles in allem geht und ging es aber ganz gut. Ich kenne solche Situationen ja als Schauspielerin, wenn man längere Wartephasen zwischen Projekten hat.

Sie sind mit Mitte zwanzig als Schauspielerin entdeckt worden. Statt jahrelanger Schauspielausbildungen war bei Ihnen das Talent einfach da. Was braucht es, um authentisch in Rollen zu schlüpfen?

Neugierig zu sein wie ein Kind. Unvoreingenommenheit. Und Leidenschaft für die Figur. Mich fasziniert es, beim Spielen etwas ausleben zu können, ohne dass es Konsequenzen für mein eigenes Leben hat.

Ihren eigenen Weg zu gehen hatte aber grosse Konsequenzen. Sie mussten Ihrer muslimischen Kultur teils den Rücken kehren. In welcher Kultur fühlen Sie sich heute zu Hause?

In der deutschen. Letztes Jahr war ich erstmals seit fünf Jahren wieder in der Türkei. Meine Freundin wunderte sich, dass ich nach ein paar Tagen trotzdem so «türkisch» war. Ich liebe die Sprache, das Essen und die Kultur, die unglaubliche Schätze birgt. Aber als Frau bin ich froh, dass ich in der deutschen Kultur zu Hause bin. Da bin ich viel freier. Auch wenn es für mich persönlich ein langer Kampf war und manchmal heute noch ist.

In Ihrer populären Rede beim Symposium von Terre des Femmes haben Sie die Frage in den Raum gestellt: «Was ist so bedrohlich an einer freien Frau?» Haben Sie eine Antwort gefunden?

Ich glaube, Männer fühlen sich dann von Frauen bedroht, wenn es ihnen an Selbstbewusstsein fehlt. Wer sich seiner Stärken und Schwächen bewusst ist, kann damit umgehen, mit Frauen auf Augenhöhe zu stehen. Die muslimische Kultur ist patriarchalisch geprägt und manchmal gnadenlos. Ich bin überzeugt: Männer, die sich vor gebildeten, selbstbewussten Frauen fürchten, haben Angst, blossgestellt zu werden.

Sie sind für Ihre klare, unbeirrte Haltung für die persönliche Freiheit heftig attackiert und bedroht worden. Was hat Ihnen Halt gegeben?

Neben den Angriffen gab es auch viel Dank und Zuspruch von Frauen. Der Halt kam aus meinem Inneren. Ich fühlte: Wenn mein Tun dazu führt, dass von 100 Frauen eine sagt: «Ich möchte mein Leben leben, wie es mich glücklich macht», dann lohnt es sich.

Was macht Sie selbst glücklich?

Frei und selbstbestimmt zu sein. Ich liebe das Reisen, treffe mich gerne mit Freunden und freue mich über ganz alltägliche Dinge wie etwa ein guter Cappuccino am Morgen in meinem Lieblingskaffee. Aber natürlich darf ich auch die Arbeit als Schauspielerin nicht vergessen, die mich oft erfüllt.

Haben Sie eine Traumrolle?

Ich wünsche mir mehr starke Frauenrollen. Frauen sollten in Filmen nicht nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen sein.

Einerseits schauspielern Sie, andererseits engagieren Sie sich stark für Frauenrechte. Was ist Ihre Berufung?

Die Frage nach Sinn und Berufung beschäftigt mich tatsächlich seit einigen Jahren. Gerade die Unsicherheiten meines Berufs zerrt manchmal so sehr an mir, dass ich ins Zweifeln komme. Menschen, die mich gut kennen und sehen, wie ich aber in der Rolle alles um mich herum vergesse, sagen dann zu mir: Das hier ist deine Berufung, merkst du das denn nicht? Sie haben Recht. Ich bin hauptberuflich Schauspielerin. Trotzdem erfüllt mich insbesondere mein Engagement für Frauenrechte sehr, es ist längst eine wichtige Aufgabe für mich geworden.

Vielen Dank für das Gespräch.
Facebook
Email
Twitter
LinkedIn