Etwas mehr Mut zur Faulheit für sehr viel mehr Gesundheit

Martin Liebmann über den Mut zur Faulheit als Rezept gegen ein Leben im Dauerlauf

Mut zur Faulheit: Mann liegt am Fluss
Herr Liebmann, Ihr Buch heisst «Faul zu sein ist harte Arbeit». Warum fällt uns das Nichtstun so schwer?

Der Hauptgrund liegt darin, dass unsere Welt so schnell geworden ist. Wir Menschen sind so sehr im Dauerturbo, dass es schon schwierig ist, das Tempo nur zu drosseln. Anhalten ist da eine verdammt schwere Geschichte, der Mut zur Faulheit noch mehr.

Ausserdem ist Faulheit verpönt. Arbeit ist eine heilige Kuh, uns sitzt die protestantische Arbeitsethik in jeder Pore. Beim Kennenlernen heisst die erste Frage meistens: «Was machst du?» Gemeint ist immer die Arbeit. Wie absurd ist das denn! Als würde der Beruf so viel über einen Menschen aussagen!

Der Trend zur Entschleunigung ist etwa zehn Jahre alt. Hat er im Rückblick nicht viel gebracht?

Entschleunigung war bei uns im Verein sogar schon vor 30 Jahren ein grosses Thema, bevor sie zur Mode geworden ist. Heute weiss jeder von uns, dass es krank machen kann, am guten Leben vorbeizuhetzen. Viele Menschen haben kein Gespür mehr, was ihrem Leben Sinn gibt, was ihnen Glück bringt.

Aber bei der Umsetzung von Entschleunigung scheitern wir ständig, weil unser Umfeld einen grossen Einfluss hat. Einfach aussteigen könnten nur Eremiten. Es geht der Mehrheit ja aber darum, ein individuelles Lebenstempo zu finden und trotzdem an der Gesellschaft teilzuhaben. Das ist ein schwieriger Balanceakt: Wer auf soziale Netzwerke verzichtet, kann sich auch schnell abgeschnitten fühlen. Und das schmerzt.

Warum sollten wir häufiger den Mut zur Faulheit haben?

Wer sich mit freiem Kopf Zeit fürs Nichtstun nimmt, begibt sich auf eine Abenteuerreise zu sich selbst. Beim Nichtstun fällt viel Kreatives in den Schoss. Auf Knopfdruck funktioniert das natürlich nicht. Da muss jeder seinen eigenen Weg finden und sich fragen, was ihm wirklich wichtig ist.

Wie stehen Sie zu Faulheit am Arbeitsplatz?

Das ist eine riesige Herausforderung, weil die Wirtschaft ja von Dynamik lebt. Wer als Person oder Unternehmen nicht permanent schneller wird, hat Angst, rauszufliegen – was auch oft so ist.

Dieses Problem ist nur zu lösen, wenn wir unser Verständnis von Wirtschaft radikal verändern, indem wir nicht jeden Hype mitmachen und uns auf die wichtige Arbeit konzentrieren. Studien zeigen beispielsweise, dass man produktiver ist, wenn man sich während des Arbeitstags klar definierte Freiräume von Mails und Telefon schafft.

Vor allem müssten wir das Credo vom ständigen Wachstum ablegen. Das hat auf der Welt keine Zukunft, denn Wachstum bedeutet steigender Ressourcenverbrauch – und der hat ein sehr nahes Ablaufdatum, weil er über die Grenzen der Natur geht. Und damit meine ich nicht nur Flora und Fauna, sondern auch die menschliche Natur. Die Burnout-Rate zeigt es.

Wie liesse sich das Hetzen nach Mehr durchbrechen?

Viele, vor allem junge Arbeitnehmer legen heute schon viel Wert auf genügend Zeit für Familie und Hobbys. Gerade deshalb sind bei mir im Unternehmen Halbtagsjobs sehr beliebt. Für die Kreativität ist das sogar förderlich. Im produzierenden Gewerbe sieht das natürlich etwas anders aus.

Trotzdem: Es ist langsam an der Zeit, mit echtem Mut zur Faulheit die 30- oder 25-Stunden-Woche in Angriff zu nehmen.

Das klingt so, als sei der Mut zur Faulheit nur etwas für Besserverdiener.

Klar, für einen Teil der Gesellschaft hängt das Thema mit Geld zusammen. Denken wir beispielsweise an Menschen an der unteren Einkommensgrenze mit zwei Jobs oder an Zwangs-Entschleunigte – Arbeitslose, die zu viel Zeit haben. Das hat dann nichts mehr mit Mut zur Faulheit zu tun, sondern kann belastend sein, vor allem wenn das Gefühl aufkommt, nicht gebraucht zu werden.

Ich kenne aber auch Menschen, die sich bewusst bei geringem Einkommen zurücknehmen und das sind oft die Glücklichsten überhaupt. Weniger zu konsumieren, die kleinere Wohnung, weniger verpflichtender Besitz: Der Glücksgewinn überwiegt meist die finanziellen Einbussen.

Noch ist dieser Trend verhalten. Streben wir nicht eher auf das kollektive Burnout zu?

Ich kann nicht in die Zukunft sehen, aber ich denke, dass sich unser Lebenstempo noch weiter beschleunigen wird, weil alles in Richtung digitaler Echtzeit geht. Die Angst vor dem Abgehängtsein und ein unreflektierter Technik-Hype werden uns prägen: Die Technik wird uns mehr Zeit nehmen, als sie uns schenkt, weil wir sie ständig betreuen müssen und sie uns zu neuen Leistungen animiert.

Ich habe aber die Hoffnung, dass sich neue Lebenskonzepte eröffnen, vielleicht auch schon vor dem grossen Burnout. Wir können viel tun, um uns Zeit und Orte der Begegnung zurückzuerobern.

Sie sind Vorsitzender im Verein zur Verzögerung der Zeit. Was genau macht der Verein?

In erster Linie ist er ein internationales Netzwerk von an gutem Umgang mit der Zeit interessierten Leuten. Es wird diskutiert über den Mut zur Faulheit, aber auch intensiv geforscht zu Themen wie Alzheimer, Schlaf, Bildung oder Sexualität. Dabei sehen wir Zeit als Schlüssel zum Verständnis unserer Gesellschaft.

Wir machen aber auch Unfug. Installationen oder paradoxe Interventionen sollen Menschen zum Nachdenken anregen und ins Gespräch bringen. Unsere Einladung zum Foto-Fasten war so eine Idee. Oder eine Keinkaufsliste, mit der der eigene Konsum hinterfragt wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

Ein Buch über den Mut zur Faulheit

Faul zu sein ist harte Arbeit

In «Faul zu sein ist harte Arbeit» widmet sich Martin Liebmann dem süssen Nichtstun und erklärt, warum es so richtig ist, einmal planlos zu sein. Den Mut zur Faulheit zu finden, ist in unserer Leistungsgesellschaft gar nicht so einfach, doch er ist für die Gesundheit wichtig. Warum? Darüber spricht das 2019 im Komplett-Media Verlag in Grünwald erschienene Buch.

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