Wie erleben Sie als Künstlerin die Corona-Krise?
Als Mensch erlebe ich sie wohl wie jeder Mensch: Es ist wichtig, dass es den Liebsten gut geht, dass man respektvoll im Umgang miteinander ist, Masken trägt, Abstand wahrt, Desinfekt dabei hat.
Als Künstlerin habe ich versucht, ein bisschen literarische und schauspielerische Nahrung ins Netz zu tragen. Meine gesamte Arbeit wurde abgesagt, manches verschoben, aber vor allem abgesagt. Ich habe Glück, ich komme durch das Jahr, andere freischaffende Künstler haben begonnen, in Supermärkten zu arbeiten oder ihre gesamten Bücher zu verkaufen.
Wie Sie engagieren sich viele Künstler derzeit online mit Lesungen, Theater und Musik. Werden die Künstler trotz dieses Beitrags zur psychischen Gesundheit der Menschen zu wenig wertgeschätzt?
Das kann ich nicht sagen, jeder muss für sich selbst herausfinden, welchen Platz die Kunst und auch welche Kunst Platz einnimmt im Leben. Ich kann für mich sagen, dass das, was ich am allermeisten vermisse, Konzerte sind. Ich möchte wieder in das Konzerthaus Berlin gehen oder in die Philharmonie oder in Jazzclubs, ich möchte im Kino sitzen, nachmittags oder spätnachts in verrückten Arthouse-Filmen, oder ins Theater gehen. Das ist alles online nicht das, was es analog ist. Mag altmodisch klingen, aber am Ende des Tages sind wir ja Herdentiere, wir Menschen.
Sie zählen seit mehr als 30 Jahren zu den besten Schauspielerinnen der Gegenwart. Wie hat sich die Filmarbeit in dieser Zeit verändert?
Vielen Dank. Ich versuche, nur einen Aspekt zu benennen, der mir als erstes in den Sinn kommt. Als ich begann, Filme zu drehen, war ich bereits vegetarisch. Ich wurde dafür bemitleidet und man fragte mich zum einen, ob ich eine Krankheit hätte, und zum anderen, was ich dann essen würde, wenn kein Fleisch. Wurst? Chicken? Da alles, was zum Fleisch gereicht wurde, augenscheinlich als Beilage keinen Wert hatte. So ass ich dann Kartoffeln mit Olivenöl und Salz. Auch lecker.
Heute ist es selbstverständlich, dass man ein vegetarisches Gericht beim Catering vorfindet.
Wie hat das Schauspielern Sie verändert?
Das kann ich nicht beantworten, ich tue es ja schon mein ganzes Leben. Bevor ich damit anfing, war ich ein Teenager, es gibt mich also nur als Schauspielerin, in unterschiedlichen Stadien des Wissens und Übens.
Sie haben Ihre Arbeit einmal als «Eskapismus» bezeichnet. Wovor fliehen Sie in Ihre Rollen?
Vor den Grenzen, die die eigene Existenz dir gebietet. Ich kann in andere Personen schlüpfen, ich kann so tun und fühlen und denken, als sei ich jemand anders, das ist ziemlich praktisch.
Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Rollen aus?
Keine Kriterien, reines Gefühl und Denken. Manchmal ist es die Geschichte, manchmal die Figur, manchmal die Regie. Die Königsklasse ist, wenn alles zusammenkommt.
Sie konnten in ernsten und komischen Rollen, auf der Bühne und vor der Kamera überzeugen. Welche Momente Ihrer Karriere sind Ihnen im Rückblick besonders wichtig?
Das kann ich Ihnen gerade nicht sagen, da ich nicht zurück, sondern nach vorn schaue. Fragen Sie mich in 30 Jahren nochmal.
Viele Kolleginnen beklagen, dass Frauen ab einem gewissen Alter schwieriger an gute Rollen herankommen. Tut sich das Kino mit dem Altern schwer?
Ich glaube nicht, dass es eine Klage ist, dass Frauen sich ‹beklagen›, wie Sie es nennen. Es ist ja ein Fakt. Hier wird nicht gejammert, sondern auf die Realität hingewiesen, und in der Rezeption nervt das dann anscheinend und wird in Klage umbenannt, da beginnt es bereits, verzeihen Sie, wenn ich das so sage.
Ich versuche es mit einem vergleichenden Beispiel: Ich habe mit grossartigen männlichen Kollegen zusammenarbeiten dürfen, die, bis sie Anfang/Mitte 40 waren, an berühmten, grossen oder auch mittelgrossen Theatern spielten, tolle Schauspieler, die sich dann mit über 40 entschlossen, ein Filmstar zu werden – und es wurden. Sie werden kein entsprechendes Beispiel einer Frau finden.
Seit 20 Jahren engagieren Sie sich für Flüchtlinge, Frauen und Kinder in Not. Was hat Sie bei Ihren Reisen zu den Brennpunkten der Welt am meisten erschüttert?
Es geht mir nicht um Erschütterung, sondern darum, über die konkrete Arbeit der lokalen NGOs zu erzählen. Mein Buch darüber ist kein poverty porn, sondern ich erzähle als Botschafterin oder Botin von Menschen, die unglaublich Beeindruckendes schaffen und geschaffen haben und leider nicht die Bühne erhalten – diese gebe ich ihnen.
Vielen Dank für das Gespräch.
«Jeder hat. Niemand darf.»
Egal, ob in Nepal, im Kongo oder im Libanon: Katja Riemann ist seit 20 Jahren in der Welt unterwegs, ist vor Ort, schaut hin. Sie beschreibt die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und erzählt von Menschen, die sie bewundert, weil sie etwas bewegen. Katja Riemanns Zuversicht macht Hoffnung, ihre Hingabe ist ansteckend, ihr Humor mitreißend. Sie zeigt, dass Veränderung möglich ist.
Ihre Projektreisen hat sie verschriftlicht, sie sind im Februar 2020 unter dem Titel «Jeder hat. Niemand darf.» bei S. Fischer erschienen