Brustkrebs

Empowerment: Das Ruder selbst in der Hand

Ein Gespräch über bessere Heilungschancen bei Brustkrebs

Paar Hände halten

«In dieser Zeit brauchen Frauen Unterstützung, um von der Angst in die Ruhe zurückzufinden», so Delia Schreiber, Psychologin und Autorin des Buches «Empowerment von Frauen mit Brustkrebs». Von der Panik zurück zu einem klaren Kopf. Denn der ist nicht nur nötig, um die nächsten Schritte achtsam, eigenverantwortlich und bewusst mitzuentscheiden – er erhöht auch nachweislich die Chance auf Heilung.

Empowerment?

Manchmal kann ein Englisches Wort nicht treffsicher ins Deutsche gewandelt werden.
Hinter «Empowerment» verbirgt sich mehr als nur eine Deutsche Bedeutung:
etwa «Selbstwirksamkeit», «Selbstbestimmung», aber auch das Übertragen von Verantwortung.

Frau Schreiber, wieso ist Ihnen das Thema Empowerment gerade für Frauen mit Brustkrebs so wichtig?

Weil es viele Hinweise aus der Praxis darauf gibt, dass Frauen, die sich nach dem Diagnose-Schock in der neuen Situation gut orientieren und zu sich selbst zurückfinden, höhere Überlebenschancen haben. Ich halte diese erste Zeit deshalb für enorm wichtig. Die Frauen brauchen jemanden, der sich Zeit nimmt für ein orientierendes und reflektierendes Gespräch. Es geht um die Frage: Was gibt mir jetzt Kraft, Halt und Richtung?

Viele Frauen fühlen sich nach der Diagnose wie ein Boot ohne Ruder auf offenem Meer. Sie brauchen jemanden, der sie daran erinnert, dass das nicht so ist. Jemand der ihnen sagt: «Nein, du befindest dich auf einem Segelschiff und du selbst bist der Skipper. Du navigierst. Und du wirst das schaffen.» Darum geht es beim Empowerment.

Es geht beim Empowerment also darum, von der Angst zurück ins Vertrauen zu kommen?

Genau. Und vom Chaos zurück in die Ordnung. Die Diagnose löst eine Menge innerer Bilder aus: Ausfallende Haare, die Brust verlieren, den Mann verlieren. Diese Bilder haben eine negative Wirkung auf den Körper, sie lösen inneren Stress aus. Es gilt, aus dem Chaos, das die Bilder anrichten, zurückzufinden zu dem Gefühl der Selbstwirksamkeit; zu einem Gefühl von «ich schaffe das». Menschen in Krisen vergessen völlig, dass sie Ressourcen haben. Es hilft, wenn die Frau weiss, woraus sie Lebendigkeit und Lebensfreude schöpft, was ihre Kraftquelle ist. Und auch, welche Information sie gerade nicht haben will.

Wie genau wirkt sich das Gefühl der Selbstwirksamkeit auf die Krankheit aus?

Studien zeigen, je höher die Selbstwirksamkeits-Erwartung, desto weniger Medikamente werden gebraucht, desto milder sind die Nebenwirkungen der Therapie und desto höher stufen Betroffene ihre Lebensqualität ein. Man kann sagen, dass die Selbstwirksamkeits-Erwartung die Behandlung der Krankheit verträglicher macht.

Wie können Ärzte Betroffene «empowern»?

Viele Frauen fragen ihren Arzt nach ihren Chancen. Hier ist es wenig hilfreich, wenn ein Arzt beispielsweise sagt: «50 Prozent der Frauen mit dieser Diagnose erleben die nächsten fünf Jahre nicht». Eine völlig andere Wirkung hat es, wenn er sagen würde: «Wir wissen es nicht. Aber wir packen das jetzt zusammen an und ich helfe Ihnen dabei». Die Art und Weise der Kommunikation kann der Frau entweder Mut machen oder ein Gefühl hinterlassen als würden sie sich auf Treibsand befinden. Neben dem ist es wichtig, dass Schulmediziner die komplementäre Medizin nicht ablehnen, sondern den betroffenen Frauen Möglichkeiten aufzeigen.

Welche komplementärmedizinischen Angebote unterstützen denn die Heilung?

Alles, was Entspannung bringt und hilft, sich mit sich selbst zu verbinden. Ich habe viele Brustkrebsbetroffene gefragt: Was wünschen Sie sich? Und ich bin erstaunt, wie viele der Frauen unter Tränen sagten: «Keine Ahnung.» Oft trifft Brustkrebs Frauen, die sich die letzten 20 Jahre um Kinder, Mann oder Geschäft gekümmert haben. Ich finde das auffällig. Der Krebs schlägt häufig zwischen 50 und 60 Jahren zu – der Lebensphase, in der Frauen aus der Familienphase herauskommen und auf sich selbst blicken. Plötzlich ist Zeit für die Frage: Was will ich? Für mich. Viele der Frauen haben oft nur im Aussen gelebt, sie haben sich wenig um sich selbst gekümmert. Ich bin überzeugt, dass es die Selbstheilungskräfte aktiviert, wenn es diesen Frauen gelingt, sich liebevoll sich selbst zuzuwenden.

Was könnte eine Brücke sein für Frauen, die es nicht gewohnt sind, sich um sich selbst zu kümmern?

In der Schweiz werden Krebspatienten häufig MBSR-Kurse vermittelt. Die Buchstaben stehen für Mindfulness-Based Stress Reduction. In einer Gruppe erlebt die Frau, wie gut es sich anfühlen kann, sich mit sich selbst zu verbinden. Das ist eine gute Grundlage. Von hier aus kann sie für sich selbst finden, woran sie Freude hat und womit sie weitermachen möchte. Ob das jetzt Singen, Wandern oder Yoga ist.

Woher kommt Ihr Interesse für Empowerment?

Zum einen, weil ich viele Klientinnen mit Brustkrebs habe und beobachte, wie gut es ihnen tut, wenn dieser Prozess stattfindet. Dann aufgrund einer persönlichen Geschichte. Mein Vater ist Onkologe und als ich 15 Jahre alt war, ist er an Leukämie erkrankt. Er hatte damals eine sehr geringe Überlebenschance. Und obwohl er eingefleischter Schulmediziner war, hat er gemerkt, dass er sich selbst so sehr verloren hatte, so unverbunden mit sich selbst war, dass er wusste: So bringt die Chemotherapie gar nichts. Für zwei oder drei Wochen zog er sich damals in die Natur zurück. Er hat überlebt und später eine Tumorklinik in Freiburg im Breisgau gegründet und dafür gekämpft, dass die eigenen Kräfte von Krebspatienten in den Fokus der Schulmedizin rücken.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Broschüre «Empowerment von Frauen mit Brustkrebs» kann über die Webseite der Stiftung Patientenkompetenz bezogen werden.

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