Eckart von Hirschhausen über Corona und andere Krisen

«Das Teuerste was wir heute tun können, ist nichts»

Hiirschhausen
Gab es einen persönlichen Anstoss für Sie, dieses Buch zu schreiben?

Es mag pathetisch klingen, aber eine Frau hat mein Leben verändert: Jane Goodall. Sie ist mit über 85 Jahren unermüdlich unterwegs in ihrer Herzensangelegenheit – das Überleben von Menschen und Tieren zu sichern. Sie stellte mir die Frage: «Wie kann es sein, dass die schlauste Kreatur, die jemals auf diesem Planeten gewandelt ist, dabei ist, ihr eigenes Zuhause zu zerstören?» Das war der Startschuss für meine Reise, und «Mensch, Erde!» ist so etwas wie das Fahrtenbuch. Die nächsten zehn Jahre entscheiden darüber, wie die nächsten 10’000 Jahre für unsere Zivilisation werden. Wir erleben gerade historische Zeiten. Wir müssen nicht das Klima retten – sondern uns.

Wo sehen Sie den Zusammenhang zwischen Corona und der Klimakrise?

Mein Buch trägt einen Button, der sagt: «Drei Krisen zum Preis von zweien.» Was wie ein Marketing-Gag aussieht, meint: Die Krisen unserer Zeit hängen eng zusammen. Ohne die Zerstörung von Lebensräumen, das Artensterben und den Wildtierhandel hätten wir kein Corona. So genannte Zoonosen, Infekte, die zwischen Tier und Mensch übertragen werden, sind häufiger geworden. Drei Viertel der neuen Infektionskrankheiten kommen aus dem Tierreich. Ebola, Sars, auch HIV kam von einem Schimpansen. Sie mehren sich, weil wir den Wildtieren keinen Rückzugsort mehr lassen. Gejagt, gehandelt und schliesslich in unseren Lebensraum gebracht, provozieren wir die Übertritte der Viren – und zahlen den Preis dafür.

Dann ist Natur-und Tierschutz auch Gesundheitsschutz?

Absolut. Eine Art, die wir ausgerottet haben, kommt nie mehr zurück und mit ihr geht wichtiges Wissen verloren. Da hat die Evolution über Millionen Jahre ihre besten Ideen verwirklicht, und wir zerstören sie, bevor wir sie verstanden haben. Wenn die Klimakrise das Fieber von Mutter Erde ist, dann ist das Artensterben ihre Demenz.

Klimaforscher betonen, dass wir uns enorm schnell einem Kipppunkt nähern, dem «point-of-no-return». Wie ist das noch abzuwenden?

Einmal überschritten, können diese Kipppunkte mit keinem Geld und keiner Macht der Welt rückgängig gemacht werden. Wenn die Gletscher und Eismassen an den Polkappen abgeschmolzen sind, setzen Kettenreaktionen ein, die es immer heißer werden lassen, und und und. Aber wir können noch etwas ändern und es lohnt sich, um jede Tonne vermiedener Emissionen und um jedes Zehntel Grad zu kämpfen.

Was ist dafür nötig?

Schnell zu handeln, und zwar nicht nur jeder für sich allein und im Kleinen, sondern überregional, europäisch und global. Es wäre naiv zu glauben, wir würden einen magischen Staubsauger erfinden, der das CO2 wieder verschwinden lässt. Es ist wichtig, endlich mit der idiotischen, dreckigen und teuren Kohleverstromung aufzuhören. Aus dem Weltraum betrachtet ist die Atmosphäre eine dünne, empfindliche Haut der Erde. Diese Schutzschicht entscheidet, ob wir auf der Erde leben können oder nicht. Wir sind mit wahnsinnig viel Glück auf dem einzigen bekannten Planeten mit Wasser, Luft und erträglichen Temperaturen. Und um wirklich alle zu motivieren: Die Erde ist auch der einzige Ort im Weltall mit Kaffee, Sex und Schokolade.

Sind Sie bei Ihren Recherchen auf gute Ideen gestossen?

Die Absicht meines Buches ist, ein positives Narrativ in die von Katastrophen geprägte Diskussion zu bringen: Wir könnten es echt schöner haben – und vor allem gesünder. Deshalb halte ich es für eine gute Idee, zu beschreiben, welche Vorteile wir selbst haben, wenn wir für den Klimaschutz handeln: Radfahren statt Auto, Zug statt Flugzeug und Gemüse statt Fleisch. Ich atme doch lieber die Abgase von zehn Radfahrern ein als von einem SUV. Und in einer Welt, in der rund zwei Milliarden Menschen übergewichtig sind und eine Milliarde mangelernährt ist, müsste doch eine bessere Verteilung möglich sein, oder? Da ist die Idee einer «Planetary Health Diet»: Sie verbindet das, was dem Körper guttut, mit dem, was dem Planeten guttut. Also weniger Fleisch, Zucker und Milchprodukte, mehr Nüsse, Hülsenfrüchte und Gemüse. Ist das ein Verzicht? Ja! Ein Verzicht auf Millionen Herzinfarkte und Schlaganfälle.

Was halten Sie von CO2-Ausgleichsangeboten wie «zahle drei Franken mehr und wir pflanzen einen Baum»?

Weniger schlecht ist noch nicht gut. Sinnvoller als nur neue Bäume zu pflanzen ist es, die existierenden artenreichen Gebiete zu schützen. Zwei Drittel der Meere und zwei Drittel der Landfläche sollten laut Legacy Landscape Fund unter Naturschutz stehen. Das Teuerste was wir heute tun können, ist nichts.

Was kann jeder Einzelne noch tun?

Ich bin inzwischen überzeugt, dass politische Hebel in Bewegung zu setzen mehr ausrichtet als persönliche Konsumentscheidungen. Und damit sich Politik bewegt, braucht es Öffentlichkeit und Menschen, die im Hintergrund netzwerken zwischen Gruppen, die sonst kaum miteinander sprechen. Jeder kann überlegen, wie er hier seinen Beitrag leisten kann. Gerade wenn man sich ohnmächtig fühlt, kurz überlegen: wen kann ich bewegen, der mehr bewegen kann als ich? Vernetzen bringt´s!

Vielen Dank für das Gespräch.
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