Spoiler
- Die polyzystische Nierenkrankheit ist eine vererbbare Erkrankung, bei der sich Zysten bilden und die Nieren schrittweise ihre Funktion verlieren.
- Die Krankheit ist nicht heilbar, aber ein gesunder Lebensstil und Medikamente können den Verlauf verlangsamen.
- Typische Beschwerden sind Flankenschmerzen, Bluthochdruck und häufige Harnwegsinfekte. Diagnostiziert wird die Erkrankung mittels Bildgebung, Laborwerten und ggf. einem Gentest. Unbehandelt kann sie zu einem Nierenversagen führen.
Die Arbeit der Nieren ist lebenswichtig: Sie filtern das Blut von Gift- und Abfallstoffen, halten das Gleichgewicht von Flüssigkeit und Mineralien im Körper aufrecht und kontrollieren den Blutdruck. Einige Krankheiten, wie etwa die polyzystische Nierenkrankheit – auch Zystennieren genannt – führen allerdings dazu, dass die Nieren ihre lebenswichtigen Funktionen zunehmend verlieren. «Die zahlreichen Zysten, die der Erkrankung ihren Namen geben, vergrössern sich und verdrängen mit der Zeit gesundes Nierengewebe. Die Durchblutung des Organs verschlechtert sich und das Nierengewebe wird durch Narbengewebe ersetzt», erklärt Prof. Bonny. In der Folge kommt es zu einer chronischen Nierenkrankheit, die in einem Nierenversagen enden kann.
Wie entsteht die polyzystische Nierenkrankheit?
Die polyzystische Nierenkrankheit gehört zu den häufigsten Erbkrankheiten. Schätzungen zufolge sind in der Schweiz zirka 10’000 Personen betroffen. Die Krankheit wird durch eine Veränderung an den Genen ausgelöst. Es gibt zwei Hauptformen:
- Die häufigere autosomal-dominante polyzystische Nierenkrankheit (ADPKD)
- Die seltenere autosomal-rezessive polyzystische Nierenkrankheit (ARPKD)
«Bei der autosomal-dominaten polyzystischen Nierenkrankheit kommt es zu Fehlern an einem Gen, das vermutlich für den Aufbau der Nierenstruktur wichtig ist», so der Mediziner. Autosomal-dominant bedeutet, dass ein verändertes Gen eines Elternteils genügt, um die Krankheit weiterzugeben. Jedes Kind hat eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, das fehlerhafte Gen zu erben und dadurch im Lauf des Lebens selbst an Zystennieren zu erkranken. «ADPKD wird häufig erst im Erwachsenenalter zwischen 30 und 40 Jahren diagnostiziert, da sie – wie viele andere Nierenkrankheiten – im Anfangsstadium kaum Beschwerden verursacht», führt Prof. Bonny aus.
Die autosomal-rezessive polyzystische Nierenkrankheit (ARPKD) ist hingegen sehr selten und tritt bereits im Kindesalter auf. «Für die autosomal-rezessive Vererbung muss das fehlerhafte Gen sowohl auf dem mütterlichen als auch auf dem väterlichen Erbgut vorhanden sein», erläutert der Experte. Neben Zysten an den Nieren und der Leber kann es zu Atemproblemen kommen. Viele Neugeborene mit ARPKD überleben die ersten Lebenswochen nicht, da ihre Lunge aufgrund der Krankheit nicht ausreichend ausgebildet ist. Kinder, die die Geburt überleben, sind häufig auf Nierenersatztherapien wie eine Transplantation oder eine Dialyse angewiesen.
Symptome der polyzystischen Nierenkrankheit
Die Zysten, die sich aufgrund der dominanten Variante entwickeln, wachsen nur langsam. «Das hat zur Folge, dass die Symptome zu Beginn unauffällig sind und auch andere Ursachen haben können», sagt der Nephrologe.
Zu den häufigsten Beschwerden gehören:
- Schmerzen in den Flanken, am Rücken oder in der Bauch- und Magengegend
- Blut im Urin
- Häufiges Wasserlassen
- Wiederholte Harnwegsinfektionen oder Zysteninfektionen
- Nierensteine
- Bluthochdruck
- Müdigkeit
- Vergrösserter Bauchumfang durch das zunehmende Gewicht der Nieren
Sie treten häufig in der Leber auf, können aber auch die Milz oder die Bauchspeicheldrüse befallen. Darüber hinaus sind Anomalien des Verdauungstrakts (Divertikel) und sogar des Herzens (Herzklappenfehler), der Hirngefässe (Aneurysma) oder Bauchhernien häufig mit ADPKD verbunden und verursachen weitere Beschwerden.
Diagnose der polyzystischen Nierenkrankheit
In vielen Fällen werden Zystennieren zufällig bei einer Routineuntersuchung entdeckt, etwa während eines Ultraschalls. «Bei Verdacht auf die polyzystische Nierenkrankheit schaffen bildgebende Verfahren Klarheit. Die charakteristischen Zysten sind auf einem Ultraschall, einer Computertomographie (CT) und einer Magnetresonanztomographie (MRI oder MRT) zu erkennen», erklärt Prof. Bonny. Dank diesen Verfahren können Ärztinnen und Ärzte feststellen, in welchem Stadium sich die Krankheit befindet und ob weitere Organe betroffen sind.
Ebenso wichtig für die Diagnosestellung sind ein Blut- und Urintest, die Aufschluss über die Funktion der Nieren geben. «Bei auffälligen Testergebnissen wissen wir, dass mit den Nieren etwas nicht in Ordnung ist», sagt der Arzt. Zusätzlich werden die Nieren abgetastet. Von Zysten befallene Nieren oder Lebern sind deutlich schwerer und können während einer körperlichen Untersuchung erspürt werden.
«Schliesslich führen wir mit der Patientin oder dem Patienten ein ausführliches Gespräch, um festzustellen, ob Verwandte ebenfalls von einer Nierenkrankheit betroffen waren oder sind.»
Gentest gibt Klarheit
Ein Gentest weist nach, ob im Erbgut Veränderungen vorliegen, die das Risiko für eine polyzystische Nierenkrankheit erhöhen können. Dieser Test ist besonders nützlich, wenn in der Familie keine Fälle von polyzystischer Nierenerkrankung bekannt sind oder bevor eine Niere von einem lebenden Spender transplantiert wird.
Wird eine Genmutation festgestellt, sollte die betroffene Person regelmässig ihre Nierenfunktion und ihren Nierenumfang testen lassen, um bei einer Verschlechterung rechtzeitig mit der passenden Behandlung zu beginnen. Auch wer sich gegen einen Gentest entscheidet, sollte Blutdruck und Nierenfunktion engmaschig überwachen lassen.
Verlauf der Erkrankung
Der Verlauf der polyzystischen Nierenkrankheit ist unterschiedlich variiert je nach den vorliegenden genetischen Veränderungen, dem Volumen der Nierenzysten, dem Geschlecht (bei Frauen schreitet die Erkrankung etwas langsamer fort), dem Vorliegen von Blut im Urin oder eine Zysteninfektion sowie Bluthochdruck und die Beteiligung anderer Organe. Etwa die Hälfte der Betroffenen von ADPKD leidet ab dem 55. Lebensjahr an einem Nierenversagen. Dies ist eine ernsthafte Erkrankung: In diesem Stadium können die Nieren das Blut nicht mehr auf Gift- und Abfallstoffe filtern – mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit.
Die autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) verläuft noch schneller, sodass viele Kinder bereits vor ihrem 20. Lebensjahr an Nierenversagen leiden.
Behandlung der polyzystischen Nierenkrankheit
«Zystennieren sind zurzeit noch nicht heilbar. Die Behandlung zielt darauf ab, Beschwerden zu lindern, die Nierenfunktion möglichst lange zu erhalten und Begleiterkrankungen rechtzeitig zu erkennen», weiss Prof. Bonny. Im Fokus steht dabei die Kontrolle des Blutdrucks. Bluthochdruck kann nicht nur die Nieren weiter belasten, sondern ist auch ein Risikofaktor für zahlreiche Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Seit einiger Zeit werden bei Betroffenen von ADPKD Medikamente mit dem Wirkstoff Tolvaptan eingesetzt. Dieser erhöht die Urinproduktion und verlangsamt das Wachstum der Zysten. «Der Wirkstoff kann allerdings die Leber beeinträchtigen, weshalb die korrekte Einnahme durch eine speziell ausgebildete Nephrologin oder einen speziell ausgebildeten Nephrologen gewährleistet sein muss», sagt der Arzt.
Droht ein Nierenversagen wird eine Dialyse – auch Blutwäsche genannt – notwendig. Dabei wird das Blut entweder ausserhalb des Körpers durch eine Maschine gereinigt (Hämodialyse) oder durch das eigene Bauchfell gefiltert (Bauchfell- oder Peritonealdialyse). Die Hämodialyse muss mehrmals pro Woche auf einer spezialisierten Dialysestation durchgeführt werden und dauert mehrere Stunden. Die Bauchfelldialyse wird eigenständig zu Hause gemacht, erfordert jedoch ein hohes Mass an Eigenverantwortung. «Die beste Nierenersatztherapie ist jedoch eine Transplantation. Dabei wird eine Niere eines lebenden oder verstorbenen Menschen in den Körper der Person mit Nierenversagen eingefügt und übernimmt dort fortan die Funktionen des erkrankten Organs. Damit der Körper das fremde Organ nicht abstösst, müssen regelmässig sogenannte Immunsuppressiva eingenommen werden», so der Nephrologe. Die Niere ist ein häufig benötigtes Spendeorgan, dementsprechend lang ist die Warteliste. Da man auch nur mit einer funktionsfähigen Niere gut leben kann, kommen auch Lebendspenden von Familienmitgliedern oder aus dem Freundeskreis infrage.
Leben mit polyzystischer Nierenkrankheit: was Betroffene tun können
«Ein gesunder und aktiver Lebensstil wirken sich positiv auf die Nierengesundheit aus.» Zentral ist dabei die Ernährung: «Die Basis bilden viel frisches Obst und Gemüse, Proteine aus Hülsenfrüchten, Eiern oder Fleisch sowie lang sattmachende Kohlenhydrate aus Vollkornbrot, Vollkornnudeln oder Kartoffeln. Achten Sie auf Ihren Salzkonsum, denn dieser treibt den Blutdruck in die Höhe», rät Prof. Bonny. Ebenso wichtig ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr, am besten ausschliesslich Wasser.
Zuckerhaltige Getränke und Snacks sowie Alkohol sollten auf ein Minimum reduziert, bestenfalls ganz weggelassen werden. Dasselbe gilt fürs Rauchen, das ebenfalls für Bluthochdruck mitverantwortlich ist. Ein Rauchstopp kommt der gesamten Gesundheit zugute. Je nach Stadium der Nierenkrankheit gelten andere Ernährungsregeln. Eine spezialisierte Ernährungsberatung kann individuelle Tipps geben.
Ebenso wichtig sind Sport und Bewegung. Körperliche Aktivität unterstützt bei der Gewichtskontrolle, senkt den Blutdruck und hilft beim Stressabbau.
Prof. Bonny rät Betroffenen von ADPKD ausserdem dazu, ihren Blutdruck regelmässig zu kontrollieren und bei erhöhten Werten (höher als 120/80 mmHg) mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt zu sprechen. «Bei Bluthochdruck sind oft Blutdrucksenker notwendig. Diese sollten – wie alle anderen verschriebenen Medikamente – regelmässig eingenommen werden. Setzen Sie Medikamente niemals ohne Rücksprache mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt ab. Nebenwirkungen und Behandlungsalternativen sollten Sie immer im persönlichen Gespräch mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt klären. Vorsicht ist zudem bei freiverkäuflichen Schmerzmitteln, besonders nichtsteroidalen Entzündungshemmern, geboten, die bereits geschädigte Nieren noch weiter beeinträchtigen können.»
Wer die polyzystische Nierenkrankheit früh erkennt und sich ärztlich begleiten lässt, kann den Krankheitsverlauf verlangsamen. Eine gesunde Lebensweise, moderne Medikamente und eine enge Betreuung durch Fachpersonen helfen dabei, die Nieren möglichst lange funktionsfähig zu erhalten – und die eigene Lebensqualität zu verbessern.