Collien, weshalb interessierst du dich so sehr für das Thema Erziehung?
Durch meine Tochter habe ich mich zwangsläufig mit der Frage beschäftigt, was ich ihr wie vermitteln möchte. Als sie in den Kindergarten ging, kam immer wieder die Genderthematik auf. Sie erzählte mir zum Beispiel, dass bestimmte Spiele nur etwas für Jungs seien. Da habe ich mich gefragt, was wir als Gesellschaft eigentlich unseren Kindern vermitteln. Diesem Thema habe ich mich dann immer intensiver gewidmet.
Ein grosses Thema in der Erziehung sind Helikopter-Eltern. Wo fängt das Helikoptern an?
Es gibt keine einfache Definition, wo die Grenze zwischen Fürsorge und Bevormundung verläuft. Oft sind es kleine Momente im Alltag, in denen Mütter und Väter vorschnell Hilfe anbieten. Das passiert aus gutem Vorsatz, hilft aber dem Kind nicht wirklich weiter.
Wieso das?
Es ist absolut nachvollziehbar und richtig, dass sich Eltern um ihre Kinder sorgen und ihnen helfen wollen. Ein Zuviel signalisiert den Kindern aber, dass die Eltern ihnen nichts zutrauen. Kinder müssen auch mal Fehler machen dürfen, damit sie daraus lernen können. In der Sendung haben wir ein Experiment an einer Sprossenwand gemacht. Wenn Mama und Papa immer die Hand am Kind haben, berauben sie ihre Kinder um die Erfahrung, eigene Strategien auszuprobieren und aus ihnen zu lernen.
Ausserdem überträgt sich die Angst der Eltern auf die Kinder, wie ein weiteres Experiment gezeigt hat. Sie sind gehemmt und können ihre Umwelt nicht mehr unvoreingenommen erkunden.
Bist du ab und zu auch mal eine Helikopter-Mutter?
Ich eher nicht so, aber ich kenne da jemanden, der ist ein sehr ausgeprägter Helikopter: mein Ehemann. Eigentlich habe ich die Dokumentation zu diesem Thema für ZDFneo nur gemacht, damit er einmal von aussen sieht, was gut und ab wann es zu viel ist.
Die drei Formen der Helikopter-Eltern
Transporthelikopter: «Taxi Mama» lässt grüssen. Eltern fahren ihre Kinder zur Schule und zu den Freizeitaktivitäten, weil der Weg zu Fuss oder mit dem Rad zu gefährlich erscheint. Dabei sorgt das erhöhte Verkehrsaufkommen vor Kindereinrichtungen erst recht für mehr Unfälle.
Rettungshubschrauber: Das Sportzeug vergessen, die Bahn verpasst? Sofort wird alles stehen und liegen gelassen, um das Kind aus der Notlage zu befreien. Problem dabei: Jedes kleine Missgeschick wird zur Katastrophe dramatisiert, das Kind reagiert auf Kleinigkeiten bald wie auf einen Weltuntergang.
Kampfhubschrauber: Das Schulessen ist nicht gut genug, das Wandertagsziel auch nicht und die Sitzordnung im Klassenzimmer erst recht nicht. Aus allem wird ein Skandal gemacht. Das untergräbt die Autorität der Lehrer, ausserdem erfährt das Kind, dass es sich nicht einfügen muss, sondern immer eine Extrawurst bekommt.
Was kann man tun, wenn der Partner oder ein Bekannter zum Helikopter wird?
Das ist schwierig. Erziehung ist etwas sehr Persönliches. Von aussen in die Beziehung zwischen einem Elternteil und dem Kind einzugreifen wirkt schnell anmassend. Durch Dokumentationen wie diese kann man aber jemanden anregen, sich mal mit diesem Thema auseinanderzusetzen und sein eigenes Verhalten zu hinterfragen.
In deinem ersten Kinderbuch um die Otter Lotti und Otto beschäftigst du dich mit Geschlechterrollen. Warum hast du dieses Thema gewählt?
Ich halte es für ganz wichtig, dass man sich damit auseinandersetzt, weil die ungleiche Behandlung von Mädchen und Jungen zu Defiziten führt. Mädchen wachsen beispielsweise mit weniger technischen Spielsachen auf, wodurch sie keinen selbstverständlichen Umgang damit lernen, auch entwickelt sich ihr räumliches Denken oft schlechter. Wir behandeln die Geschlechter ungleich, ohne es zu merken.
Ein anderes Beispiel: Wenn sich Jungs raufen, gilt das als normal. Mädchen zieht man aber sofort auseinander, weil sich eine Prügelei zwischen Mädchen eben nicht gehört.
Wie lässt sich das besser machen?
Die Mädchen bekommen Haarclips und Schleifen zum Geburtstag, die Jungs Chemiebaukästen und Roboter. Man probiert erst gar nicht, ob Mädchen nicht vielleicht auch Spass an einem Chemiebaukasten oder Roboter hätten. Sich dessen bewusst zu werden, hilft schon mal viel.
In deinem zweiten Kinderbuch stösst ein Dikdik zu den Otterkindern …
Wie die meisten Menschen wissen auch Lotti und Otto nicht, was ein Dikdik ist. In ihrem Umfeld kursieren die wildesten Vorstellungen, die sich zu Vorurteilen verfestigen und Angst erzeugen. Dann kommt dieses fremde Tier und ist ganz anders, als gedacht. Und genau darum geht es mir: Vorurteile müssen erkannt und hinterfragt werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Lotti & Otto
Der zweite Band des beliebten Kinderbuchs ist Anfang September 2020 erschienen.
Collien Ulmen-Fernandes und Carola Sieverding:
Lotti & Otto.
Eine Geschichte über «echte Kerle», alte Vorurteile und neue Freunde
Edel-Kids-Books