Diabetische Retinopathie, die «stumme Erkrankung»

Lange bleibt die Folgeerkrankung der Diabetes unerkannt

Mann Silhouette Dunkel Abendrot

Spoiler

  • Je früher der Diabetes erkannt und behandelt wird, desto höher ist die Chance, lange gut sehen zu können.
  • Die diabetische Retinopathie tritt erst 10 bis 15 Jahre nach Beginn der Zuckerkrankheit auf.
  • Ein gesunder Lebensstil und eine frühe Behandlung erhalten die Sehkraft länger. Vollständige Erblindungen kommen in Europa nur noch selten vor.

Das Wichtigste zuerst: Wer seinen Diabetes mellitus möglichst früh erkennt und gut im Griff hat, kann seine Sehkraft meist für lange Zeit vor den Folgen einer diabetischen Retinopathie schützen. Doch irgendwann sind die meisten Diabetiker von der Netzhauterkrankung betroffen.

Es sei denn, der Diabetes tritt bei ihnen erst sehr spät auf, denn es dauert weitere zehn bis 15 Jahre, bis es zu der Augenerkrankung kommt. «Wenn man das Auftreten des Diabetes durch entsprechende Lifestyle-Massnahmen fünf oder zehn Jahre hinauszögern kann, dann hat man schon viel gewonnen», weiss Prof. Dr. Peter Diem, Präsident der Schweizerischen Diabetes-Stiftung.

Diabetische Retinopathie: Netzhaut unter Druck

Der hohe Blutzuckerspiegel von Diabetikern schädigt die Gefässwände der Netzhaut, also des Nervengewebes am Augenhintergrund. Die Folge: Es kann zu Netzhauteinblutungen und zu Flüssigkeitseinlagerungen in der Makula (Makulaödem) kommen.

Ohne regelmässige Kontrollen bleibt die Erkrankung lange unerkannt, weil Sehbeschwerden erst spät auftreten. «Zu einer kompletten Erblindungen kommt es in unseren Regionen aufgrund des guten Screenings und guter Therapien nur noch sehr selten», so Prof. Dr. Dr. Daniel Barthelmes.

Früherkennung ist entscheidend

Was kann getan werden, um die schweren Stadien der diabetischen Retinopathie zu vermeiden beziehungsweise lange hinauszuzögern? «Frühe Diagnostik und Therapie sind der Schlüssel zum Erfolg», erklärt Prof. Barthelmes, Leiter der Netzhautabteilung des Universitätsspitals Zürich.

Wird ein Diabetes diagnostiziert, ist eine augenärztliche Abklärung dringend empfohlen. Mittels einer Augenspiegelung wird der Augenhintergrund angesehen. «Liegen keine Veränderungen vor, reicht ein jährlicher augenärztlicher Check-up», so Prof. Barthelmes. Diese Check-ups sind wichtig, weil die Veränderungen der Netzhaut langsam fortschreiten und es Jahre dauern kann, bis die Patientinnen und Patienten Einschränkungen bemerken – obwohl bereits zum Teil deutliche Veränderungen vorliegen. Man könne daher auch von einer «stummen Erkrankung» sprechen.

Blutdruck kontrollieren

Selbsthilfe im Hinblick auf diabetische Retinopathie ist untrennbar verbunden mit Selbsthilfe bei Diabetes. Wichtig sind ausreichend Bewegung, bei Übergewicht eine Kalorienreduktion, Nikotinverzicht und eine gute Diabeteseinstellung. Zu wenig bekannt ist zudem nach wie vor, wie wichtig die Kontrolle des Blutdrucks ist, so Prof. Diem: «Oft hat es Sinn, blutdrucksenkende Mittel einzusetzen, bevor ein Patient klar erhöhten Blutdruck hat.»

So lässt sich der Verlauf der diabetischen Retinopathie günstig beeinflussen. Ein interdisziplinäres Team aus Hausarzt, Diabetes- und Ernährungsberater, Diabetologe und Ophtalmologe sollte den Patienten begleiten. «Zu diesem Team gehört nicht selten auch ein Psychologe, denn man muss viele Jahre mit der Erkrankung leben, was in verschiedener Hinsicht belastend sein kann», meint Prof. Diem.

Diabetische Retinopathie und Genetik

Was einen guten Krankheitsverlauf von Diabetes beziehungsweise diabetischer Retinopathie fördert, ist weitgehend klar. Dennoch bleibt vieles bislang ungeklärt. «Wie frappant unterschiedlich die Auswirkungen des Diabetes auf die Augengesundheit sein können, zeigen grosse Studien an unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen wie etwa in den USA», weiss Prof. Barthelmes. «Die Forschung der nächsten zehn bis 20 Jahre wird uns mehr darüber sagen, wie genetische Faktoren und Lifestyle in diesem Kontext zusammenspielen», so der Experte.

Diabetes: Was ist das eigentlich?

Bei dieser Stoffwechselerkrankung kommt es zu einem erhöhten Blutzuckerspiegel, der Folgeerkrankungen bedingt. Man unterscheidet mehrere Typen des Diabetes. Am häufigsten ist der sogenannte Typ 2. Betroffen sind vor allem ältere Menschen, allerdings immer öfter auch Erwachsene im mittleren Alter, selten Kinder. Bei Diabetes Typ 2 ist die Wirkung des körpereigenen Insulins vermindert. Ursachen der Erkrankung sind zum einen Übergewicht und mangelnde Bewegung, zum anderen besteht meist auch eine familiäre Häufung.

Beim selteneren Typ 1 wird von der Bauspeicheldrüse aufgrund einer Autoimmunreaktion kein oder nur noch wenig Insulin produziert. Die Ursachen hierfür sind weitestgehend unklar. Gesichert ist aber ein genetischer Hintergrund.

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