Nora Tschirner: «Der Witz ist wichtiger als geil aussehen»

Ein Gespräch über Beziehungen, Aussehen und Authentizität

Im Film kämpft deine Figur Emmi mit sich. Soll sie Leo Leike treffen? Oder nicht? Du weisst am besten, wie es ausgeht. Hat Emmi alles richtig gemacht?

 Findest du das denn? Das macht die Qualität des Buches aus. Das ist DIE Frage, die alle bewegt. Was darf man? Wie löst man das Dilemma? Am Set haben auch alle über diese Frage diskutiert. Mir ist aufgefallen, dass Frauen viel strenger mit Emmi sind als Männer. Für mich machen beide alles richtig. Weil sie synchron mit den Ereignissen bleiben. Emmi und Leos Begegnung ist ein Unfall. Keiner hat schlechte Absichten oder taktiert. Was richtig ist, ist von Moment zu Moment unterschiedlich. Alles wechselt von «sie haben es im Griff» zu «sie haben nichts im Griff».

Die beiden kommen sich extrem nah, weil sie so ehrlich miteinander sind. Die Technik der «radical honesty» raten Psychologen oft Paaren. Denkst du, es ist eine gute Idee, auch die unbequemen Dinge auszusprechen oder ist es einfach zu brutal?

Ich glaube, das kommt darauf an, wann du etwas abfeuerst und mit welchem Geschoss. Aber ja, für Beziehungen ist es bestimmt gut, einen Raum für totale Ehrlichkeit zu schaffen. Jeder muss Verantwortung übernehmen für das, was er sagt und wie er es sagt. Und für die eigene Reaktion, wenn einem Kritik entgegengebracht wird.

Beziehungen scheitern wohl oft, weil sich keiner wirklich zumuten kann, wie er ist. Besonders wenn es über das leichter Verdauliche hinaus geht. Dinge wie «Ich möchte eigentlich einmal pro Jahr mit jemand anderem schlafen.» oder «Einmal im Monat stinkst du hinterm rechten Ohr.» auszusprechen, zwicken den anderen, müssen ihn aber vielleicht nicht jucken: Wenn man es schafft, die ehrlichen Aussagen seines Partners nicht zu persönlich zu nehmen, kann die Beziehung in sphärische Höhen abheben.

Die Figuren, die du spielst, sind meist Frauen, die ihre Individualität leben und sich eine gute Portion Aufmüpfigkeit erlauben. Wie viel davon bist du selbst?

Das ist lustig. Wie viel davon ich selbst bin, erkenne ich daran, dass ich gerade spontan gedacht habe: «Aufmüpfig? Ach, echt?» Ich muss doch sagen dürfen, wer und was ich bin. Ich glaube aber nicht, dass ich über Menschen hinwegbügle. Ich finde, es ist ein grosses Geschenk, wenn sich jemand zumutet und zeigt. Das ist Authentizität. Und ja, das verbindet mich wohl mit meinen Figuren. Deswegen neigen Leute dazu, mich mit ihnen zu verwechseln. Was zwar nicht stimmt, aber mich auch nicht stört. Ich schauspielere auch nicht in erster Linie, um in eine andere Haut zu schlüpfen.

Sondern?

Um eine berührende Geschichte zu erzählen. Der kreative Prozess hat mich seit jeher am meisten interessiert. Die Schauspielerei hat sich einfach so ergeben. Ich hatte wohl ein Talent dafür und liebe es, am Set zu sein. Aber der Schaupiel-Teil nimmt nur eine sehr begrenzte Anzahl meiner Tage im Jahr ein. Das reicht dann auch.

Und an den anderen Tagen im Jahr? Was brauchst du da, um glücklich zu sein?

Es macht mich glücklich, verbunden zu sein mit einer Tätigkeit, die mit meiner Persönlichkeit zu tun hat, und mit Menschen, die ich liebe. Ich brauche meinen «inner circle», der mir wirklich vertraut ist, plus circa zehn Leute drum herum, mit denen ich mich wohl fühle. Dann brauche ich den Blick in die Weite, nicht nur auf Beton und Asphalt und regelmässig echte Erde unter den Füssen.

Lebst du gesund?

Durchwachsen. Etwas wo ich allerdings kaum mit mir verhandeln lasse, ist Schlaf. Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich um 11 Uhr ins Bett gehe, vorher noch etwas lese und gut in den Schlaf komme und um 6.30 Uhr aufstehe. Meinen Schlaf schütze ich auch während der Drehzeiten. Allerdings vergesse ich da manchmal, genug zu trinken. An solchen Interviewtagen wie heute, wenn überall Wasserflaschen rumstehen, fülle ich nach, was ich an 364 Tagen nicht getrunken habe.

Du hast als Co-Produzentin am Film «Embrace» mitgearbeitet – einer Dokumentation, die Frauen zu einem positiveren Körperbild verhelfen soll. Woher kommt dein Interesse an diesem Thema? Ist es Mitgefühl?

Nein. Ich bin gar kein mitfühlender Mensch, haha, nein. Die Verurteilung des eigenen Körpers ist einfach so ein perfider Brainfuck, vor dem niemand gefeit ist. Mein eigener selbstgemachter Druck betrifft heute zwar nicht mehr meinen Körper, aber ich musste mich anstrengen, diesen Dingen zu entwachsen.

In der Schule hatte ich wie die meisten um mich herum grosse Komplexe und Ansprüche an meinen Körper: Bei mir war es vielleicht nicht der dicke Bauch, aber dafür – was weiss ich – eine kleine Oberweite, lange Haare an den Armen, grosse Zähne. Letzteres fiel mir durch einen Kommentar meiner Freundin zum ersten Mal auf. Es hat mich ewig lange nicht losgelassen, obwohl sie selbst es nicht böse gemeint und sofort wieder vergessen hat. Das ist es eben: Wir fürchten den Blick der anderen, der oft viel weniger streng ist als unser eigener. ALLES taugt für einen Komplex, wenn man sich davon in den Bann ziehen lässt. Es ist so wichtig und erleichternd zu verstehen: Das ist einfach nicht so relevant. Statt Muskeltraining für die Schönheit ist oft mentales Training für die Selbstakzeptanz sinnvoller.

Hast du nie Angst, vor der Kamera komplett blöd auszusehen?

Extrem selten. Und solche Gedanken werden dann innerhalb von Zehntelsekunden über Bord katapultiert. Als Humorist darf ich auch gar nicht so denken. Die Nudel muss im Gesicht hängen und du musst über die Klopapierrolle stolpern und im Dreck landen. Ich finde, Humor macht sexy. Der Witz muss immer wichtiger sein, als geil auszusehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Gut gegen Nordwind: Die Geschichte

Wenn Nordwind weht, schläft Emmi Rothner schlecht. In diesen Nächten schreibt sie mit Leo Leike, weil der eben «gut gegen Nordwind ist».

Ihre Email-Beziehung ist das Ergebnis eines Tippfehlers. Als Emmi ein Zeitschriftenabo kündigen möchte, landet ihre Email statt bei ‘Like’ bei dem Linguisten Leo Leike, der prompt antwortet. Die scharfsinnigen und witzigen Dialoge führen von Worten wie «passiv aggressiver Idiot» schnurstracks in eine Verliebtheit. Denn der Raum von völliger Fremdheit ermöglicht es beiden, sich so zu zeigen, wie sie wirklich sind, schonungslos offen und unverstellt. Fremdheit wird zu Vertrautheit.

Gesehen haben sich Emmi und Leo nie. Sollen sie? Was macht das mit ihren Leben? Und können die gesendeten, empfangenen und gespeicherten Gefühle einer echten Begegnung standhalten?

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