Frau Schäuble, können Sie kurz erklären, warum die Ernährung so eine grosse Rolle für die Herzgesundheit spielt?
Die unterschiedlichen Nährstoffe, welche wir zu uns nehmen, wie Fette, Ballaststoffe oder Salz, haben einen Einfluss auf unseren Körper und damit auch auf das Herz-Kreislauf-System. Vor allem können wir durch die Ernährung unseren Cholesterinspiegel, den Blutdruck und das Körpergewicht beeinflussen. Neben dem, was wir essen, sind ein generell gesunder Lebensstil und Bewegung ebenfalls ein wichtiger Faktor.
Was sind die häufigsten Fehler, die Menschen bei ihrer Ernährung machen, die das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen?
Unsere derzeitige westliche Ernährung ist insgesamt zu hoch verarbeitet. Die Lebensmittel, die wir in Mengen konsumieren, sind nährstoffarm, enthalten zu viele gesättigte (schlechte) Fette und Cholesterin, zu viel Salz und Zucker, wenig Ballaststoffe und ungesättigte (gute) Fette sowie zu viele schnell verfügbare Kalorien. Dazu kommen ein hoher Alkohol- und Tabakkonsum und zu wenig Bewegung.
Unsere Spezies existiert schon seit tausenden von Jahren, diese Ernährungsweise dagegen erst seit zirka 100 Jahren. Das heisst, unser Körper hat sich daran noch nicht gewöhnt. In einigen Bereichen auf der Erde (Blaue Zonen) konnte das über mehrere Jahre beobachtet werden. In diesen Regionen werden die Menschen durchschnittlich viel älter und leiden seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie ernähren sich vorwiegend pflanzenbasiert und weisen einen hohen Konsum an Hülsenfrüchten auf. Dazu kommen eine familiäre Umgebung, ein soziales Engagement, ständig moderate körperliche Aktivität und wenig oder kein Tabakkonsum.
Welche Lebensmittel sollte man möglichst meiden? Welche Inhaltsstoffe sollte man meiden?
Lebensmittel mit einem hohen Anteil an Salz und Zucker oder vielen gesättigten Fetten, cholesterinreiche Nahrungsmittel und verarbeitete Produkte, die einen hohen Anteil an Kalorien und schnell verfügbarer Energie aufweisen sowie ballaststoffarme Lebensmittel sollte man meiden.
Schlechte Fette und viel Cholesterin stecken in tierischen Lebensmitteln, zum Beispiel in fettreichen Fleischteilen oder Produkten wie Wurstwaren, Käse und Eiern. Auch Palmfett und Transfette gehören zu den gesättigten Fettsäuren. Transfette verstecken sich in Kartoffelchips und frittierten Lebensmitteln, Palmfett in verarbeiteten Produkten wie Keksen und Snacks. Ein hoher Konsum an gesättigten Fetten und Cholesterin lässt den LDL-Spiegel im Blut steigen. LDL (“Low Density Lipoprotein”) wird in der Leber gebildet und transportiert Cholesterin und Fett zu den Körperzellen. Bei einem hohen LDL-Spiegel lagern sich Cholesterin, Fettsäuren sowie andere Bestandteile aus dem Blut in der mittleren und inneren Schicht der Gefässwand ab. Das führt zu einer Verkalkung, was wiederum den Blutdruck erhöht und in einem Herzinfarkt oder Schlaganfall enden kann. Kalorienreiche Lebensmittel, die einen hohen Gehalt an Zucker und schnell verfügbarer Energie aufweisen, wie zum Beispiel Süssigkeiten, verarbeitete Milchprodukte, Soft- und Energy Drinks sowie Fast Food, haben einen hohen Einfluss auf unser Gewicht. Ein starkes Übergewicht erhöht das Risiko, ein “metabolisches Syndrom” zu entwickeln. Dazu gehören ein hoher Blutdruck, hohe Blutfett- und Blutzuckerwerte, was zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes führen kann. Natriumreiche Lebensmittel lassen den Blutdruck steigen. Diese sind in allen verarbeiteten Lebensmitteln wie Wurst, Käse, Backwaren, Snacks und Fast Food sowie Fertigprodukten mit einem hohen Anteil an Geschmacksverstärkern und Konservierungsstoffen enthalten.
Wie schlimm ist tatsächlich Salz in der Ernährung für unsere Herzgesundheit?
Die Schweizer Gesellschaft für Ernährung (SGE) empfiehlt nicht mehr als zwei Gramm Natrium pro Tag. Das entspricht fünf Gramm Speisesalz. Die durchschnittliche Salzaufnahme in der Schweiz liegt aktuell bei neun Gramm. Eine hohe Natriumaufnahme führt zu erhöhtem Blutdruck, was Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall begünstigen kann. Neben dem direkt sichtbaren Salz im Gewürzregal versteckt sich sehr viel in verarbeiteten Lebensmitteln. Ein hoher Konsum von Wurst, Käse, Backwaren, Fast Food, Snacks und anderen verarbeiteten Lebensmitteln führt zu einem hohen Salzkonsum. Ein Wurstbrot enthält zum Beispiel bereits um die zwei Gramm Salz. Dies könnte man mit einem Birchermüesli, Overnight Oats oder Porridge zum Frühstück vermeiden.
Wie sieht es mit rotem Fleisch und verarbeiteten Fleischprodukten aus? Gibt es da gute Alternativen?
Die Bandbreite an vegetarischen und veganen Fleischprodukten, wie Wurst, Burger-Patties, Würstchen et cetera, ist mittlerweile riesig. Jedoch enthalten diese oft viele ungesunde Zutaten wie Konservierungsstoffe, Geschmacksverstärker, schlechte Fette, Salz und Zucker.
Besser ist es, Fleischalternativen selbst herzustellen. Zum Beispiel kann man aus Hülsenfrüchten leckere Aufstriche, Bolognesesauce, Geschnetzeltes und vieles mehr zubereiten. Auch aus Tofu, Grünkern und anderen Getreidesorten wie Hirse und Bulgur lassen sich leckere Speisen kreieren, die normalerweise Fleisch beinhalten. Mit den richtigen Zutaten wie Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer, Chili und Gewürzen, beispielsweise Majoran, Curry, Kurkuma, Oregano und Thymian sowie frischen Kräutern lässt sich der Geschmack wunderbar verfeinern.
Welche Lebensmittel würden Sie als besonders herzgesund bezeichnen und warum?
Lebensmittel, die kalorien-, zucker-, salz- und cholesterinarm sind, zugleich ballaststoffreich und einen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren und sekundären Pflanzenstoffen aufweisen: Dazu gehören Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse, Saaten, Vollkornprodukte, Fisch, Algen, Pflanzenöle sowie Kräuter und Gewürze.
Pflanzliche Lebensmittel sind besonders reich an Ballaststoffen. Diese weitgehend unverdaulichen Nahrungsbestandteile, auch Pflanzenfasern genannt, gehören zur Familie der Kohlenhydrate, können jedoch aufgrund ihrer Struktur vom Körper nicht aufgenommen werden. Die Empfehlung lautet, täglich 30 Gramm Ballaststoffe zu sich zu nehmen. Zu den ballaststoffreichen Lebensmitteln zählen Obst und Gemüse, Vollkornprodukte wie Haferflocken, Vollkornbrot, -nudeln, -reis, Nüsse und Saaten sowie Hülsenfrüchte. Aufgrund ihres Quellvermögens sättigen Ballaststoffe stärker und länger. Durch ihre komplexe Struktur steigt der Blutzuckerspiegel langsamer an, was insbesondere einen hohen Blutzuckerspiegel verringert. Zudem haben ballaststoffreiche Lebensmittel fast keine Kalorien. Diese Eigenschaften können bei hohem Konsum das Gewicht und das Risiko für Diabetes reduzieren sowie das Herz-Kreislauf-Risiko senken. Ballaststoffe verbessern zudem aktiv den Cholesterinspiegel, indem sie im Darm das Cholesterin aus der Nahrung und dem Körper binden und so entfernen. Es ist erwiesen, dass ein regelmässiger Konsum von Haferflocken mit ihrem wasserlöslichen Ballaststoff Beta-Glucan und regelmässige Hafertage einen positiven Effekt haben. Ein weiterer positiver Effekt ist, dass Ballaststoffe das Immunsystem stärken, da sie Futter für die Mikroorganismen im Dickdarm sind, die insgesamt als Mikrobiom das Immunsystem positiv beeinflussen.
Sekundäre Pflanzenstoffe sind Farb-, Duft- und Aromastoffe, von denen bis jetzt rund 10’000 verschiedene in Lebensmitteln entdeckt wurden. Sie kommen besonders in aromatischen Lebensmitteln wie Kräutern, Knoblauch, Zwiebeln oder Ingwer vor. Farbenfrohe Lebensmittel wie Kurkuma, Blaubeeren, Auberginen, Karotten und verschiedene Kohlsorten wie Blaukraut und Grünkohl enthalten ebenfalls viele dieser Stoffe. Die mittlerweile als „Superfood“ beworbenen Lebensmittel besitzen antioxidative, antithrombotische, blutdrucksenkende, entzündungshemmende und immunmodulierende Eigenschaften. Diese beeinflussen nicht nur die Herzgesundheit, sondern haben insgesamt einen positiven Effekt auf unseren Körper.
Welche Rolle spielen Omega-3-Fettsäuren für das Herz und welche Quellen sind empfehlenswert?
Omega-3-Fettsäuren zählen zu den mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Fett besteht immer aus einer Vielzahl von Fettsäuren. Omega-3-Fettsäuren haben viele positive Eigenschaften auf unser Herz-Kreislauf-System und insgesamt auf unsere Gesundheit. Unter anderem können sie den LDL-Spiegel senken und den HDL-Spiegel erhöhen. HDL (high density lipoprotein) transportiert die Ablagerungen in der Gefässwand zurück in die Leber, verringert somit die Verkalkung und senkt das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Reich an Omega-3 sind vor allem Lein-, Raps- und Olivenöl, aber auch andere kaltgepresste Öle wie zum Beispiel Nuss- oder Saatenöle. Weiterhin weisen Algen und fettreicher Seefisch wie Hering, Lachs, Thunfisch, Makrele und Sardinen einen hohen Omega-3-Gehalt auf. Bei Fisch sollte man jedoch darauf achten, woher dieser stammt. Fisch aus Aquakulturen wird nicht immer mit genügend Algen gefüttert, sodass er viel weniger Omega-3 enthält als Fische aus dem Wildfang.
Präparate mit Omega-3-Fettsäuren können bei Herzpatienten das Risiko für Vorhofflimmern erhöhen. Arzneimittel, aber auch Nahrungsergänzungsmittel wie Fischöl-Kapseln, können diese unerwünschte Wirkung verursachen. Das ergab eine Auswertung mehrerer klinischer Studien durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), die im November 2023 veröffentlicht wurde.
Gibt es darüber hinaus spezifische Obst- oder Gemüsesorten, welche das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren können?
Studien zu spezifischen Obst- und Gemüsesorten oder anderen Lebensmitteln gibt es nicht. Dazu ist die Menge, die wir aufnehmen müssten, um eine solide Aussage zu treffen, zu gering. Die Gesamtmenge macht den Unterschied. Empfohlen werden drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst am Tag. Die Portionsgrösse sollte bei Obst eine Handvoll und bei Gemüse zwei Handvoll betragen. Bewiesen ist, dass pflanzenbasierte Ernährungsformen wie die vegetarische Kost, die „Planetary Health Diet“, Vollwertkost und vor allem die mediterrane Kost einen positiven Effekt aufweisen.
Wenn man von Ernährung und Herzgesundheit spricht, stösst man immer wieder auf Nüsse und Samen. Wie viel sollte man davon täglich konsumieren?
Nüsse und Samen sind reich an Omega-3 Fettsäuren. Man sollte täglich zehn Gramm mehrfachungesättigte Fette zu sich nehmen, das entspricht fünf Walnüssen.
Was halten Sie von speziellen Diäten wie der mediterranen Ernährung oder der DASH-Diät?
DASH steht für “Diätetischer Ansatz zum Stopp von Hochdruck”. Es handelt sich um eine Ernährungsweise, die speziell für Menschen mit Bluthochdruck entwickelt wurde. Sie ist der Mittelmeerkost sehr ähnlich und enthält in der Regel viele Ballaststoffe, Kalium, Magnesium, Kalzium und Eiweiss sowie wenig Fett, Salz und Zucker. Beide Diäten erhöhen den Konsum von Obst, Gemüse, Vollkornprodukten, fettarmen Milchprodukten, Fisch und Geflügel, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen sowie pflanzlichen Ölen, bei der mediterranen Kost insbesondere Olivenöl. Produkte wie fettes Fleisch, Vollmilchprodukte, zuckerhaltige Getränke, Süssigkeiten, Salz und tierische Fette werden reduziert. Studien belegen, dass diese Diäten sich positiv auf den Körper auswirken und somit das Risiko senken können.
Wie bewerten Sie vegane oder vegetarische Ernährungsformen in Hinblick auf die Herzgesundheit?
Auch die vegetarische und vegane Kost können positiv auf die Herzgesundheit Einfluss nehmen. Wichtig bei diesen Kostformen ist auch hier, dass nicht zu viele hochverarbeitete Lebensmittel konsumiert werden.
Bei der veganen Ernährung sollte man genau darauf achten, dass genügend Nährstoffe aufgenommen werden, die vermehrt in tierischen Produkten enthalten sind oder deren Bioverfügbarkeit bei diesen besser ist. Dazu gehören bestimmte Aminosäuren aus Proteinen, Vitamin B12, Jod, Eisen, Kalzium, Vitamin D und Vitamin B2. Ein Mangel kann durch eine sorgfältige Auswahl und Kombination verschiedener pflanzlicher Lebensmittel vermieden werden. Lediglich Vitamin B12 muss dann supplementiert werden.
Gibt es gesunde Alternativen zu Snacks oder Fast Food, die für das Herz die bessere Wahl wären?
Alles, was man aus Grundnahrungsmitteln selbst herstellt, ist gesünder, da man die Menge an Salz und Zucker in der Hand hat. Diese natürlichen Lebensmittel weisen zudem ein höheres Nährstoffprofil auf. Neben selbstgemachten Kuchen und Gebäck kann man auch Snacks herstellen. Ein paar Beispiele sind Energyballs oder Müsliriegel, die aus Haferflocken, Trockenfrüchten, Nüssen und Kernen hergestellt werden, Kichererbsen aus dem Ofen oder der Heissluftfritteuse, Joghurt oder Cremes aus Naturjoghurt oder Quark mit Beeren, Früchten, Nüssen oder Nussmus und Honig oder Agavendicksaft. Es gibt mittlerweile unzählige Quellen für gesunde, leckere und schnelle Rezepte; neben Büchern bieten auch das Internet und Social Media Inspiration. Beim Einkaufen kann man darauf achten, dass Snacks und Fertiglebensmittel nur wenige, dafür möglichst natürliche und gesunde Zutaten enthalten. Empfehlenswert wäre zum Beispiel dunkle Schokolade.
Haben Sie einen Ratschlag für Menschen, die ihre Ernährung gern umstellen würden, um die Herzgesundheit langfristig zu erhalten?
Ich würde Schritt für Schritt umstellen. Die Ernährungsgewohnheiten zu ändern, fällt schwer, vor allem weil unser Alltag einen hohen Einfluss auf unser Essverhalten hat. Minimale Veränderungen können schon helfen, das Risiko zu verringern. Kleine Schritte sind zum Beispiel die Lebensmittelauswahl zu ändern, weniger Salz, Zucker und Alkohol zu konsumieren, statt komplett darauf zu verzichten, oder bewusster zu essen. Ein bis zwei vegetarische Tage in die Woche zu integrieren, mit leckeren Speisen, die einem schmecken und bei Bedarf schnell zubereitet sind. Auch hat eine angepasste Ernährung einen Einfluss auf die Medikamentendosis. Mit einer gesunden Ernährung lässt sich die Medikamentendosis oft verringern oder gewisse Medikamente werden überhaupt nicht mehr benötigt. Dies führt zu weniger Nebenwirkungen, denn eine nährstoffreiche und vollwertige Kost hat keinerlei Nebenwirkungen – ausser, dass sie gesund macht.