In einer Talk-Show des NDR machte ich kürzlich Bekanntschaft mit Hans Sigl, einem österreichischen Schauspieler, der seit 2008 und in der mittlerweile zwölften Staffel erfrischend und sympathisch den Bergdoktor Martin Gruber verkörpert. Im Schnitt über sieben Millionen Zuschauer – und das über einen so langen Zeitraum hinweg … Das machte mich neugierig. Und natürlich wurde ich in der ZDF-Mediathek umgehend fündig.
Von New York nach Tirol
Die Rahmenhandlung: Dr. Martin Gruber, ein äusserst erfolgreicher, in New York praktizierender Neurochirurg (wenig glaubwürdig), besucht anlässlich des Geburtstages seiner Mutter seine pittoreske Heimat Ellmau am Wilden Kaiser, wird umgehend in familiäre Dramen, interessante Krankheitsfälle mit spektakulären Rettungsaktionen und Beziehungen verstrickt. Und folgt schliesslich «überraschend» dem Ruf seines Herzens und opfert sein hektisches Leben an der Quelle der Spitzenmedizin dem vermeintlich beschaulichen Dasein in Tirol.
Doch wie die meisten Serienjunkies wissen, wird in Tirol nicht nur gemordet, betrogen und gestohlen (siehe SOKO Kitzbühel), sondern auch erkrankt, geheilt, gestorben, geliebt und Ehebruch begangen. Und dies vor einer Traumkulisse, selbst wenn ab und an Schlecht-Wetter-Wolken aufziehen: Hans Sigl ist als sensibler, empathischer, kaum aus der Ruhe zu bringender Protagonist für die Rolle eines Hausarztes in der ländlichen Provinz ideal gecastet. Für einen New Yorker Neurochirurgen, der lediglich ein paar Tage Entspannung in der Heimat sucht, fehlen ihm die dunklen Ringe unter den Augen, die Falten vom Stress und der aschfahle Teint. Doch dieser Widerspruch ist im Fortgang der Serie bedeutungslos.
Der Bergdoktor und die Idylle
Wenn auch nicht immer plausibel, versteht es diese Serie, die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen: Der Alltag des Hausarztes auf dem Lande ist – meine Kollegen mögen mir die Pauschalisierung entschuldigen – weit weniger spannend, als es uns Der Bergdoktor glauben macht. Die Oma mit dem «rheumatischen Zipperlein», bei der die Anwendung des Allheilmittels Franzbranntwein nicht mehr ausreicht, der Opa mit dem eingewachsenen Zehennagel und der Schuldirektor, der trotz des störenden Reizhustens nicht von seinen geliebten «Krummen Hunden» lassen mag, sind für hohe Einschaltquoten weit weniger förderlich als hochansteckende exotische Virusinfektionen, Krebserkrankungen, Abstürze beim Klettern oder finanzielle Krisen, die das Zuhause dem Übergriff durch «Heuschrecken» aussetzen.
Während in amerikanischen Serien die Notfall-Ambulanzen überquellen, die Verletzungen übertrieben drastisch und die Ärzte unendlich belastbar sind, kommt der bundesdeutsche Medizineralltag eher gemächlich daher, die Krankenhäuser sehen aus wie das Europäische Patentamt am Tag vor der offiziellen Einweihung und Bösewichter gibt es – wenn überhaupt – nur in der Verwaltung. Und selbst die Überraschung, dass des Bergdoktors vermeintliche Nichte sich als seine einem vorehelichen Seitensprung entsprungene Tochter entpuppt, kann das familiäre Idyll nicht dauerhaft stören.
Ob der kürzlich angekündigte Abschied von Hans Sigl aus der Serie daran etwas ändern wird? Wir werden sehen.